Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael Schart

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Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität - Michael Schart


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kein Seltenheitswert zu. Weitaus wichtiger erscheint mir der Hinweis darauf zu sein, dass wir auch in unserer alltäglichen Arbeit zwischen zwei Welten pendeln, denn wir überschreiten beständig jene Grenzlinie, die zwischen Theorie und unterrichtlicher Praxis geschaffen wurde. Das liegt in der Natur unserer beruflichen Aufgaben. Es gehört zu den Besonderheiten und großen Vorzügen der DaF-Forschung außerhalb des deutschsprachigen Raumes, dass sie zumeist von Personen betrieben wird, die zur gleichen Zeit auch als Deutschlehrende tätig sind. Beide Aufgabenbereiche wechseln einander ab, gehen ineinander über oder sind – wie im vorliegenden Fall – untrennbar miteinander verwoben. Ein Aspekt, auf den in den folgenden Kapiteln noch mehrfach Bezug genommen wird.

      In diesem Kapitel möchte ich mich zunächst auf zwei weitere Grenzgänge konzentrieren, die aus meiner Sicht den Charakter dieser Studie in besonderer Weise prägen. Ein erster wird bereits im Titel dieses Buches benannt und auch in der Einleitung angerissen. Er bezieht sich auf den Gegenstand unserer Untersuchung, einen Lehr- und Lernkontext, von dem sich nicht so genau sagen lässt, ob es sich nun eher um Fremdsprachenunterricht mit inhaltlichem Schwerpunkt handelt oder um thematischen Unterricht, der in einer Fremdsprache abgehalten wird (mehr dazu siehe Kap.2.4 und 2.5).

      Aber auch mit Blick auf die unterschiedlichen Forschungsansätze überwinden wir mit dieser Studie einige der Grenzen, die sich in der empirischen Unterrichtsforschung der letzten Jahrzehnte etabliert und bedauerlicherweise auch verfestigt haben. Unser multiperspektivisches Vorgehen setzt somit notwendigerweise forschungsmethodologische und -methodische Überlegungen voraus, denen ich mich im folgenden Abschnitt ausführlicher zuwenden werde. Dabei geht es zum einen um die unterschiedlichen Rollen der Beteiligten im Forschungsprozess und angemessene Verfahren der Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse. Zum anderen wird aber auch zur Sprache kommen, wie unterschiedlich der Prozess des Fremdsprachenlernens in den einzelnen Teilstudien konzipiert wurde, um das Unterrichtsgeschehen in einem möglichst facettenreichen Bild nachzeichnen zu können.

      2.2 Forschungsperspektiven

      2.2.1 Impulse

      Der Beginn des Forschungsprojekts, das die Autorinnen und Autoren in diesem Band aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten werden, lässt sich nicht genau datieren. Es reiht sich nahtlos ein in eine Folge von Studien, die während der letzten 15 Jahre im Intensivprogramm für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio durchgeführt wurden (Kap. 2.8.2). Ein entscheidender Impuls ging jedoch von einer curricularen Veränderung im Jahr 2009 aus. Zu dieser Zeit wagten wir – u.a. als Konsequenz aus einer umfassenden Evaluation des Programms in den vorangegangenen Jahren – eine Neuausrichtung mit ungewissem Ausgang: wir1 stellten einen der Anfängerkurse konsequent auf die Prinzipien des aufgaben- und inhaltsbasierten Unterrichts um.

      Seit diesem Neubeginn vor nunmehr fast zehn Jahren konzipieren wir die Aufgaben mit dem Anspruch, kollaborative Interaktion bzw. kollaboratives Lernen im Klassenraum zu fördern. Die Beschäftigung mit formalen Fragen der deutschen Sprache verlagern wir in reflexive Phasen, die der inhaltlichen Arbeit immer unter- bzw. nachgeordnet sind. Alle Materialien werden nach inhaltlichen Kriterien erstellt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Grad an Komplexität aus und bieten damit vielfältige Möglichkeiten zum selbstständigen Experimentieren und Entdecken. Die Lernenden sollen durch die Kombination von herausfordernden Aufgabenstellungen und Themen ermutigt werden, die Fremdsprache intensiver als zuvor bedeutungsbezogen und kreativ zu benutzen (siehe Kap. 2.5).

      Im Zuge der Umstellung des Unterrichtskonzepts begannen wir zugleich damit, verstärkt Inhalte aus dem Fachstudium (Fachbereiche Jura und Politikwissenschaft) bereits in die ersten Unterrichtsmonate zu integrieren. Wir versuchen also, Überlegungen zum aufgabenbasierten Unterricht (TBLT), wie sie etwa von Samuda/Bygate (2008) oder Willis/Willis (2007) vorgelegt wurden, mit inhaltsbasierten Konzepten zu verbinden und unter den Bedingungen unseres Lehr- und Lernkontextes möglichst stringent umzusetzen (zum Unterrichtskonzept siehe ausführlicher Kap. 2.3 bis 2.6).

      Es war nicht so, dass wir uns blauäugig in diese Herausforderung begaben. Van den Brandens (2006:1) Bedenken hinsichtlich der Alltagstauglichkeit der akademischen TBLT-Konzeptionen war für uns zu diesem Zeitpunkt weit mehr als eine Vermutung. Da wir in den Jahren zuvor bereits vielfältige Erfahrungen mit aufgaben- und inhaltsbasierten Unterrichtssettings gesammelt hatten – manche eher ernüchternd (Schart 2008), andere ermutigend (Schart 2005; Schart et al. 2010; siehe auch Kap. 2.8.2) – , waren wir uns im Klaren darüber, dass uns diese Form des Unterrichtens vor vielfältige Schwierigkeiten und Hindernisse führen würde. Wir wussten beispielsweise, mit welchen Bedenken und Widerständen wir auf Seiten der Studierenden zu rechnen hatten. Wir konnten somit absehen, dass uns ein langwieriger Prozess bevorstehen würde, in dem verschiedene Komponenten aufeinander abzustimmen wären: nicht nur die Materialentwicklung oder die Gestaltung der Interaktionsmuster, sondern auch Aspekte wie die Unterrichtsatmosphäre oder die Erwartungshaltungen sowie die Wahrnehmung des Geschehens auf Seiten aller Beteiligten. Unser gestalterischer Enthusiasmus war daher von Beginn an immer eingehegt von einer selbstkritischen Haltung und der Frage: Was bedeutet dieser Wechsel der Unterrichtskonzeption eigentlich für die Lernenden, für die Lernprozesse und für uns als verantwortliche Lehrende?

      Somit ist das Erkenntnisinteresse, das dieser Studie zugrunde liegt, genuin aktionsforschender Natur, auch wenn es sich im Verlauf des Forschungsprozesses weiterentwickelte und sich letztlich zu einem multiperspektivischen Projekt mit mehreren Fragestellungen auffächerte. Unser wichtigstes Anliegen war und ist es, ein deutlicheres Bild von den Auswirkungen des eigenen Handelns als Lehrende zu bekommen, als dies durch spontane Reflexionen im oder nach dem Unterricht möglich ist. Diese ursprüngliche Motivation bringt es mit sich, dass der Charakter der vorliegenden Studie von den besonderen Merkmalen der Aktionsforschung geprägt wird (vgl. (Altrichter et al. 2018:113ff; Schart/Schocker 2013).

      2.2.2 Aktionsforschung

      Die Aktionsforschung1 basiert auf dem bereits von (Dewey 2012 [1916]:142) formulierten Grundgedanken, dass Forschung kein Privileg von Personen darstellen dürfe, die sich hauptberuflich mit akademischer Wissensproduktion beschäftigen. Und er verwies in seinen Arbeiten immer wieder auf die Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern, ihre alltäglichen Erfahrungen mit Unterricht und Schule eingehend zu reflektieren und anhand der gewonnenen Erkenntnisse das eigene Handeln zu verbessern. Seit Deweys Tagen erlebte die Idee von forschenden Lehrenden jedoch eine sehr wechselvolle Geschichte: Zeiten der besonderen Aufmerksamkeit folgten Jahrzehnte, in denen sie kaum Beachtung fand. Sie wurde immer wieder neu entdeckt und mit unterschiedlichen Akzentsetzungen beschrieben, so dass sie uns heute in einer zuweilen verwirrenden Vielfalt von Begriffen begegnet: als Aktionsforschung oder Handlungsforschung, LehrerInnenforschung oder Praxisforschung (siehe auch Altrichter et al. 2014:285f). Noch weitaus facettenreicher stellt sich die Situation im englischsprachigen Raum dar, wo sich unter dem Oberbegriff action research zahlreiche Konzepte subsummieren lassen.2

      Ungeachtet der Unterschiede im Detail und der – nicht immer überzeugenden – gegenseitigen Abgrenzungsbemühungen steht bei all diesen Konzepten das bereits von Dewey vorgezeichnete Prinzip im Zentrum: Lehrenden arbeiten kontinuierlich und selbstverantwortlich an der Weiterentwicklung ihres Arbeitsumfeldes, indem sie die eigene Praxis systematisch untersuchen. Mit der so gewonnenen empirischen Evidenz ergänzen sie ihre Intuition und ihre Erfahrungen. Sie schaffen sich gleichsam einen weiteren Trittstein, der ihnen Standsicherheit verleiht, wenn sie in den komplexen, ungewissen und mitunter auch paradoxen Situationen ihres Berufsalltags Entscheidungen treffen müssen (vgl. Schart/Legutke 2012:157ff).

      Seit den 1990er Jahren lässt sich beobachten, wie dieses Verständnis von Professionalität eine stetig wachsende Bedeutung erfährt und sich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrenden etabliert.3 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Diskussionen um die Aktionsforschung von Beginn an immer auch geprägt waren von den Zweifeln an ihrer Realisierbarkeit und ihrem Potenzial. Kritisiert wurden und werden in erster Linie all jene Aspekte, die diese Form einer vermeintlichen Laienforschung vor dem Hintergrund akademischer Qualitätskriterien als mangelbehaftet erscheinen lassen. Die Argumente der Skeptiker haben über die zurückliegenden Jahrzehnte hinweg mehrfach ausführliche Erwiderungen erfahren – von Blum (1955) über


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