Fräulein Rosa Herz. Eduard von Keyserling
Читать онлайн книгу.Herz!«
»Es ist spät«, versetzte Rosa ernst und gerührt, wie es Mädchen zu sein pflegen, die sich gerade schön wissen. Sie erhob sich, um heimzugehen. Das Mondlicht war so hell, daß es fast wie Tageslicht über dem Städtchen lag. Ein bläulicher Glanz erfüllte die Luft und blitzte auf den Fensterscheiben. Rosa ging langsam ihre Wege, sah in die Mondscheibe und atmete hastig und tief, als ließe sich das Licht trinken. Mitten auf dem Marktplatz stand der Apotheker und hielt seine Uhr gegen den Mond, um zu sehen, wie spät es sei. Aus dem Fenster eines Erdgeschosses beugte sich eine Dienstmagd heraus und legte ihre mächtigen nackten Arme vor sich auf das Fensterbrett, um sie in der Abendluft zu kühlen, neben ihr saß ein Bursche und hielt mit beiden Händen des Mädchens dicke, rote Backen. In einem Winkel zwischen zwei Häusern stand die Trödlerstochter Ida Wulf mit ihrem Schusterbuben. Sie drängten sich aneinander und kicherten.
Rosa hörte eilige Schritte hinter sich und blieb stehen. Ambrosius war es, außer Atem und sehr erregt: »Oh! Fräulein Herz, gnädiges Fräulein, gehen Sie schon heim?«
»Ja, es ist spät«, erwiderte Rosa und begann mit kleinen Schritten weiterzugehen.
»Ja! – hm – Oh, gnädiges Fräulein, ich wollte nur... ich muß. Sie sind mein Ideal; gewiß, mein Ideal!« Nun ward er feurig: »Vorhin – im Mondschein, Sie waren zu schön. Ich muß es Ihnen sagen. – Seien Sie nicht grausam, Sie sind ein Engel – hm – mein Engel.« – Rosa war bestürzt, dennoch kam ihr der Gedanke: »Jetzt ist der Augenblick gekommen, so muß es sein! Jetzt muß etwas geschehen, und wenn du nichts sagst und nichts tust, dann ist es vorüber.« Aber sie sagte und tat nichts.
»Müssen Sie wirklich nach Hause?« fragte Ambrosius schmelzend.
»Ja, mein Vater erwartet mich.«
»Wir müssen also scheiden. Geben Sie mir Ihre Hand, o Liebe!« Ambrosius nahm Rosas Hand, dann Rosa selbst und küßte ihre Lippen, dann ließ er sie los. Schweigend und zitternd standen sich beide gegenüber. Schritte wurden hörbar. »Auf Wiedersehn«, flüsterte Ambrosius, »mein Ideal« – und hastig fuhren sie auseinander.
An der Treppe der Herzschen Wohnung fand Rosa Ida Wulf. Das Judenmädchen richtete seine schwarzen Augen forschend auf Rosa und lächelte ein altes, überlegenes Lächeln.
»Nun, Ida, was treibst du?« fragte Rosa.
»Nichts, Fräulein Rosa. Schön ist es heute.« Rosa nickte. »Fräulein Rosa«, fuhr Ida leise fort und legte zwei magere braune Hände auf Rosas Arm. »Dieser junge Herr bei Lanins, der ist schön, nicht? Ich bin auch verliebt in ihn.« Rosa schlug die Augen nieder und sagte unsicher: »Du solltest um diese Zeit schon zu Bette sein, Ida.«
Das Judenmädchen lachte. »Nein! Ich bleibe lange draußen. Aber Fräulein Rosa, ich kenne viele, viele Stellen, wo man zusammen sein kann. Sie wissen, Fräulein Rosa, so allein. Der Peter, Sie wissen, Fräulein Rosa, der garstige Schusterbub und ich, wir wissen alle solche Stellen. Soll ich sie Ihnen zeigen, Fräulein Rosa?« Dabei nahm Ida einen von Rosas Zöpfen und wog ihn in der flachen Hand. »Wozu?« erwiderte Rosa. »Was machst du denn dort mit dem Schusterbuben?« fügte sie hinzu und blickte über das Judenmädchen hinweg.
»Wo?« fragte Ida ernst.
»Nun – an – an jenen Stellen«
»Oh, der Peter!« kicherte Ida, »wie der garstig ist – das kann ich Ihnen gar nicht sagen, Fräulein Rosa.« Mit diesen Worten lief Ida davon. Rosa stand noch einen Augenblick sinnend an der Treppe und hörte die schweren Schuhe des Judenmädchens die Straße hinabklappern.
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