Neue Gedichte. Rainer Maria Rilke

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Neue Gedichte - Rainer Maria Rilke


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wenn er durch den einen geht

      Grabmal eines jungen Mädchens

      Wir gedenkens noch. Das ist, als müßte

      alles dieses einmal wieder sein.

      Wie ein Baum an der Limonenküste

      trugst du deine kleinen leichten Brüste

      in das Rauschen seines Bluts hinein:

      —jenes Gottes.

      Und es war der schlanke

      Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun.

      Süß und glühend, warm wie dein Gedanke,

      überschattend deine frühe Flanke

      und geneigt wie deine Augenbraun.

      Opfer

      O wie blüht mein Leib aus jeder Ader

      duftender, seitdem ich dich erkenn;

      sieh, ich gehe schlanker und gerader,

      und du wartest nur—: wer bist du denn?

      Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne,

      wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier.

      Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne

      über dir und bald auch über mir.

      Alles was durch meine Kinderjahre

      namenlos noch und wie Wasser glänzt,

      will ich nach dir nennen am Altäre,

      der entzündet ist von deinem Haare

      und mit deinen Brüsten leicht bekränzt.

      Östliches Taglied

      Ist dieses Bette nicht wie eine Küste,

      ein Küstenstreifen nur, darauf wir liegen?

      Nichts ist gewiß als deine hohen Brüste,

      die mein Gefühl in Schwindeln überstiegen.

      Denn diese Nacht, in der so vieles schrie,

      in der sich Tiere rufen und zerreißen,

      ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie:

      was draußen langsam anhebt, Tag geheißen,

      ist das uns denn verständlicher als sie?

      Man müßte so sich ineinanderlegen

      wie Blütenblätter um die Staubgefäße:

      so sehr ist überall das Ungemäße

      und häuft sich an und stürzt sich uns entgegen.

      Doch während wir uns aneinanderdrücken,

      um nicht zu sehen, wie es ringsum naht,

      kann es aus dir, kann es aus mir sich zücken:

      denn unsre Seelen leben von Verrat.

      Abisag

      I

      Sie lag. Und ihre Kinderarme waren

      von Dienern um den Welkenden gebunden,

      auf dem sie lag die süßen langen Stunden,

      ein wenig bang vor seinen vielen Jahren.

      Und manchmal wandte sie in seinem Barte

      ihr Angesicht, wenn eine Eule schrie;

      und alles, was die Nacht war, kam und scharte

      mit Bangen und Verlangen sich um sie.

      Die Sterne zitterten wie ihresgleichen,

      der Duft ging suchend durch das Schlafgemach,

      der Vorhang rührte sich und gab ein Zeichen,

      und leise ging ihr Blick dem Zeichen nach.

      Aber sie hielt sich an dem dunkeln Alten,

      und, von der Nacht der Nächte nicht erreicht,

      lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten

      jungfräulich und wie eine Seele leicht.

      II

      Der König saß und sann den leeren Tag

      getaner Taten, ungefühlter Lüste

      und seiner Lieblingshündin, der er pflag—.

      Aber am Abend wölbte Abisag

      sich über ihm. Sein wirres Leben lag

      verlassen wie verrufne Meeresküste

      unter dem Sternbild ihrer stillen Brüste.

      Und manchmal, als ein Kundiger der Frauen,

      erkannte er durch seine Augenbrauen

      den unbewegten, küsselosen Mund;

      und sah: ihres Gefühles grüne Rute

      neigte sich nicht herab zu seinem Grund.

      Ihn fröstelte. Er horchte wie ein Hund

      und suchte sich in seinem letzten Blute.

      David singt vor Saul

      I

      König, hörst du, wie mein Saitenspiel

      Fernen wirft, durch die wir uns bewegen?

      Sterne treiben uns verwirrt entgegen,

      und wir fallen endlich wie ein Regen,

      und es blüht, wo dieser Regen fiel.

      Mädchen blühen, die du noch erkannt,

      die jetzt Frauen sind und mich verführen;

      den Geruch der Jungfraun kannst du spüren,

      und die Knaben stehen, angespannt

      schlank und atmend, an verschwiegnen Türen.

      Daß mein Klang dir alles wiederbrächte.

      Aber trunken taumelt mein Getön:

      Deine Nächte, König, deine Nächte—,

      und wie waren, die dein Schaffen schwächte,

      o wie waren alle Leiber schön.

      Dein Erinnern glaub ich zu begleiten,

      weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten

      greif ich dir ihr dunkles Lustgestöhn?—

      II

      König, der du alles dieses hattest

      und der du mit lauter Leben mich

      überwältigest und überschattest:

      komm aus deinem Throne und zerbrich

      meine Harfe, die du so ermattest.

      Sie ist wie ein abgenommner Baum:

      durch die Zweige, die dir Frucht getragen,

      schaut jetzt eine Tiefe wie von Tagen,

      welche kommen—, und ich kenn sie kaum.

      Laß mich nicht mehr bei der Harfe schlafen;

      sich dir diese


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