Heinrich von Ofterdingen. Ein Roman. Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg)

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Heinrich von Ofterdingen. Ein Roman - Novalis (d. i. Friedrich von Hardenberg)


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die durch die engen, tiefen Bogenfenster in das düstre Gemach hineintrat, erhielt leicht die Erlaubnis, sich außerhalb des Schlosses besehen zu dürfen. Er eilte ins Freie, sein ganzes Gemüt war rege, er sah von der Höhe des alten Felsen zunächst in das waldige Tal, durch das ein Bach herunterstürzte und einige Mühlen trieb, deren Geräusch man kaum aus der gewaltigen Tiefe vernehmen konnte, und dann in eine unabsehliche Ferne von Bergen, Wäldern und Niederungen, und seine innere Unruhe wurde besänftigt. Das kriegerische Getümmel verlor sich, und es blieb nur eine klare bilderreiche Sehnsucht zurück. Er fühlte, dass ihm eine Laute mangelte, so wenig er auch wusste, wie sie eigentlich gebaut sei, und welche Wirkung sie hervorbringe. Das heitere Schauspiel des herrlichen Abends wiegte ihn in sanfte Phantasien: die Blume seines Herzens ließ sich zuweilen, wie ein Wetterleuchten in ihm sehn. – Er schweifte durch das wilde Gebüsch und kletterte über bemooste Felsenstücke, als auf einmal aus einer nahen Tiefe ein zarter eindringender Gesang einer weiblichen Stimme von wunderbaren Tönen begleitet, erwachte. Es war ihm gewiss, dass es eine Laute sei; er blieb verwunderungsvoll stehen, und hörte in gebrochner deutscher Aussprache folgendes Lied:

      [64]Bricht das matte Herz noch immer

      Unter fremdem Himmel nicht?

      Kommt der Hoffnung bleicher Schimmer

      Immer mir noch zu Gesicht?

      Kann ich wohl noch Rückkehr wähnen?

      Stromweis stürzen meine Tränen,

      Bis mein Herz in Kummer bricht.

      Könnt ich dir die Myrten zeigen

      Und der Zeder dunkles Haar!

      Führen dich zum frohen Reigen

      Der geschwisterlichen Schar!

      Sähst du im gestickten Kleide,

      Stolz im köstlichen Geschmeide

      Deine Freundin, wie sie war.

      Edle Jünglinge verneigen

      Sich mit heißem Blick vor ihr;

      Zärtliche Gesänge steigen

      Mit dem Abendstern zu mir.

      Dem Geliebten darf man trauen;

      Ewge Lieb und Treu den Frauen,

      Ist der Männer Losung hier.

      Hier, wo um kristallne Quellen

      Liebend sich der Himmel legt,

      Und mit heißen Balsamwellen

      Um den Hain zusammenschlägt,

      Der in seinen Lustgebieten,

      Unter Früchten, unter Blüten

      Tausend bunte Sänger hegt.

      [65]Fern sind jene Jugendträume!

      Abwärts liegt das Vaterland!

      Längst gefällt sind jene Bäume,

      Und das alte Schloss verbrannt.

      Fürchterlich, wie Meereswogen

      Kam ein raues Heer gezogen,

      Und das Paradies verschwand.

      Fürchterliche Gluten flossen

      In die blaue Luft empor,

      Und es drang auf stolzen Rossen

      Eine wilde Schar ins Tor.

      Säbel klirrten, unsre Brüder,

      Unser Vater kam nicht wieder,

      Und man riss uns wild hervor.

      Meine Augen wurden trübe;

      Fernes, mütterliches Land,

      Ach! sie bleiben dir voll Liebe

      Und voll Sehnsucht zugewandt!

      Wäre nicht dies Kind vorhanden,

      Längst hätt ich des Lebens Banden

      Aufgelöst mit kühner Hand.

      Heinrich hörte das Schluchzen eines Kindes und eine tröstende Stimme. Er stieg tiefer durch das Gebüsch hinab, und fand ein bleiches, abgehärmtes Mädchen unter einer alten Eiche sitzen. Ein schönes Kind hing weinend an ihrem Halse, auch ihre Tränen flossen, und eine Laute lag neben ihr auf dem Rasen. Sie erschrak ein wenig, als sie den fremden Jüngling erblickte, der mit wehmütigem Gesicht sich ihr näherte.

      [66]»Ihr habt wohl meinen Gesang gehört«, sagte sie freundlich. »Euer Gesicht dünkt mir bekannt, lasst mich besinnen – Mein Gedächtnis ist schwach geworden, aber Euer Anblick erweckt in mir eine sonderbare Erinnerung aus frohen Zeiten. O! mir ist, als glicht Ihr einem meiner Brüder, der noch vor unserm Unglück von uns schied, und nach Persien zu einem berühmten Dichter zog. Vielleicht lebt er noch, und besingt traurig das Unglück seiner Geschwister. Wüsst ich nur noch einige seiner herrlichen Lieder, die er uns hinterließ! Er war edel und zärtlich, und kannte kein größeres Glück als seine Laute.« Das Kind war ein Mädchen von zehn bis zwölf Jahren, das den fremden Jüngling aufmerksam betrachtete und sich fest an den Busen der unglücklichen Zulima schmiegte. Heinrichs Herz war von Mitleid durchdrungen; er tröstete die Sängerin mit freundlichen Worten, und bat sie, ihm umständlicher ihre Geschichte zu erzählen. Sie schien es nicht ungern zu tun. Heinrich setzte sich ihr gegenüber und vernahm ihre von häufigen Tränen unterbrochne Erzählung. Vorzüglich hielt sie sich bei dem Lobe ihrer Landsleute und ihres Vaterlandes auf. Sie schilderte den Edelmut derselben, und ihre reine starke Empfänglichkeit für die Poesie des Lebens und die wunderbare, geheimnisvolle Anmut der Natur. Sie beschrieb die romantischen Schönheiten der fruchtbaren arabischen Gegenden, die wie glückliche Inseln in unwegsamen Sandwüsteneien lägen, wie Zufluchtsstätte der Bedrängten und Ruhebedürftigen, wie Kolonien des Paradieses, voll frischer Quellen, die über dichten Rasen und funkelnde Steine durch alte, ehrwürdige Haine rieselten, voll bunter Vögel mit melodischen Kehlen und anziehend durch mannigfaltige Überbleibsel ehemaliger denkwürdiger Zeiten. »Ihr würdet mit Verwunderung«, [67]sagte sie, »die buntfarbigen, hellen, seltsamen Züge und Bilder auf den alten Steinplatten sehn. Sie scheinen so bekannt und nicht ohne Ursach so wohl erhalten zu sein. Man sinnt und sinnt, einzelne Bedeutungen ahnet man, und wird um so begieriger den tiefsinnigen Zusammenhang dieser uralten Schrift zu erraten. Der unbekannte Geist derselben erregt ein ungewöhnliches Nachdenken, und wenn man auch ohne den gewünschten Fund von dannen geht, so hat man doch tausend merkwürdige Entdeckungen in sich selbst gemacht, die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüt eine lange, belohnende Beschäftigung geben. Das Leben auf einem längst bewohnten und ehemals schon durch Fleiß, Tätigkeit und Neigung verherrlichten Boden hat einen besondern Reiz. Die Natur scheint dort menschlicher und verständlicher geworden, eine dunkle Erinnerung unter der durchsichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit scharfen Umrissen zurück, und so genießt man eine doppelte Welt, die eben dadurch das Schwere und Gewaltsame verliert und die zauberische Dichtung und Fabel unserer Sinne wird. Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher Einfluss der ehemaligen, jetzt unsichtbaren Bewohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht ist es dieser dunkle Zug, der die Menschen aus neuen Gegenden, sobald eine gewisse Zeit ihres Erwachens kömmt, mit so zerstörender Ungeduld nach der alten Heimat ihres Geschlechts treibt, und sie Gut und Blut an den Besitz dieser Länder zu wagen anregt.« Nach einer Pause fuhr sie fort: »Glaubt ja nicht, was man euch von den Grausamkeiten meiner Landsleute erzählt hat. Nirgends wurden Gefangene großmütiger behandelt, und auch eure Pilger nach Jerusalem wurden mit Gastfreundschaft aufgenommen, nur dass sie selten [68]derselben wert waren. Die meisten waren nichtsnutzige, böse Menschen, die ihre Wallfahrten mit Bubenstücken bezeichneten, und dadurch freilich oft gerechter Rache in die Hände fielen. Wie ruhig hätten die Christen das Heilige Grab besuchen können, ohne nötig zu haben, einen fürchterlichen, unnützen Krieg anzufangen, der alles erbittert, unendliches Elend verbreitet, und auf immer das Morgenland von Europa getrennt hat. Was lag an dem Namen des Besitzers? Unsere Fürsten ehrten andachtsvoll das Grab eures Heiligen, den auch wir für einen göttlichen Propheten halten; und wie schön hätte sein heiliges Grab


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