Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис

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Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис


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Wochen an einem fast einen Meter hohen Vulkanmodell aus Pappmaché, das er mit rot-gelben Lavaströmen bemalt hat.

      „Er soll nämlich richtig Feuer spucken, und ich weiß nicht, wie ich das hinkriegen soll“, meint Elias.

      „Ich müsste mal im Internet nachschauen, ob so was überhaupt geht“, wendet Maja ein. „Außerdem klingt das ziemlich gefährlich.“

      „Aber es ist wichtig, dass der Vulkan richtig ausbrechen kann! Sonst kann ich doch nicht ...“

      Es ist fünf Uhr und das Festnetz-Telefon klingelt. Ganz kurz wundert sich Maja, warum sich Jana nicht auf dem Handy meldet, aber da hat sie schon abgenommen.

      Doch es ist nicht Janas Stimme, die aus dem Hörer dringt. Sondern die eines Mannes. Maja erkennt sie sofort und ein eisiger Schauer rieselt durch ihren ganzen Körper.

      „Ihr dachtet, ihr seid mich los, was?“, sagt der Mann. „Aber ich weiß, wo ihr seid. Sag deiner Mutter, sie soll zu mir zurückkommen. Sonst killen wir euch ...“

      Das Telefon fällt Maja aus der Hand und kracht auf den Boden.

      Nein!

       Nein!

      Flucht

      Zur Schule zu gehen, kommt nicht mehr in frage, zu riskant. Eine halbe Stunde später sitzen sie alle drei bei der Polizei, vor ihnen eine Beauftragte für Familie und Kinder. Lila schreit beinahe. „Wie konnte denn das passieren? Wie kann dieser Mistkerl überhaupt an ein Telefon herankommen, wenn er in Haft ist?“

      Die dunkelhaarige Polizeibeamtin, die Koretzki heißt oder so ähnlich, verzieht das Gesicht. „Natürlich darf er im Gefängnis normalerweise nicht telefonieren, das versteht sich von selbst. Aber wenn die wirklich entschlossen sind, schaffen sie es doch irgendwie, sich ein illegales Handy zu besorgen. Oder Drogen, oder sonstwas. Aha, ich sehe in den Unterlagen, dass die Gefängnisverwaltung mehrere seiner Briefe an Sie gar nicht erst an Sie zugestellt hat, weil sie Drohungen enthielten.“

      Um Maja dreht sich alles, sie kann kaum klar denken. In ihrem Gehirn läuft eine Endlosschleife. Ihr dachtet, ihr seid mich los, was? Wieso hat sie den Hörer überhaupt abgenommen? Das hat sie jahrelang nicht getan, wer etwas von ihr wollte, musste auf den Anrufbeantworter sprechen. Aber ich weiß, wo ihr seid. Wie hat er das nur herausgefunden? Und die Nummer?

      Das Gespräch rauscht an ihr vorbei. „Was ist mit Sicherheitsverwahrung? Können Sie ihn nicht drinbehalten, wegen Rückfallgefahr oder so was? Diese Briefe zeigen doch klar und deutlich, dass er mit uns noch etwas vorhat!“ Lilas Stimme ist noch immer laut, viel zu laut.

      „Ich fürchte, so etwas ist rechtlich leider nicht möglich. Wir werden ihn uns natürlich vorknöpfen und ihm klarmachen, dass wir ihn im Auge behalten.“

      „Gefährderansprache, ja klar. Hat die Polizei in Marburg auch schon gemacht, aber besonders beeindruckt hat ihn das nicht! Er hat einfach weitergemacht! Dieser Mann meint es ernst, wenn er uns droht!“

      „Bitte beruhigen Sie sich, Frau Köttnitz. Ich weiß, das ist eine wirklich schwere Situation für Sie. Ich werde auf jeden Fall den Kollegen Bescheid geben, damit sie auf Streife besonders häufig an Ihrem Haus vorbeifahren.“

      Lila hat den Arm um Elias gelegt, hält ihn ganz nah bei sich. Stumm und verstört hört er zu, am liebsten würde Maja ihm die Ohren zuhalten.

      Mit einem schnellen, besorgten Blick prüft Lila, wie es ihm geht, dann atmet sie tief durch. „Danke.“ Maja erkennt den Ton in ihrer Stimme – ihre Mutter versucht gerade, ruhig und vernünftig zu klingen. „Aber ich glaube nicht, dass das reicht. Sie wissen natürlich nicht, was in Marburg schon alles passiert ist. Ist Ihnen klar, dass Herr Barsch wahrscheinlich nicht allein handelt?“

      „Sind Sie sicher?“ Die Polizeibeamtin klingt skeptisch. „Stalking und häusliche Gewalt sind gewöhnlich...“

      Maja spürt, wie ihre Mutter neben ihr tief Luft holt. „Anders ist nicht zu erklären, was wir erlebt haben. Auf uns ist geschossen worden, während Robert Barsch schon in Haft war. Das steht sicher auch in irgendeiner Akte, vielleicht können Sie mal nachschauen.“

      „Zum Glück sind wir nicht getroffen worden“, meldet sich Elias schüchtern zu Wort. „Es hat nur ziemlich laut geknallt.“

      „Du erinnerst dich noch daran?“ Die Polizeibeamtin ist erstaunt. „Obwohl das drei Jahre her ist? Wie alt bist du denn?“

      „Sieben“, sagt Elias leise und schmiegt sich noch enger in Lilas Arm.

      Auch Maja erinnert sich daran. Sie waren gerade von einem Besuch bei Majas Opa Friedrich in einem Vorort von Marburg zurückgekommen und zu ihrem Auto gegangen, als sie plötzlich ein lautes Knallen gehört hatten. Feuerwerk, hatte Maja gedacht ... und dann hatte sie das Loch in der Plakatwand neben sich gesehen. Lila war in einen Blumenladen gerannt, an dem sie gerade vorbeikommen waren, und hatte Elias mit sich gezerrt. Maja war hinterhergestolpert und hinter der Theke in Deckung gegangen, während die Besitzerin des Ladens noch völlig verwirrt das Einschussloch in ihrer Ladentür angestarrt hatte. Während die Spurensicherung am Werk war, hatte eine Streife Lila, Elias und Maja auf die Wache und später zurück zu ihrem Auto gebracht. Kurz darauf waren sie nach Offenbach gezogen – bloß weg!

      „Möglicherweise hat er Verbindungen zur Mafia“, berichtet Lila. „Es gab da seltsame Telefonate und Treffen ... Robert hat darauf geachtet, dass ich nichts mithören kann und diesen Leute nicht begegne, aber einmal habe ich gesehen, wie er sich mit zwei Typen, die ziemlich brutal wirkten, vor dem Haus unterhalten hat ... vielleicht hat er diese Leute im Gefängnis kennengelernt? Er war ja schon mal ein paar Monate drin ...“

      „Und man weiß gar nichts über diese Leute, die auf Sie geschossen haben? Das ist tatsächlich besorgniserregend.“ Die Polizeibeamtin macht sich Notizen und tippt etwas in den Computer. „Andererseits ist in den letzten drei Jahren nichts passiert, oder?“

      Lila wirkt nicht, als fände sie das beruhigend. „Aber wenn er es jetzt geschafft hat, zu seinen Freunden Kontakt aufzunehmen ... das heißt doch, dass wir wieder auf irgendeiner Abschlussliste stehen! Und wenn Robert erst mal draußen ist, wird es noch viel schlimmer ... Es sind nur noch vier Tage, was sollen wir denn machen, verdammt? Wir haben doch schon alles getan!“

       Ihr dachtet, ihr seid mich los, was? Ihr dachtet, ihr seid ...

      „Maja?“ Jemand redet mit ihr. Mühsam reißt sich Maja zurück in die Wirklichkeit.

      „Bist du ganz sicher, dass er wir gesagt hat bei diesem Anruf?“, fragt die Polizeibeamtin.

      „Ja, ich bin ganz sicher“, sagt Maja fest.

      Sag deiner Mutter, sie soll zu mir zurückkommen. Sonst killen wir euch! „Nach dem, was Sie mir bisher erzählt haben, ist es zumindest möglich, dass er Verbündete hat“, sagt die Polizeibeamtin nachdenklich. „Moment.“ Sie geht in ein anderes Zimmer, redet mit einem Kollegen, dann hört Maja, wie sie telefoniert.

      Erschöpft sitzen sie alle drei in diesem Büro, in dem es nach alten Akten, Kaffee und Angst riecht. Elias hat die Ellenbogen auf die Knie gestützt und starrt auf seine geliebten Turnschuhe, in denen bei jeder Bewegung kleine LEDs aufblinken. Lila zieht ihn wieder in ihre Arme, gibt beruhigende Geräusche von sich, doch Maja sieht, dass ihre Augen weit aufgerissen sind. Sie ist völlig fertig, das ist klar. Und um Majas Nerven steht es nicht viel besser, sie fühlen sich an wie angesägte Drähte, die jeden Moment reißen können. Maja überlegt, ob sie Lorenzo anrufen kann, sie sehnt sich so sehr danach, ihm alles zu erzählen. Doch auf dem Weg zur Wache hat sie ihr Handy ausgeschaltet, es ist nicht mehr sicher, vielleicht hat Robert Barsch auch diese Nummer?

      Auf irgendeinem Brief steht der Name der Beamtin. KHK Nina Koretzki. Kriminalhauptkommissarin. Maja kennt sich längst mit den Abkürzungen aus. Auf dem Schreibtisch stehen ein paar gerahmte Fotos, eines zeigt ein Pferd – einen Schimmel mit langer Mähne –, ein anderes KHK Koretzki beim Skilaufen mit einem dunkelhaarigen


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