Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida

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Nietzsche aus Frankreich - Jacques  Derrida


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und der Mehrsinnigkeit unterhöhlt, die die Gegebenheit des Sinns problematisch und seine Annahme zu einer hermeneutischen Subreption macht.

      Die hier vorgelegten Essays führen das Denken von Sprache und Sein an eine Grenze, die von ihm selbst nicht mehr definiert werden kann und die deshalb offen bleibt auf ein Anderes, das nicht einfach das Andere dieses Denkens, nicht das von ihm definierte und per definitionem angeeignete Andere ist. Die Gemeinsamkeit ihres Projekts liegt in dem Versuch, sowohl die klassische Ontologie wie ihre kritischen Umformungen – Fundamentalontologie, Ideologiekritik und Sprachanalyse – auf einen Bereich hin zu öffnen, der von ihnen nicht besetzt werden kann. Klammern sich diese, wenn auch mit letzter Not, an den Glauben, es sei über die Gegebenheit des Sinns und über die angemessene Weise seiner Darstellung eine Entscheidung möglich, so versuchen die hier versammelten Texte – ein jeder mit anderen Mitteln – eine Logik der Unentscheidbarkeit zu entwickeln. Sie dienen keiner Grenzziehung, keiner Definition, keiner Bestimmung; und, wie vor allem Bataille betont, sie dienen nicht. Im Geist der Undienstbarkeit sind sie nicht auf Effekt und Proselytenmacherei angelegt, sondern wie Nietzsches eigene Arbeiten auf die Analyse dessen, was unter den Möglichkeitsbedingungen des Wirkens jede Wirkung suspendiert – und das heißt nicht nur jeden Einfluß, sondern auch jede Deutung und jede Erkenntnis außer Kraft setzt, die einer Wahrheit bloß dient oder eine Wahrheit in Dienst stellt. Wenn das Wirken – und mit ihm das Werk – in einer indefiniten Beziehung zu seiner Herkunft und zu seiner Zukunft: zu seinem Sinn stehen muß, solange Zufälle, Täuschungen und Paradoxien an ihnen beteiligt sein können, dann gibt es keine Wirkung, in der nicht ihre Entwirkung – ihr desœuvrement, wie Blanchot schreibt – am Werk wäre; keine Herkunft und keine Zukunft eines Werks, in der nicht etwas von ihm – und vielleicht das Entscheidende – offen bliebe.

      Georges Bataille

      Nietzsche im Lichte des Marxismus

      Zwischen Nietzsche und dem Kommunismus fällt von vornherein ein Mißverhältnis auf. Nietzsches Werk übt auf die meisten seiner Leser eine unvermeidliche Verführung aus, doch selten hat eine Anziehung weniger Konsequenzen gehabt. Es steht mit diesen blendenden Büchern wie mit dem Alkohol, der zwar erregt und erleuchtet, eine elementare Denkart aber unberührt läßt.

      Auf eine gewisse Zahl meiner Freunde hatte der Kommunismus einen ausschlaggebenden Einfluß. Sie liebten Nietzsche nicht auf gleiche Weise, gaben mir jedoch zuweilen das Gefühl eines wirklichen Einverständnisses. Meistenteils wollte das nichts besagen. Ich konnte mich – sogar lebhaft – für ihre Ideen interessieren, an ihre politische Aktivität glauben. Doch behielt ich einen Vorbehalt, und natürlich glaubte ich, daß sie diesen Vorbehalt teilten, wenn nicht voll und ganz, so doch in gewissem Grade. Zumindest erwartete ich von ihrer Seite Verständnis für meine Haltung: waren sie nicht meinesgleichen? hatten sie nicht die gleiche Blendung erfahren? Ich mußte jedoch wahrnehmen, daß sie sich niemals über ein Spiel erhoben, das mir armselig erschien. Sie sahen nicht einmal mehr, daß sie mich schockierten und bewirkten, daß ich mir fremd vorkam in einer Welt, die ihre Plattheit beschränkte. Ich weiß jetzt, daß ich unrecht hatte (zumindest darin, mich zu wundern). Gemessen an der einer einsamen Tragödie, haben die Probleme des Kommunismus eine unvergleichliche Bedeutung – selbst wenn diese Tragödie das ins Spiel brächte, was mehr zählt als das Leben (von dem Augenblick an, wo dieses materiell gesichert ist)! Selbst und gerade dann, wenn sie die generelle Tragödie wäre, die des Menschen, der, nachdem endlich alle Verbote aufgehoben sind, den weitesten Horizont vor sich sieht, einen so ausgedehnten, daß er sich in der Horizontlosigkeit verliert!

      Allein der Kommunismus hat das Grundproblem gestellt. Er reklamiert im Namen jedes Individuums ein Lebensrecht, um das das geltende juridische System es teilweise bringt. Seinerseits bestreitet er das Lebensrecht eines jeden, der als Nutznießer des Systems dazu beiträgt, seinesgleichen um dieses Recht zu bringen. So ist das Problem des Kommunismus sehr wohl das General-problem, das für jedes Einzelwesen die Frage von Leben oder Tod stellt. Die Kommunisten verfügen zu diesem Zweck über ein Korpus von Doktrinen und bilden eine disziplinierte Organisation. Im Vertrauen auf die Bedeutung ihrer Aktivität verlangen sie voneinander einen Geist vorbehaltloser Konsequenz, eine blinde doktrinäre Gefolgschaft und das Opfer ihrer Freiheit und ihres Lebens. Ist die Sache einmal gegeben, kann darüber hinaus nichts weiteres mehr zählen, und dies gilt nicht nur für das Parteimitglied. In der Tat kann sich die Verpflichtung des Kommunisten nicht bloß aus dem förmlichen Engagement ergeben, das er eingegangen ist: persönlich, wie es ist, bedeutet das Engagement nichtsdestoweniger, daß der Aktivist das Bewußtsein einer Verpflichtung hat, die allen Menschen auferlegt ist; er kann diese Verpflichtung nicht schaffen. Von da an spielt die Gleichgültigkeit oder die Feindseligkeit keine Rolle mehr: effektiv zählt nichts sonst in der Welt – einerlei, ob für den Neutralen oder den Feind – als das kommunistische Unternehmen. Jedenfalls hat es nach der Überzeugung seiner Parteigänger einen exklusiven Wert: es hat das Schicksal der Menschheit total aufs Spiel setzen können, ohne daß eine Berufung möglich wäre.

      Es bleibt mir unbenommen, zu glauben und zu sagen, daß das Denken Nietzsches in Wahrheit nicht weniger wichtig als der Kommunismus ist. Dann werde ich aber als das mindeste klar eingestehen müssen, daß dieses Denken null und nichtig bleibt, weil es nicht verstanden worden ist. Ich habe von der Inkonsequenz gesprochen, der es oftmals ausgesetzt ist. Der Mangel an Rigorosität bei meinen Freunden ist nämlich die allergewöhnlichste Haltung. Er findet sich sogar generell bei denen, die ihm lange Abhandlungen widmeten. Die von Nietzsche sprechen, betrachten sein Leben als eine Art Märchen, das natürlich tragisch ausgeht. Es scheint zuweilen, daß die sehr naive Sehnsucht nach einer Mythologie der modernen Zeit ihre Richtschnur gewesen ist; doch diese Mythologie steht der gegenwärtigen Welt nicht weniger fern, als die antiken Mythen ihr fremd geworden sind. Ich spreche nicht von denen, deren Ambitionen ein Denken, dessen Wesen darin besteht, niemals subordiniert zu sein, niemals zu dienen, in ein Instrument verwandeln wollten. Sie hätten die vorgängige Verweigerung Nietzsches in Betracht ziehen können. Aber es war ihnen ein leichtes, sich darüber hinwegzusetzen, aus dem guten Grunde, daß Nietzsche ohne Nachkommenschaft starb. Sein authentisches Denken verschwand ganz und gar mit ihm. Niemand nach ihm unterhielt das Feuer, das er entzündet hatte. Er fand Ausleger, doch die Auslegung behandelte ihn als einen Toten auf dem Seziertisch. Niemand forderte den Leichnam, und niemand konnte, niemand wollte ein Werk lebendig halten, das nicht auf abstrakte Art Philosophie sein kann, sondern allein Präsenz in der Welt.

      Manchmal ergreift mich der Schrecken angesichts einer so vollständigen Bewußtlosigkeit. Wie soll man diese inkonsequenten Bewunderungen ertragen, die schlimmer als Beleidigungen sind, törichter als die Gleichgültigkeit?

      Ich wende mich an die Menge derer, die Nietzsche lesen und bewundern. Hätten sie Rechte auf sein Denken? Woher nehmen sie die schwächliche Kühnheit, in ihnen selbst das zu verpfuschen, was das Mögliche – von ihrer Erniedrigung – befreien wollte? Es gibt im Menschen eine Seinsmüdigkeit, eine Seinsangst, die das Leben auf eine Verstellung reduziert: vor sich selber hat der Mensch Angst; das Mögliche, das er in sich trägt, macht ihn erzittern; das Mögliche, das, was er wäre, wenn er dazu die Kraft – oder das Herz – hätte, macht aus ihm diesen flüchtigen, müden, furchtsamen Schatten. Je näher er diesem Möglichen kommt, desto mehr höhlt ihn die Versuchung, ihm zu entgehen, aus. Demgegenüber will ich hier die anhaltende Strenge herausstellen, die unbefangene, furchtlose Redlichkeit – eine, die unermüdlich das eigene Falschspiel eingesteht –, die die Konzessionen auf das Notwendige beschränkt und niemals gestattet, nicht »souverän zu sein«. Das ist weder der feindselige Eigensinn der Askese noch die nüchterne Arbeit, aus der der Zusammenhang der Gedanken hervorgeht. Es ist nicht die äußerste Konsequenz und äußerste Energie des Verhaltens (das ist der Heiligkeit zu eigen). Es ist nicht die Beschränktheit der wissenschaftlichen Untersuchungen, die zum Verzicht führt. Ich werde vermeiden, von der Poesie zu sprechen, die dem Falschspiel um so näher kommt, als sie im umgekehrten Sinne unmittelbar zum Gipfel führt, wie es scheint… Noch nicht! … die authentische Verwirrung der Ohnmacht und die Anziehungskraft der Unvernunft trennen sie von ihm… Es handelt sich schließlich um Klarsicht und Vergessen, um Stille und stürmische Freude, um übermäßige


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