Die neunschwänzige Katze. Kendran Brooks

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Die neunschwänzige Katze - Kendran Brooks


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Holly, »es geht um das Wohl unserer Pflegetochter.«

      Die Frau zögerte immer noch.

      »Und ihrem ungeborenen Kind«, fügte Henry leise hinzu.

      Die Frau mit Kopftuch blickte mit ihren braunen Augen lange in die grau-grünen des Briten. Dann nickte sie zustimmend.

      »Afifa Mosul wohnt an der Upper Montagu Street, ganz am Ende zur Marylebone Road.«

      »Danke«, meinten Holly und Henry und die Britin drückte noch kurz den Unterarm der Alawitin, bevor sie zum Straßenrand gingen und sich ein Taxi herbeiwinkten.

      Sie stiegen ein und Henry nannte die Straße und die Ecke. Der Fahrer schien über die kurze Strecke recht enttäuscht. Vier Pfund und zwei Minuten später stiegen sie vor einem dreistöckigen Mietshaus aus, lasen die acht Klingelschilder an der Türe und Holly drückte den richtigen Knopf, der zu einer der beiden Wohnungen im Souterrain gehören musste. Sie stiegen auch gleich die kurze Treppe hinab, als sich eine der Türen unten öffnete. Eine verschleierte Frau streckte ihren Kopf heraus, erkannte die beiden Briten und verschwand sogleich wieder, drückte die Haustüre hörbar zu und schloss ab.

      Henry stemmte sich mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Mauer und trat so kräftig er konnte gegen das Türblatt auf Höhe des Schlosses. Nach drei Tritten zersplitterte der Holzrahmen und die Türe sprang auf. Dahinter stand diese Afifa mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen, im Moment unfähig, um Hilfe zu rufen oder sich gegen das Eindringen der beiden Fremden anderweitig zu wehren. Holly ging vor, bedachte Henry mit einer Armbewegung, dass dieser draußen bleiben sollte. Der Brite zog das Türblatt, soweit er es vermochte wieder ins Schloss, drehte dem Eingang seinen Rücken zu, verschränkte seine Arme vor der Brust und spielte den Zerberus, blickte nach links zur zweiten Wohnungstür im Souterrain hinüber, hinter der jedoch alles ruhig blieb, schaute auch in die Gesichter der wenigen Passanten, die vorbeigingen und ihn von oben herab betrachteten. Nach drei oder vier Minuten kehrte Holly zu ihm zurück und sie gingen ruhig die Treppe zur Straße hoch, winkten sich ein neues Taxi heran und bestiegen es.

      »Zur sunnitischen Moschee in der Brick Lane«, befahl Holly dem Fahrer. Der drehte sein Gesicht fragend zu ihnen um.

      »Welche Hausnummer?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »In der Brick Lane gibt es keine Moschee, soweit ich weiß«, meinte nun der Fahrer achselzuckend.

      Henry überlegte, ob sie zurück zu dieser Afifa gehen und die Frau noch einmal eingehender befragen sollten.

      »Dann fahren Sie uns erst einmal dahin. Wir fragen uns dann dort durch«, entschied jedoch Holly und der Taxifahrer fuhr an.

      Sie schwiegen fast den ganzen Weg über, gingen ihren eigenen Gedanken nach, machten vielleicht auch schon Pläne, wie sie im Eastend von London diese sunnitische Moschee finden konnten.

      »Diese Afifa sprach von einer sehr kleinen Moschee. Womöglich in irgendeinem Wohnhaus.«

      Henry nickte stumm.

      »Wir werden sie schon finden.«

      Der Taxifahrer ließ sie an der Ecke zur Fashion Street aussteigen und Henry bezahlte ihn schweigend.

      »Wie gehen wir vor«, wollte Holly wissen. Henry antwortete noch nicht, sondern sah sich um.

      »Komm mit«, meinte er dann und ging schräg über die Fahrbahn davon, steuerte den Mini Market auf der anderen Straßenseite an. Ein sichtlich gelangweilter Angestellter stand hinter der Kassentheke, betrachtete den zuerst eintretenden Henry ohne Interesse. Doch als er die mehr als aparte Holly erblickte, begannen seine Augen zu funkeln. Henry schätzte den Mann als Pakistani oder Nordinder ein, streckte ihm wortlos eine zwanzig Pfund Note entgegen. Dieser nahm den Geldschein zögernd entgegen, blickte den Briten fragend an.

      »Wir benötigen eine kleine Auskunft, Sir«, gab er dem Kassierer den Grund für das Geld bekannt, »es soll hier in der Gegend eine kleine, sunnitische Moschee geben. Entweder direkt an der Brick Lane oder in einer der Seitenstraßen.«

      Der junge Pakistani oder Inder nickte.

      »Sie meinen bestimmt die Moschee des verrückten al-Muzaffar, oder?«

      »Verrückt?«, fragte Henry, statt eine Antwort zu geben.

      »Ja, soll so ein verbohrter Salafist sein, aus Ägypten, glaub ich.«

      Holly schien alarmiert, Henry zumindest beunruhigt.

      »Und wo liegt diese Moschee?«

      »Na in der Princelet Street. Muss das … warten Sie … ja, es ist das zweite oder das dritte Haus rechts. Die Moschee liegt in der dritten oder vierten Etage.«

      Henry und Holly bedankten sich bei dem Mann und verließen das Geschäft. Bis zur Princelet Street war es nicht weit. Holly Peterson blickte, während sie gingen, immer wieder in Henrys Gesicht, erkannte darin eine feste Entschlossenheit. Als sie die Nebenstraße erreicht hatten, kamen drei verschleierte Frauen aus dem zweiten Gebäude. Sie steuerten deshalb dieses Haus an, fanden auch ein Klingelschild mit dem Namen al-Muzaffar, drückten die unverschlossene Türe auf und betraten den Flur. Eine schmale Treppe führte in die oberen Etagen und die beiden Briten gingen sie gemächlich hoch. Holly hielt sich nun zwei Stufen hinter Henry. Ein Mann mit weißem, gehäkeltem Käppi auf dem Kopf trat aus einer der Wohnungstüren, erstarrte beim Anblick der beiden Briten, schaute sie stumm fragend und irgendwie auch vorwurfsvoll an. Sie gingen jedoch schweigend an ihm vorbei und weiter hoch. Holly spürte die Augen des Mannes bohrend auf ihrem Rücken, fühlte sich unbehaglich und erst wieder leichter, als sie ein Stockwerk höher dem Starren endgültig entkommen war.

      In der dritten Etage stand die Wohnungstüre weit auf. Ein paar Stühle waren im Flur aufgereiht. Unter ihnen lagen Schuhe. Ein bärtiger Muslime kam aus einem der Zimmer, blieb überrascht stehen, blickte den Ankömmlingen forschend und fragend entgegen.

      »Entschuldigen Sie bitte«, Henry blieb ausgesprochen höflich, »ist das hier die Moschee von Imam al-Muzaffar?«

      Der Mann antwortete ihm nicht sogleich, versuchte immer noch, die beiden Ungläubigen einzuschätzen. In einem leidig schlechten Englisch meinte er dann doch noch: »Ja, das ist die Moschee von Saif ad-Din. Was wollen Sie von ihm?«

      »Wir suchen unsere Pflegetochter, Sheliza bin-Elik. Kennen Sie sie?«, fragte Henry höflich nach.

      »Sheliza ist nicht hier«, beantwortete der Mann gleich zwei Fragen auf einmal.

      »Wissen Sie denn, wo sie ist?«

      Hoffnung schwang in der Stimme des Briten mit. Doch der Muslime schüttelte verneinend und ablehnend den Kopf.

      »Könnten wir vielleicht mit Imam al-Muzaffar sprechen?«, fragte Holly ebenso höflich wie Henry zuvor. Doch der Mann tat keine Anstalten, auf die Frage der Britin zu antworten, sagte stattdessen kalt zu ihrem männlichen Begleiter Henry, »Sie sollten jetzt gehen«, und fügte nach einer kurzen Pause ein »bitte« hinzu, was wie ein Befehl klang.

      *

      Shamee tauchte auch an diesem Abend nicht zum Essen auf und Zenweih begann sich, echte Sorgen zu machen. Seine Frau Sihena dagegen lachte nur über sein ernstes Gesicht.

      »Die ist bei irgendeiner Freundin hängen geblieben. Ganz bestimmt. Du weißt doch, wie sie ist. Wir können morgen in ihrer Schule anrufen und fragen, ob sie in der Klasse sitzt.«

      Zenweih stocherte in seinem Teller mit der Vorspeise herum, einem Carpaccio aus zartem Rindfleisch, das mit ein wenig aromatisiertem Olivenöl beträufelt nach Limonen duftete und mit schwarzem Pfeffer gewürzt war.

      »Wenn du meinst?«

      Seine Gattin antwortete ihm nicht, legte das Besteck auf den halb aufgegessenen Teller und rückte mit ihrem steifen Oberkörper fünf Zentimeter weiter vom Tischrand weg. Aílton bediente sie an diesem Abend allein, denn Carlos hatte frei. Der Major Domus trat lautlos hinzu und servierte den Teller ab, entfernte sich mit ihm, um den Hauptgang für die beiden in der Küche unten zu bestellen.


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