Die Mythen der Bibel . Walter Brendel

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Die Mythen der Bibel  - Walter Brendel


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Gottesliebe umzuwandeln.

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      Wunder? Bei dem italienischen Priester Padre Pio (1887 -1968) zeigten sich ab 1918 Wundmale an Händen, Brust und Füßen (nächste Seite). Auch Krankenheilungen und Weissagungen werden ihm zugeschrieben, weswegen er 2002 heiliggesprochen wurde. An der Padre-Pio-Statue in Messina beobachteten Gläubige im selben Jahr einen Ausfluss blutiger Tränen. Eine Frau aus der Stadt gestand später, dass es sich um einen Scherz ihres Sohnes handelte, der sein Blut auf die Figur gesprenkelt hatte

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      Sadistisch: Mit einem langen Nagel fixierten die römischen Soldaten die Füße Christi am Kreuz. Der kleine Querbalken sollte verhindern, dass der Verurteilte durch sein Gewicht nach unten sackte und ohnmächtig wurde - was die Qualen verkürzt hätte

      Hieraus entsteht eine eigenwillige, weibliche Leidensfrömmigkeit, die Nonnen mitunter sogar veranlasst, ihr Bettlager mit der Statue des Gekreuzigten zu teilen. Der Wille, dem Mitleid nachzuhelfen, treibt indes beide Geschlechter zu Extremen. Wenn sich die Klosterfrau Maria von Oignies (um 1177-1213) in höchster Ekstase ein Fleischstück aus der Hand schneidet, gleicht sie unzähligen Glaubensbrüdern, die sich im Leidenswahn Christuswunden zufügen oder sich - im Extremfall – freiwillig ans Kreuz schlagen lassen.

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      Stigmatisiert: Therese Neumann erblindete 1919, war gelähmt - und genas wie durch ein Wunder. Seit 1926 soll sie weder gegessen noch getrunken haben. Sie wurde weltberühmt und starb 1962

      Selbst beigebrachte Jesuswunden, die in den Quellen gleichfalls als Stigmata bezeichnet werden, haben freilich einen Makel: Sie kommen nicht von Gott - und wer

      sie sich aneignet, muss sich wegen Anmaßung verantworten.

      Ganz anders die Stigmata des Franziskus von Assisi, die sich geschmeidig in das Programm des 4. Laterankonzils (1215) einfügen. Nicht nur, dass die Kirchenversammlung den eucharistischen Verzehr von Christi Leib und Blut zum zentralen Glaubenssakrament erhoben hat. Seit diesem Konzil gilt es als Gewissheit, dass sich der Erlöser buchstäblich in Brot und Wein verkörpert - oder aber im Körper frommer Gläubiger: Es ist die Idee der freiwilligen Reinkarnation, die erklärt, warum die Male so viel mit Macht zu tun haben. Wer als Einschreibfläche auserkoren wird, erreicht im Idealfall das Ansehen eines „zweiten Christus“. Franziskus erhält den Gnadenerweis in einer Zeit, als sein Führungsanspruch innerhalb der Gemeinschaft wankt. Das Wunder stärkt daher den Franziskanerorden als Ganzes und verleiht ihm das Siegel der Einzigartigkeit.

      Beobachtungen zeigen, dass sich das Gesetz von Angebot und Nachfrage überzeitlich geltend macht: Stigmata ereignen sich bevorzugt da, wo das Verlangen nach drastischen Christusbeweisen situationsbedingt ansteigt und wo sie auf Jünger stoßen.

      Jesusmale erscheinen, wo Gruppen, die sich auf Christus berufen, nach einem sinnlichen Beweis für ihre Rechtmäßigkeit suchen - mitunter auch außerhalb des Katholizismus.

      Vor allem aber vollzieht sich die Neuauflage der Passion immer wieder dort, wo sich Christusanhänger in der Opferrolle wähnen, wo sie Angriffe erleiden und sich ihres Glaubens rückversichern müssen.

      So auch im frühen 19. Jahrhundert, als die römische Kirche - vom napoleonischen Joch befreit - auf neue Feinde trifft. Der Katholizismus wähnt sich im Kampf gegen staatliche Übergriffe und protestantische „Ketzer“-Theologen, die die Evangelien als

      Kindermärchen verleumden; hieraus entsteht eine Frömmigkeitsbewegung, die um 1830 eine regelrechte „Sucht nach Wundern“ produziert. Wie der Historiker Bernhard

      Gißibl zeigt, verlangt die Zeit nach Zeichen, die das Wirken Christi wieder greifbar machen: nach leidenden „Jungfrauen“, die das Martyrium der „reinen“ Kirche verkörpern.

      Prompt kommt es in den ländlichen Gebieten Frankreichs, Südtirols und Oberbayerns zu einer neuen Welle von Stigmatisationen, die vielerorts gezielt von Seelsorgern gesteuert werden. Dies gilt auch für das oberbayerische Waakirchen, wo Pfarrer Matthias Weinzierl mit heiligem Eifer an der „plastischen Durchbildung“ der Stigmata arbeitet: Rosenkranzgemeinschaften und Ölbergsandachten, die das Passions-geschehen dramatisch lebendig machen. Ältere und neue Leidensvorbilder, die systematisch eingepaukt werden, allen voran der spektakuläre Fall der „Kindfrau“

      Maria von Mörl, die ab 1834 in Südtirol blutet. Und: geheimnisvolle priesterliche Hausbesuche, die bereits damals mit Hypnose in Verbindung gebracht werden. All dies beschert der Gemeinde Waakirchen um 1840 gleich vier - teils blutende - Ekstatikerinnen.

      Viele der vormärzlichen „Wunder“ werden unter dem Zugriff von Staatsbeamten und Ärzten als Täuschung entlarvt. Andere Phänomene erscheinen dafür umso rätselhafter: Woher rühren die Stigmata der belgischen Bauerntochter Louise Lateau, deren Hände 1875 mit Glaszylindern überzogen werden - und trotzdem bluten? Fälle wie dieser verengen das Erklärungsmodell bereits vor 1900 auf die Alternative „Betrug

      oder psychische Ursache“.

      Eine Frage, die sich auch in Sachen Franziskus stellt: Waren die Male Wunden einer

      Selbstkreuzigung, die erst nach dem Tod des Ordensgründers zum Mirakel verklärt wurden? Oder muss der Heilige viel eher als Patient betrachtet werden? Die Psychoanalytikerin Nitza Yarom spricht in diesem Zusammenhang von Vaterhass und

      unterdrückten bisexuellen Tendenzen, die als Ausdruck von Hysterie körperlich sichtbar wurden.

      In der Tat besitzt das Krankheitsbild „Hysterie“ Ähnlichkeit mit religiösen Ekstase-Erscheinungen: ein Phänomen. das der Pariser Nervenarzt und Freud-Lehrer Jean-

      Martin Charcot bereits um 1890 in Hypnosesitzungen vorführt. Menschen mit hysterischer Symptomatik leiden unter einem labilen Selbstgefühl, sind extrem beeinflussbar und schlüpfen aus Gefallsucht wiederholt in Rollen. Verdrängte Konflikte werden in körperliche und geistige Ausfallerscheinungen umgewandelt.

      Vor allem aber spüren die Betroffenen den Drang, ihre Leiden vor Publikum aufzuführen - ein letztes Merkmal, das sich auf eine Vielzahl von Blutwundern beziehen lässt. Fast alle Gezeichneten können auf eine Krankengeschichte zurückblicken, und fast alle erleiden die Stigmatisation in einem Zustand der Trance. So auch die berühmte Oberpfälzer Dorf-“Heilige“ Therese von Konnersreuth, die vor dem dramatischen Empfang ihrer fünf Wundmale (1926) auf wundersame Weise von Blindheit und Lähmung geheilt wird. Bernhard Gißibl betont, dass die Schmerzensrolle im 19. Jahrhundert gerade für einfache Frauen eine Form der „Krisenbewältigung“ war.

      Körperliche und seelische Gebrechen, die in harten Lebensumständen wurzelten, verwandelten sich urplötzlich in die Leiden Christi - und erhielten Aufmerksamkeit und Zuspruch.

      Die Amtskirche hat sich dem Wissensstand schrittweise angepasst. Im 13. Jahrhundert werden mehrere päpstliche Bullen ausgefertigt, um Zweifel an der Echtheit des Franziskus-Mirakels zu zerstreuen. Heute ist die Anerkennung einer Stigmatisation nur von Fall zu Fall möglich - kein Katholik ist verpflichtet, an sie zu glauben; auch wurde seit dem 20. Jahrhundert in Deutschland nirgendwo mehr eine erteilt. Ein Allmächtiger, der Menschen unmittelbar ins Fleisch fährt? Diese Vorstellung wurde – auf institutioneller Ebene - tatsächlich bereits im 18. Jahrhundert hinterfragt. Getreu der theologischen Mehrheitsmeinung heißt es heute vielmehr auch im „Lexikon der katholischen Spiritualität“: „Stigmata sind ( ... ) körperliche Symptome psychogenen und auch sozialen Ursprungs, bei deren Entstehung äußere und innere Faktoren zusammenwirken.“

      Dennoch, die Entzauberung bleibt unvollständig - nicht nur, weil immer noch Raum

      für eine von Gott ergriffene Seele bleibt. Entscheidender ist, dass der „Link“ zwischen

      Psyche und


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