Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис

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Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис


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in der Dunkelheit. Lorenzo entscheidet sich für eine schwarze Hose und einen blauen Hoodie. Das Ding müsste zwar mal wieder gewaschen werden, aber egal, für heute genügt er. In den Rucksack stopft Lorenzo eine Taschenlampe und den Satz Dietriche.

      Zum Glück ist sein Fahrrad schon repariert. Diesmal fährt er noch langsamer und vorsichtiger, der Neuschnee ist verflucht rutschig. Es dauert, bis er wieder vor Majas Haus steht. Absichtlich hat er bis nach der Dämmerung gewartet, denn jetzt würde er sehen, wenn in der Wohnung Licht ist. Lange Minuten steht er da, den Kopf in den Nacken gelegt, und späht nach oben. Noch kann er nicht glauben, dass die Familie Köttnitz ganz und gar verschwunden ist. Aber es scheint fast so, sämtliche Fenster sind dunkel. Obwohl er es erwartet hat, ist das trotzdem schwer zu ertragen.

      Jetzt könnte er seinen Plan in die Tat umsetzen. Lorenzo tastet nach den Dietrichen in der Tasche und bekommt einen Moment lang Angst vor sich selbst. Was soll das? Will er das wirklich? Das ist Hausfriedensbruch, mindestens! Was ist, wenn es schiefgeht?

      Egal. Er muss herausfinden, was mit Maja los ist, nichts anderes zählt mehr. Um sich am Nachdenken zu hindern, klingelt er bei einem der anderen Hausbewohner. „Ja?“, tönt es blechern durch die altmodische Sprechanlage. „Entschuldigen Sie die Störung“, sagt Lorenzo in die Sprechanlage, „ich habe meinen Schlüssel vergessen, könnten Sie mich reinlassen?“

      Tatsächlich, die Tür summt, rasch drückt er sie auf. Der Typ hat nicht mal nach seinem Namen gefragt. Sekunden später steht Lorenzo vor Majas Haustür und umklammert die Dietriche in seiner Tasche. Es ist schon ewig her, dass er die beim Detektivspielen benutzt hat. Alte Schlösser bekommt man damit ganz gut auf, aber so fertig das Haus auch aussieht, das Schloss an dieser Tür wirkt fast neu. Aufgeben? Nein. Er muss es wenigstens versuchen. Vielleicht findet er drinnen den Hinweis, auf den er gehofft hat, den Anhaltspunkt, den er braucht, um Maja wiederzufinden.

      Lorenzo zieht die Dietriche hervor und macht sich ans Werk.

      Im Auto ist es zwar nicht sonderlich warm, doch Robert Barsch ist gut vorbereitet, er hat seinen dicksten Pulli und eine Daunenjacke angezogen. So lässt sich das Wachehalten vor dem Haus gut ertragen. In der Thermoskanne ist sogar noch ein Rest warmer Pfefferminztee. Schon seit drei Stunden beobachtet er das Haus, an dem er das Klingelschild Köttnitz entdeckt hat. Sein Nachtsichtgerät, das er sich vor ein paar Jahren mal gekauft hat, enthüllt alle Details des Hauses und seiner Umgebung. Lila scheint weg zu sein, anscheinend will sie ihn nicht sehen. Das ist eine furchtbare Enttäuschung. Wieso nur hat er aus dem Gefängnis bei ihr angerufen? Es wäre so viel klüger gewesen, sie zu überraschen, dann hätte sie vielleicht endlich, endlich mit ihm gesprochen und begriffen, wie sehr er sie liebt!

      Interessiert beobachtet er den jungen Mann, der vorhin mit dem Rad eingetroffen ist. Was hat der vor? Er wirkt unsicher, zögerlich. Scheint nicht im Haus zu wohnen. Aber jetzt ist er anscheinend drinnen, Robert Barsch sieht Licht im Treppenhaus. Ist das womöglich jemand, der ebenfalls nach der Familie Köttnitz sucht? Mal schauen. Robert Barsch steigt aus und schließt die Fahrertür vorsichtig hinter sich.

      Lorenzo zuckt zusammen, als er jemanden unten an der Tür hört. Dann wieder der Türsummer, Schritte, das Flurlicht geht an. O Mann – was jetzt? Instinktiv will er die Dietriche in seiner Tasche verschwinden lassen, aber das klappt nicht, sie haben sich im Schloss verhakt! Verzweifelt zerrt er an ihnen, während die Schritte näherkommen. Scheißdinger!

      Im letzten Moment dreht sich Lorenzo um und lehnt sich gegen die Tür, jetzt verdeckt sein Rücken, dass die Metallteile immer noch verräterisch im Schloss stecken. Er versucht ganz locker zu wirken und ein bisschen gelangweilt, so als warte er auf jemanden, der noch immer nicht aufgekreuzt ist.

      Nun kann er sehen, wer da die Treppe hochkommt. Ein schlanker Mann ungefähr Anfang vierzig. Glatte braune Haare im Seitenscheitel. Er ist gekleidet wie ein Geschäftsmann, aber sein schmales Gesicht erinnert Lorenzo an irgendeinen alten Western. Kevin Costner in der Prärie.

      Hoffentlich will er in ein höheres Stockwerk. Los, geh schon vorbei!, betet Lorenzo.

      Aber natürlich wirkt es nicht.

      Eindringlinge

      Der Fremde verlangsamt seine Schritte und nimmt Lorenzo ins Visier. Kühle graue Augen hat er. „Darf ich fragen, wer Sie sind und was Sie hier machen?“

      Großer Gott. Das wird gerade zum Worst-case-Szenario!

      „Ich warte auf jemanden“, behauptet Lorenzo mit aller Dreistigkeit, die er jetzt noch aufbringen kann. Immerhin, es stimmt, er wartet auf Maja, oder etwa nicht?

      „Auf wen?“

      „Geht Sie das was an?“, gibt Lorenzo trotzig zurück. Der Typ ist ihm ungefähr so sympathisch wie ein Fisch, der seit einer Woche tot ist.

      „Kann man so sagen“, meint der Mann. „Treten Sie mal einen Schritt zur Seite, bitte.“

      „Warum?“

      „Darf ich mich vorstellen?“, sagt der Mann in kühlem, ironischem Ton. „Robert Meinert, Kriminalhauptkommissar. Und jetzt treten Sie bitte beiseite.“

      Lorenzos Eingeweide fühlen sich an, als würden sie sich gerade verflüssigen. Schweigend folgt er dem Befehl. Er weiß, wann er verloren hat.

      Maja radelt durch die kahle, schweigende Stadt. Im künstlichen Licht der Straßenlaternen sieht sie Flocken vom Himmel schweben, aber kein einziger Stern glänzt auf sie herab. Die Angst sitzt ihr im Nacken, verlässt sie keinen Moment lang. Klar, es ist unwahrscheinlich, doch was ist, wenn sie jetzt zufällig Robert Barsch über den Weg läuft? Immer wieder sieht sie sich um. Niemand ist hinter ihr, kein Mensch folgt ihr.

      Völlig durchgefroren kommt sie an dem Haus an, in dem Lorenzo wohnt, doch die Hoffnung wärmt sie, strömt fiebrigheiß durch ihre Adern. Sie merkt kaum, dass ein Lächeln auf ihr Gesicht kriecht. Lorenzo! Ihr wunderbarer karottenhaariger Italiener. Gleich kann sie ihn wieder umarmen, und alles wird gut sein, alles wird perfekt sein, wenn auch nur einen Moment lang. Er wird verstehen, dass sie weg muss, dass sie nicht anders kann, dass sonst ihre ganze Familie in großer Gefahr ist. Hauptsache, er denkt nicht, dass sie ihn einfach im Stich gelassen hat, allein der Gedanke ist unerträglich.

      Sein Schlafzimmer ist im ersten Stock. Maja klettert über den Gartenzaun, der zum Glück nicht hoch ist und keine fiesen Spitzen hat, und stapft ums Haus herum. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie mit ihren Handschuhen den Schnee weggekratzt und ein paar Steinchen in der richtigen Größe aufgeklaubt hat. Als sie die Steinchen an Lorenzos Fenster wirft, kommt sie sich ein bisschen albern vor – solche Sachen machen doch eigentlich nur Leute in Filmen. Doch ihr ganzer Körper ist angespannt, als sie wartet, was jetzt passieren wird. Er hat einen leichten Schlaf, vielleicht geht jetzt schon seine Lampe an, jetzt gleich ...

      Stille. Dunkelheit.

      Maja wirft noch ein Steinchen, und noch eins. Nichts passiert. Die Kälte kriecht unter ihre Kleidung und Maja wehrt sich nicht mehr dagegen, starrt nur hilflos nach oben. Was ist los? Warum wacht er nicht auf? Ist er nicht da? Aber warum sollte er denn weg sein?

      Sie ist umsonst hergekommen. Wahrscheinlich wird sie Lorenzo nicht wiedersehen. Das war´s dann wohl mit der letzten Chance.

      Sehr, sehr langsam kehrt Maja um. Nicht mal ihre Fußspuren wird er morgen im Garten finden, wenn es so weiterschneit. Soll sie ihm irgendeine Nachricht hinterlassen? Aber sie hat kein Papier, keinen Stift, wie konnte sie die nur vergessen?

      In der Einfahrt steht der Familienwagen, ein silberner VW. Maja ist trostlos zumute, als sie ein letztes Zeichen für Lorenzo auf die verschneiten Autoscheiben malt:

      M ((Herz)) L

      Dann schwingt sie sich wieder aufs Rad.

      „Soso.“ Der Polizeibeamte verschränkt die Arme. „Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen, um eine Straftat zu verhindern.“

      „Ich ...“, bringt Lorenzo heraus, doch es gibt keine Ausrede, die auch nur halbwegs passen


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