Gottes kleiner Partner. Leo Gold
Читать онлайн книгу.hieß ihr Name. Julius saß in einem Flugzeug, in das die letzten Passagiere einstiegen, ehe es von Frankfurt nach Palma de Mallorca abhob. Stumm bat er, dass sich kein Fluggast neben ihn setzen möge. Erst als Rosa in sein Sichtfeld trat, kehrte sich sein Wunsch ins Gegenteil.
Mit jedem Schritt, den sie sich näherte, wurde sein Zeitgefühl verlangsamt. Sie trug einen weißen Rock. Die Flip-Flops aus braunem Leder wie die geflochtene Badetasche passten, anders als ihre schwarze Hornbrille, zu ihrem Sommeroutfit. Rosa blieb eine Reihe vor ihm stehen und sagte zu dem Mann, der am Fenster saß:
„Schade. Ich dachte, ich hab einen Fensterplatz. Naja, muss ich mich halt hier hin setzen“, worauf der Mann bereitwillig seinen Platz mit ihr tauschte. Sie bedankte sich für sein Entgegenkommen, streckte sich, um ihre geflochtene Tasche in die Gepäckablage zu legen, und setzte sich ans Fenster.
Rosas Sitznachbar, den Julius auf Anfang sechzig schätzte, redete während des gesamten Flugs auf sie ein. Er erzählte viel und stellte viele Fragen. Auch bei der Ankunft hatte Julius keine Chance, Rosa anzusprechen. Der Sitznachbar umlagerte sie wie ein eifersüchtiger Ehemann. Er begleitete sie zum Gepäckband, schaute ihn streng an und winkte am Ausgang ein Taxi für sie herbei.
Julius rechnete nicht damit, dass er Rosa wieder sehen würde. Doch drei Tage später betrat sie ein Restaurant in Santa Ponça, in dem er an einem Fensterplatz zu Abend aß.
Ihren weißen Rock hatte sie mit weißen kurzen Hosen getauscht. Ihren Oberkörper bedeckte ein marineblaues Top. Die Flip-Flops aus Leder wie die Hornbrille zerstreuten seine restlichen Zweifel, ob es sich um Rosa handelte. Zögerlich lief sie zu seinem Tisch.
„Hallo. Ich hab sie grad von draußen hier essen sehen. Kann ich mich zu ihnen setzen?“
„Gerne. Nehmen sie Platz!“, antwortete er und fuhr ironisch fort: „Jetzt haben sie ja schon wieder einen Fensterplatz bekommen“, worauf sie lachte und konterte:
„Man muss einfach die richtigen Männer kennen.“
Und so begann sich zwischen den beiden ein fröhliches Gespräch zu entwickeln, in dessen Verlauf Julius schwer verbergen konnte, wie gut sie ihm gefiel.
Als er bei der Verabschiedung keine Anstalten machte, ein weiteres Treffen zu vereinbaren, nahm Rosa das Zepter in die Hand.
Wie üblich dauerte es, weit über diesen Mallorca-Urlaub hinaus, bis sich Julius auf das Wagnis einer Beziehung einließ. Es vergingen zwei Jahre mit Höhen und Tiefen und kleineren Enttäuschungen. Und ein Jahr darauf wurde ihre Verbindung in einem Münchner Standesamt rechtskräftig geschlossen. Nach einem weiteren Jahr erhielt sie den Segen der römisch-katholischen Kirche.
Schon vor der Hochzeit deutete sich an, dass Rosa lieber in ihrer Geburtsstadt als in München wohnen würde. Ein Anruf nach den Flitterwochen stärkte ihren Wunsch. Eine alte Schulfreundin sagte ihr, die Stelle der Grundschuldirektorin sei frei geworden. Sie solle sich doch einfach auf den Posten bewerben. Vielleicht habe sie Glück. Sie hatte Glück. Doch damit gerieten sie und Julius in die Verlegenheit, wenige Monate nach der Hochzeit eine Wochenendbeziehung zu beginnen. Da sich auch bei Julius ankündigte, dass er nicht lange bei Schulz & Adler weiterarbeiten wolle, fiel es ihm leicht, Rosa zu ermutigen, die Chance in ihrer Heimatstadt zu ergreifen. Er wollte bald nachkommen.
So begann das Jahr, in dem sie sich nahezu ausschließlich an den Wochenenden sahen, und an dessen Ende Rosa ein Stellenangebot in der Zeitung fand, das sie Julius weiterleitete. Ein katholischer Wohlfahrtsverband suchte einen Leiter für die Bauabteilung. Als Voraussetzungen nannten sie eine „mehrjährige Berufserfahrung als Architekt“ sowie die „Identifikation mit der Lehre der katholischen Kirche“. Zwar erschienen Julius viele moralische Haltungen der apostolischen Kirche lebensfremd. Aber da er die Kirche für einen zuverlässigen Arbeitgeber hielt, bewarb er sich auf die Stelle und wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Dort konnte er Direktor Saalfeld und Herrn Molitor von sich überzeugen. Und deren Not, sobald wie möglich die Stelle zu besetzen, ließ nur drei Tage später bei Julius das Telefon klingeln. Die Direktionssekretärin Frau Wolkow meldete sich und teilte ihm mit, er sei zum zweiten Vorstellungsgespräch eingeladen. Bei diesem werde neben Direktor Saalfeld statt Herrn Molitor der Vorsitzende des Verbands, Pfarrer Schatz, anwesend sein.
Direktor Saalfeld war äußerlich ein unauffälliger Mann. Seine Glatze wurde von einem weißen Haaransatz bekränzt. Dunkle Ränder untermalten seine Augen, ein Bauchansatz lugte aus seinem Jackett hervor und auf den einander zugewandten Innenseiten seines linken Zeige- wie Mittelfingers lag eine vom Kettenrauchen nikotingelbe Patina. Er lief etwas gebeugt und schaute oft skeptisch über den Rand seiner Lesebrille.
Pfarrer Schatz, dessen Hochdeutsch durch den in dieser Gegend verbreiteten Dialekt gefärbt wurde, war hochgewachsen, besaß eine stattliche Figur, graue, akkurat geschnittene Haare, markante Gesichtszüge und einen Schnurrbart. Lebensfroh, mit einem breiten Lachen hieß er Julius willkommen. Zur Begrüßung reichte er Julius seine rechte Hand und klopfte ihm mit seiner linken aufmunternd auf den Rücken, indes Direktor Saalfeld von seinem Schreibtisch zu ihnen gelaufen kam. So viel Leutseligkeit kannte Julius von seinen Kollegen bei Schulz & Adler nicht. Vielleicht liege es an den unterschiedlichen Mentalitäten oder an der unterschiedlichen Berufsgruppe, versuchte er sich den Unterschied zu erklären.
Nachdem er auch von Direktor Saalfeld begrüßt worden war und sie sich an einen Tisch in dessen Arbeitszimmer gesetzt hatten, bestimmte Pfarrer Schatz das weitere Gespräch. Julius ließ ihn reden und wartete ab, wann er ihm eine Frage stellte. Er hingegen schien darauf aus zu sein, dass ihn Julius bei seinem Monolog unterbrechen würde. Als er merkte, dass er Julius nur durch eine Aufforderung zum Sprechen bewegen könne, bat er ihn, ihm von seinen Eindrücken aus dem ersten Vorstellungsgespräch zu erzählen.
Julius antwortete ausführlich, abwägend und vermied, Ansatzpunkte zum Nachhaken zu setzen. Mit seiner Reaktion konnte Pfarrer Schatz wenig anfangen. Er liebte klare Worte. Akademische Differenziertheit und höfliche Zurückhaltung waren nicht seine Welt. Um Fahrt ins Gespräch zu bringen, fragte er:
„Lieber Dr. Zey, lassen sie es mich mal anders probieren. Sagen sie mir bitte, welche Aufgabe, die mit ihrer Tätigkeit als Leiter der Bauabteilung verbunden wäre, würden sie besonders gern, welche besonders ungern machen?“
Beim ersten Gespräch hatte Direktor Saalfeld Julius bereits die Aufgaben näher erläutert, die in der Stellenanzeige aufgelistet waren. Er sollte sich im Wesentlichen um alles kümmern, das mit dem Neu- und Umbau bzw. Abriss von Gebäuden des Wohlfahrtsverbands zu tun hatte. Und das hieß auch, die Entscheidungen darüber nicht selbst zu treffen, sondern sie in den verschiedenen Gremien durch Beschlüsse herbeizuführen. Zu der Abteilung, die er leiten sollte, gehörten ein weiterer Architekt, ein Bauzeichner wie eine Sekretärin.
„Wie ich schon im Gespräch mit Direktor Saalfeld und Herrn Molitor angedeutet habe, liegt mir die inhaltliche Arbeit sicher mehr als die Verwaltungstätigkeiten.“
Direktor Saalfeld, der sicher gehen wollte, dass Pfarrer Schatz am Ende des Gesprächs nichts gegen Julius Einstellung einwenden konnte, unterstützte ihn:
„Genau. Darüber haben wir ja schon gesprochen. Der Anteil an Verwaltungsarbeiten wird zu Beginn ihrer Tätigkeit vielleicht mehr als 30% ihrer Stelle betragen. Aber spätestens nach einem halben Jahr werden sie Routine sein und sie können sich verstärkt auf die bauliche Arbeit konzentrieren.“
Pfarrer Schatz spürte, dass Direktor Saalfeld bereits seine Entscheidung für Julius getroffen hatte und das Bewerbungsverfahren zügig abschließen wollte. Dadurch fühlte er sich herausgefordert. Den Personalvorschlag einfach abzusegnen, das war nicht seine Art:
„Schön und gut. Denken sie, sie können sich Direktor Saalfeld und den Gremien unterordnen, ihm und ihnen zuarbeiten, akzeptieren, wenn andere Entscheidungen getroffen werden, als sie sie für richtig halten? Oder wollen sie nicht lieber selbst der Direktor sein?“
„Es stimmt, dass ich bisher größtenteils eigenständig arbeiten durfte. Aber ich war weisungsgebunden und musste mich mit anderen absprechen. Klar, es gab Entscheidungen meiner Vorgesetzten,