Oh je, Herr Carlowitz. Michael Wühle
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Ich ging jedenfalls damals ähnlich sorglos mit dem Begriff der Nachhaltigkeit um, denn mir war der Aufbau meiner Abteilung mit all ihren Herausforderungen wichtiger, als die Ausdeutung eines Wortes, das meiner Meinung nach nur eine Erscheinung des Zeitgeistes war. Selten habe ich mich so in der Wichtigkeit und Bedeutung eines für mich damals neuen Begriffs getäuscht!
Inzwischen ist jedoch einige Zeit vergangen und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit der Schlüssel zu den drängendsten Problemen der Menschheit ist. Egal ob wir dabei die globale Erwärmung und dessen Folgen für das Klima unserer Erde und aller Lebensräume im Auge haben, oder ob wir an Erneuerbare Energien denken. Egal auch, ob wir von einer intakten Umwelt, der Bewahrung der Schöpfung reden, oder ob wir uns mit der Notwendigkeit von gesunder Nahrung für alle Menschen auf dieser Welt beschäftigen. Egal auch, ob wir von unserer Verpflichtung für die folgenden Generationen, ob wir von Enkeltauglichkeit reden, oder ob wir die Ächtung von Kinderarbeit anmahnen und die Ausbeutung von Arbeitskräften in Entwicklungs- und Schwellenländern kritisieren, wir meinen damit eigentlich immer das Prinzip der Nachhaltigkeit. Auch dann, wenn wir es nicht so nennen.
Limitierender Faktor in unserer Nachhaltigkeitsbetrachtung ist vor allem die Umwelt, denn Nachhaltigkeit bedeutet auch mit den endlichen Ressourcen unserer Erde hauszuhalten. Wir dürfen weder jetzt noch zukünftig auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben. Insofern haben jeder Mensch und jede Organisation die Verpflichtung an einer gesellschaftlichen Entwicklung zu arbeiten, die ökologisch verträglich und sozial ausgeglichen ist und die ökonomischen Bedürfnisse nach gesunder wirtschaftlicher Entwicklung bedient, die für sichere Arbeitsplätze notwendig ist.
Wenn jedoch Nachhaltigkeit tatsächlich den Schlüssel zu den drängendsten Problemen unserer Zeit darstellt, dann ist er inzwischen ein ziemlich gebrauchter, verrosteter und abgenutzter Schlüssel geworden, der nicht sehr attraktiv aussieht. Es ist inzwischen auch ziemlich schwer geworden, ihn in das passende Schlüsselloch zu fummeln. Warum das so ist, wie der Schlüssel einmal ausgesehen hat und wie er wieder ein glänzendes und leicht zu handhabendes Werkzeug werden kann, das uns die Türen aufsperrt hinter deren die Lösungen unserer Probleme warten, darum geht es in diesem Buch.
Ich möchte meine persönlichen Erfahrungen, die ich rund um das Thema Nachhaltigkeit gemacht habe weitergeben und die Diskussion um die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung neu entfachen. Dabei werde ich mir alle Mühe geben, nicht mit erhobenem Zeigefinger zu argumentieren, oder belehrend zu wirken. Ich möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, damit Nachhaltigkeit wieder zu einem lebenden Prinzip in möglichst vielen Aspekten unseres Alltags wird.
Beginnen möchte und muss ich mit dem vielleicht schwierigsten Teil, der Begriffsdefinition. Doch wie fange ich an über den Begriff Nachhaltigkeit zu schreiben, ohne schullehrerhaft zu wirken? Denn wie viele komplexe Begriffe bietet auch der Begriff der Nachhaltigkeit, je nach Standort und Standpunkt, breiten Interpretationsraum.
Soll ich damit beginnen, indem ich aufzähle, was Nachhaltigkeit nicht ist? Soll ich beispielsweise sagen, dass CO2-Reduzierungsmaßnahmen nicht identisch sind mit dem Begriff der Nachhaltigkeit? Oh je, Herr Carlowitz!
Würde es uns also den Start erleichtern, wenn ich versuche darzulegen, warum solch eine Missdeutung des Begriffs Nachhaltigkeit uns in eine völlig falsche Richtung, ja sogar in eine Sackgasse führen würde? Ich könnte locker etliche Seiten darüber schreiben, was Nachhaltigkeit nicht ist, denn auch da schöpfe ich auch aus einem reichen Erfahrungsschatz.
Ich versuche es jedoch lieber mit den historischen Wurzeln des Begriffs „Nachhaltigkeit“. Dabei stoßen wir unweigerlich auf Hans Carl von Carlowitz, einem Vordenker der Nachhaltigkeit im barocken Sachsen.
Im 'Lexikon der Nachhaltigkeit'2 und bei anderen Quellen lesen wir, dass Carlowitz um das Jahr 1700 als sächsischer Oberberghauptmann für die Holzversorgung des sächsischen Berg- und Hüttenwesens verantwortlich war. Die Schmelzöfen des Erzgebirges verschlangen Unmengen an Holz, Bevölkerungswachstum und Städtewachstum führten zu einem großen Holzmangel. Wie in früheren Epochen auch dachten die Menschen nicht weiter nach und holzten ab, was nur möglich war. Holz wurde Mangelware und damit entstand eine große Energiekrise, mit der Carlowitz konfrontiert war und für die er eine Lösung suchte und fand. Ihm wurde klar, dass der vorhandene und steigende Holzbedarf nur durch eine neue Art der Forstwirtschaft gesichert werden kann. Nur mit dieser neuen Methode konnte sichergestellt werden „… daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag …“. Diese Zeilen stammen aus seinem berühmten Werk „Sylvicultura Oeconomica“ 3, das als erstes eigenständiges Werk über die Forstwirtschaft gilt. Wer mehr dazu wissen will, dem empfehle ich die bibliophile Ausgabe des Werks zu lesen.
Die Methode von Carlowitz lässt sich vereinfacht so darstellen: Einen Baum fällen, drei neue Bäume dafür pflanzen. Das war für diese Zeit ein revolutionärer Ansatz, der nicht kurzfristig, sondern langfristig ausgerichtet war. Mit dieser Methode, mit diesem Prinzip erreichte Carlowitz zunächst einmal sein primäres Ziel, die Sicherstellung der wertvollen und „… unentbehrlichen Sache …“ Holz.
Darüber hinaus erreichte er jedoch auch zwei weitere sehr wichtige Dinge. Der mit der Umsetzung seines Prinzips einhergehende geregelte Waldbau schuf beständige Arbeitsplätze und damit auch relativen Wohlstand bei der betroffenen Bevölkerung. Der geregelte Waldbau wiederrum erhielt die natürlichen Lebensräume und verhinderte Verkarstung und Bodenerosion, was wiederum Voraussetzung für Neuanpflanzungen war.
Wahrscheinlich standen die beiden letztgenannten Punkte nicht im Vordergrund der Überlegungen von Carlowitz. Oder dachte er doch daran? Ob nun gewollt oder ungewollt, der soziale und der ökologische Aspekt waren automatische Folge des neuen ökonomischen Schlüssels zur Überwindung der Energiekrise.
Auf Grundlage des sogenannten Brundtland-Berichts entstand dann Ende des letzten Jahrhunderts eine moderne Definition4, die auf drei Dimensionen aufbaut:
Ökologische Nachhaltigkeit: Sie orientiert sich am stärksten an dem ursprünglichen Gedanken, keinen Raubbau an der Natur zu betreiben und greift damit die Gedanken von Carlowitz auf. Ökologisch nachhaltig ist eine Lebensweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße beansprucht, wie diese sich regenerieren.
Ökonomische Nachhaltigkeit: Eine Gesellschaft sollte wirtschaftlich nicht über ihre Verhältnisse leben, da dies zwangsläufig zu Einbußen der nachkommenden Generationen führen würde. Allgemein gilt eine Wirtschaftsweise dann als nachhaltig, wenn sie dauerhaft betrieben werden kann.
Soziale Nachhaltigkeit: Ein Staat oder eine Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass sich die sozialen Spannungen in Grenzen halten und Konflikte nicht eskalieren, sondern auf friedlichem und zivilem Wege ausgetragen werden können.
So, nun habe ich eigentlich alle wesentlichen Dinge aufgeführt, die zur Bestimmung des Begriffs Nachhaltigkeit notwendig sind.
Zufrieden?
Nicht wirklich. Ich auch nicht. Nachhaltigkeit ist ein so komplexer Begriff, dass reines Faktenwissen nicht ausreicht. Dummerweise ist der Begriff Nachhaltigkeit nicht, oder nur teilweise selbsterklärend. Mein langjähriger Englischlehrer hat mir gesagt, dass der englische Begriff „Sustainability“ in einem viel höheren Maße für Menschen mit englischer Muttersprache selbsterklärend ist, als für Deutschsprachige dieses etwas hölzerne und schwerfällige Wort Nachhaltigkeit.
Ich möchte ihnen daher eine kleine Geschichte erzählen, die einen einfachen und besseren Zugang zum eigentlichen Wesen der Nachhaltigkeit ermöglichen soll, als tausend weitere Daten und Fakten.
Diese Geschichte ist frei erfunden, könnte jedoch so stattgefunden haben. Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit gemacht habe kommen darin genauso vor, wie die damaligen Verhältnisse, die Carlowitz im 18. Jahrhundert wahrscheinlich vorgefunden hat. Ich nehme dabei die Rolle eines Schreibers namens Felix ein (den es meines Wissens im Leben von Carlowitz nicht gegeben hat), der als Studiosus