Erzählungen. Rainer Maria Rilke

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Erzählungen - Rainer Maria Rilke


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über dein Pergament hin und wagst dich nicht ein Stückchen aus jenen Bahnen, die dir die führende Hand vorsichtig weist. Und endlich, endlich – geht meine Kraft zu Ende, werde ich alt und schwach, dann ehrt man mich, wie es Helden geziemt, stellt mich im Ahnensaale zur Schau und bewundert mich. Was aber geschieht mit dir? Ist dein Herr mit dir unzufrieden, wirst du alt und beginnst du mit dicken Strichen über das Papier hinzukreuchen, packt er dich, entreißt dich dem Stiele, der dir Stütze war, und wirft dich weg, wenn er nicht Gnade übt und dich mit ein paar deiner Schwestern um wenige Kreuzer einem Trödler verkauft.«

      »Du magst ja in mancher Beziehung«, versetzte die Feder sehr ernst, »so unrecht nicht haben. Daß man mich oft gering schätzt, ist ja wahr, ebenso wie, daß man mich, nachdem ich unbrauchbar geworden bin, sehr übel behandelt. Doch deswegen ist die Macht, die mir zu Gebote steht, solange ich arbeiten kann, keine geringe. Es kommt ja nur auf eine Wette an!«

      »Du wolltest mir eine Wette anbieten?« lachte das übermütige Schwert.

      »Wofern du wagst, dieselbe anzunehmen.«

      »Und ob ich sie annehme«, versetzte das Schwert, das sich noch immer nicht vom Lachen erholen konnte. »Was gilt die Wette?«

      Die Feder aber setzte sich zurecht, nahm eine strenge Amtsmiene an und begann:

      »Wir wollen wetten, daß ich imstande bin, dich zu hindern, deiner Arbeit, dem Kampfe, nachzugehen, wenn ich will!«

      »Ho, ho, das klingt ja kühn.«

      »Bist du's zufrieden?«

      »Ich gehe darauf ein.«

      »Nun wohl«, sagte die Feder, »laß uns sehen.«

      Es waren wenige Minuten seit dem Abschlusse dieser Wette vergangen, als ein junger Mann in reichem Waffenkleide eintrat, das Schwert faßte und sich dasselbe anlegte. Hierauf betrachtete er wohlgefällig die blanke Klinge. Von draußen erschallte heller Trompetenruf, Trommelwirbel – es ging zur Schlacht. Eben wollte der junge Mann das Zimmer verlassen, als ein anderer, der eine hohe Stelle bekleiden mußte, wie man aus seinem reichen Schmucke ersah, eintrat. Der junge verneigte sich tief vor ihm. Der Würdenträger war indessen an den Tisch getreten, hatte die Feder erfaßt und eilends etwas hingeschrieben. »Der Friedensvertrag ist schon unterzeichnet«, sagte er lächelnd. Der Jüngere stellte sein Schwert wieder in die Ecke, und beide verließen das Zimmer.

      Auf dem Tische aber lag die Feder. Der Sonnenstrahl spielte mit ihr, und ihr feuchtes Erz glitzerte hell.

      »Ziehst du nicht zum Kampfe, mein liebes Schwert« fragte sie lächelnd.

      Das Schwert aber stand still in der finsteren Ecke. Ich glaube, es prahlte nie wieder.

      Die Flucht

      Die Kirche war ganz leer.

      Durch das bunte Glasfenster über dem Hauptaltar brach der Abendstrahl, breit und schlicht, wie alte Meister ihn auf der Verkündigung Mariens darstellen, in das Hauptschiff und frischte die verblaßten Farben des Stufenteppichs auf. Dann durchschnitt der Lettner mit seinen barocken Holzsäulen den Raum, und jenseits desselben wurde es immer dunkler, und die kleinen ewigen Lampen blinzelten immer verständnisvoller vor den nachgedunkelten Heiligen.

      Hinter dem letzten, plumpen Sandsteinpfeiler war es ganz Nacht. Dort saßen sie, und über den beiden hing ein altes Stationsbild. Das blasse Mädchen drückte ihre lichtbraune Jacke in die dunkelste Ecke der schweren, schwarzen Eichenbank. Die Rose auf ihrem Hut kitzelte dem Holzengel in der geschnitzten Lehne das Kinn, so daß er lächelte. Fritz, der Gymnasiast, hielt die beiden winzigen Hände des Mädchens, welche in zerschlissenen Handschuhen staken, in den seinen, so wie man ein kleines Vögelchen hält, sanft und doch sicher. Er war glücklich und träumte: sie werden die Kirche zusperren und uns nicht bemerken, und wir werden ganz allein sein. Gewiß gehen Geister hier in der Nacht. Sie schmiegten sich fest aneinander, und Anna flüsterte ängstlich: »Ists nicht schon spät?« Da fiel ihnen beiden ein Trauriges ein; ihr – der Platz am Fenster, an dem sie tagaus tagein nähte; man sah eine häßliche, schwarze Feuermauer von dort und niemals Sonne. Ihm – sein Tisch, voll mit Lateinheften, auf dem aufgeschlagen lag »Platon, symposion« Die beiden Menschen schauten vor sich hin, und ihre Blicke gingen derselben Fliege nach, welche durch die Rillen und Runen der Betbank pilgerte.

      Sie sahen sich in die Augen.

      Anna seufzte.

      Fritz legte leise und hütend den Arm um sie und sagte: »Wer doch so fort könnte.«

      Anna blickte ihn an und sah die Sehnsucht, die in seinen Augen leuchtete. Sie senkte die Lider, wurde rot und hörte:

      »Überhaupt sie sind mir verhaßt, gründlich verhaßt. Weißt du: wie sie mich ansehen, wenn ich von dir komme. Sie sind lauter Mißtrauen und Schadenfreude. Ich bin kein Kind mehr. Heut oder morgen, wenn ich was verdienen kann, gehen wir zusammen, weit fort. Allen zum Trotz.«

      »Hast du mich lieb?« Das blasse Kind lauschte. »Unbeschreiblich lieb.« Und Fritz küßte ihr die Frage von den Lippen.

      »Wird das bald sein, daß du mich mit dir nimmst?« zögerte die Kleine. Der Gymnasiast schwieg. Er hob unwillkürlich den Blick, ging der Kante des plumpen Sandsteinpfeilers nach und las über dem alten Stationsbild: »Vater vergib ihnen...«

      Da forschte er ärgerlich: »Ahnen sie was bei dir zu Haus?«

      Er drängte die Anna: »Sag.«

      Sie nickte ganz leis.

      »So«, wütete er,»ich sags ja, also doch. Diese Klatschbasen. Wenn ich nur...« Er grub den Kopf in die Hände.

      Anna lehnte sich an seine Schulter. Sie sagte einfach:

      »Sei nicht traurig.«

      So verharrten sie.

      Plötzlich sah der junge Mensch auf sind sagte:

      »Komm fort mit mir!«

      Anna zwang ein Lächeln in ihre schönen Augen, welche voll Tränen waren. Sie schüttelte den Kopf und sah sehr hilflos aus. Und der Student hielt wieder wie früher ihre winzigen Hände, die in schlechten Handschuhen staken. Er sah in das lange Hauptschiff hinein. Die Sonne war erloschen, und die bunten Glasfenster waren häßliche, mattfarbene Kleckse. Es war still.

      Dann begann hoch in der Halle ein Piepsen. Beide schauten auf. Sie bemerkten eine verirrte kleine Schwalbe, welche mit müden, ratlosen Flügeln das Freie suchte.

      Auf dem Heimweg dachte der Gymnasiast an ein verabsäumtes lateinisches Pensum. Er beschloß, noch zu arbeiten, trotz des Widerwillens, den er hatte, und trotz aller Müdigkeit. Aber fast unwillkürlich machte er einen großen Umweg, verirrte sich sogar ein wenig in der sonst gut bekannten Stadt, und es war Nacht, als er in seine enge Stube trat. Auf den Lateinheften lag ein kleines Briefchen. Er las bei der unsicher flackernden Kerze:

      »Sie wissen alles. Ich schreibe Dir unter Tränen. Der Vater hat mich geschlagen. Es ist schrecklich. jetzt lassen sie mich nie mehr allein ausgehen. Du hast recht. Komm fort. Nach Amerika oder wohin Du willst. Ich bin morgen früh um sechs Uhr auf der Bahn. Da geht ein Zug.

      Vater fährt immer auf die Jagd damit. Wohin – weiß ich nicht. Ich schließe. Es kommt jemand.

      Also erwarte mich. Bestimmt. Morgen um sechs. Bis in den Tod

      Deine Anna.

      Es war niemand. Wohin, glaubst Du, gehen wir? Hast Du Geld? Ich habe acht Gulden. Diesen Brief schick ich Dir durch unser Dienstmädchen an das euere. Mir ist jetzt gar nicht mehr bang.

      Ich glaube, Deine Tante Marie hat geklatscht.

      Sie hat uns also Sonntag doch gesehen.«

      Der Gymnasiast ging in großen und energischen Schritten auf und nieder. Er fühlte sich wie befreit. Sein Herz pochte heftig. Er empfand auf einmal: Mann sein. Sie vertraut sich mir an. Ich darf sie beschützen. Er war sehr glücklich und wußte: Sie wird mir ganz gehören. Das Blut


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