Essentials der Theorie U. C. Otto Scharmer

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Essentials der Theorie U - C. Otto Scharmer


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brannten, zu bemerken schien, ging er auf meinen Vater zu, nahm seine Hand und sagte: »Kopf hoch, mein Junge, blick nach vorn!« Dann sagte er noch irgendetwas, drehte sich um, ging zurück zu dem wartenden Auto und verschwand. Wenige Tage später starb er friedlich.

      Dass mein Großvater in der letzten Woche seines Lebens imstande war – nachdem so viel von dem, was er sein ganzes Leben lang bewirtschaftet hatte, in Flammen aufgegangen war –, sich auf die entstehende Zukunft zu konzentrieren, statt auf den Verlust der Vergangenheit zu reagieren, machte einen großen Eindruck auf mich.

      Erst viele Jahre später, nachdem ich damit angefangen hatte, mich mit der Frage zu befassen, wie sich von einer entstehenden Zukunft statt von der Vergangenheit her lernen lässt, begann ich mit meiner, wie ich heute denke, wichtigsten Arbeit. Doch der Keim dafür lag in dieser frühen Erfahrung.

       Das Gefäß bilden

      »Ich hasse es, wenn jemand sagt, ›es gibt zwei Arten von Menschen‹«, sagte Edgar Schein, mein Mentor am MIT, eines Tages zu mir. Dann fuhr er mit einem Anflug von Lächeln fort: »Aber es gibt tatsächlich zwei Arten von Menschen: solche, die Prozesse verstehen, und solche, bei denen das nicht der Fall ist.«

      Edgar Schein hat recht. Einen Prozess verstehen heißt, das Werden unserer sozialen Beziehungen zu verstehen. Möchte man beispielsweise aus einer dysfunktionalen Beziehung zwischen Akteuren eine funktionierende Beziehung machen, kann man den Beteiligten nicht einfach sagen: »So, jetzt verhaltet euch mal komplett anders.« Man muss weiter stromaufwärts im Prozess ansetzen, in dem soziale Wirklichkeit entsteht. Man muss das Werden dieser Beziehung von einem Modus in einen anderen, z. B. vom reaktiven in einen co-kreativen Modus, überführen.

      Von zwei Arten von Menschen können wir ebenfalls sprechen, wenn es um die »Quelle« der Kreativität geht: solche, die soziale Gefäßbildung verstehen, und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Der Begriff Gefäßbildung stammt aus der Moderatorensprache und bezeichnet die Bildung eines zuverlässigen schützenden Raumes. In Organisationen findet man oft Vorstandsvorsitzende und Führungskräfte, die solche Räume nicht schaffen. Sie glauben, Verhaltensveränderung sei einfach dadurch zu bewirken, dass sie Reden halten und der Organisation Instrumente verordnen. Instrumente sind natürlich wichtig. Aber sie werden auch oft überbewertet, weil sie so sichtbar sind. Doch was meistens unterbewertet wird, das ist der Stoff, den das Auge nicht sieht – beispielsweise die weniger sichtbaren Elemente eines zuverlässigen schützenden Raumes: Intention, Aufmerksamkeit und die subtilen Qualitäten des intensiven Zuhörens. Ein gutes Gefäß zu bilden heißt einen zuverlässigen schützenden Raum für einen generativen sozialen Prozess schaffen.

      Ein Großteil des üblichen Sprachgebrauchs und viele der Werkzeuge für Veränderungsprozesse erweisen sich hier nur teilweise als nützlich. Nehmen wir beispielsweise die oft gebrauchte Beschreibung »Veränderung vorantreiben«. Hast Du schon einmal deine Familie gefragt, was sie davon hält, wenn Du deren Beziehungsnetz dazu »antreiben« würden, sich zu verändern? Viel Glück damit. Die Realität, einen tiefgreifenden Wandel zu begleiten, hat wenig damit zu tun, dass eine Person die andere zur Veränderung »antreibt«. Das ist die falsche Metapher, der falsche Ansatz. Hilfreicher ist meiner Ansicht nach die Landwirtschaftsmetapher.

      Damit komme ich zu meiner dritten Erkenntnis und auch zurück zu meinen Wurzeln.

       Soziale Felder

      Ich wuchs auf einem 350 Jahre alten Bauernhof in der Nähe von Hamburg auf. Vor 60 Jahren beschlossen meine Eltern, die Produktionsweisen der konventionellen industriellen Landwirtschaft (Einsatz von Schädlingsbekämpfungs- und Unkrautvernichtungsmitteln sowie von Kunstdünger) aufzugeben und stattdessen nach biologisch-dynamischen Produktionsweisen zu arbeiten (Fokussierung darauf, das symbiotische Ökosystem des Hof-Organismus zu kultivieren). Jeden Sonntag nahmen meine Eltern mich, meine Schwester und meine beiden Brüder auf einen Feldgang über die Äcker unseres Hofs mit. Ab und zu machte mein Vater halt, hob einen Klumpen Erde aus der Furche, damit wir die unterschiedlichen Arten und Strukturen des Bodens erkennen lernten. Die Qualität des Bodens, erklärte er, hänge von vielen Millionen von Organismen ab, die in jedem Kubikzentimeter Erde leben und deren Arbeit notwendig sei, damit der Boden atmen und sich als lebendiger Organismus entwickeln könne.

      Genauso wie bei jenen Feldgängen in meiner Jugend wird dieses Buch dich auf eine ähnliche Reise mitnehmen, auf der wir ab und zu innehalten und eine Fallgeschichte oder eine Erfahrung untersuchen, die uns die tieferliegenden Strukturen des sozialen Feldes verstehen helfen. Und genauso, wie der Biobauer komplett von der lebenden Qualität des Bodens abhängt, sind Sozialpioniere von der lebenden Qualität des sozialen Feldes abhängig. Ein soziales Feld ist nach meiner Definition Ausdruck der Qualität von Beziehungen, die zu Mustern des Denkens, Kommunizierens und Organisierens führen, die ihrerseits praktische Resultate hervorbringen.

      Und genauso wenig, wie der Landwirt eine Pflanze zum schnelleren Wachstum »antreiben« kann, kann man in einer Organisation oder einer Gruppe praktische Resultate durch Verordnung erzwingen. Stattdessen muss die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Bodenqualität gerichtet werden. Was ist mit der Qualität des sozialen Bodens gemeint? Sie bezieht sich auf die Qualität von Beziehungen zwischen Individuen, Teams und Institutionen, die kollektives Verhalten und praktische Resultate hervorbringen.

      Im Rückblick erkenne ich, dass mein Weg in den letzten 40 Jahren eine Reise war, auf der ich soziale Felder erkundet, untersucht und »beackert« habe. Meine Eltern beackerten die Felder des Bauernhofs. Meine Kollegen und ich beackern soziale Felder. Und wenn du zufällig Manager, Führungskraft, Erzieher, Unternehmer, Künstler, Therapeut, Elternteil oder Menschenrechtler bist, ist das wahrscheinlich auch deine Rolle.

      Die tieferen Erfahrungen und Ebenen des sozialen Feldes, wie sie hier beschrieben werden, sind jedem vertraut, der sich für soziale Bewegungen, Unternehmensgründungen oder Veränderungsinitiativen einsetzt. Ich selbst engagierte mich zuerst in den Umwelt-, Öko-, Antiatomkraft- und Friedensbewegungen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre und gründete später mit einem Kreis von Weggefährten und Kolleginnen das Presencing Institute, ein weltweit agierendes Sozialunternehmen. Später im Buch werde ich auf einige dieser Erfahrungen eingehen. An dieser Stelle möchte ich deine Aufmerksamkeit nur auf die Tatsache lenken, dass keine dieser Erfahrungen einzigartig oder außergewöhnlich ist.

      Im Gegenteil: Sie sind eigentlich recht gewöhnlich. Viele Menschen machen sie. Und ja, sie lassen einen wirklich »über den Tellerrand hinausschauen« – genauso, wie das Erleben des Brandes mich für einen oder zwei Augenblicke von meinem physischen Körper entfernte. Dabei erleben viele Menschen solche Dinge viel öfter, als uns bewusst ist.

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