Das Buch von der höchsten Wahrheit. Jan van Ruysbroeck
Читать онлайн книгу.erleuchteten, aufwärts steigenden Menschen ist das sinnliche Leben dem Geiste anhangend. Darum sind dessen Gefühlskräfte mit herzlicher Liebe zu Gott gefügt, und seine Natur ist mit allem Guten erfüllt; und er fühlt, daß sein geistiges Leben unmittelbar an Gott hängt. Und deshalb sind seine obersten Kräfte zu Gott erhoben mit ewiger Minne, und von göttlicher Wahrheit durchdrungen und gefestigt in bildloser Freiheit. Und somit ist er Gottes voll und überströmend ohne Maß. In dem Überströmen geschieht das wesentliche Entfließen oder Entsinken in die überwesentliche Einheit, und da ist die unterschiedlose Einigung, wie ich schon öfter gesagt habe.
Denn in der Überwesenheit enden all unsere Wege. Wollen wir mit Gott die hohen Wege der Minne gehen, dann werden wir mit ihm ewiglich ohne Ende ruhen; und demgemäß sollen wir ewiglich hintreten, eingehen, und rasten in Gott.
Ich kann euch nun für diesmal meine Meinung nicht klarer auseinandersetzen.
In allem, was ich verstehe, fühle, oder geschrieben habe, unterwerfe ich mich dem Gutachten der Heiligen und der heiligen Kirche; denn ich will leben und sterben als Christi Knecht, im christlichen Glauben, und verlange, mit der Gnade Gottes ein lebendiges Glied der heiligen Kirche zu sein.
Und so sollt auch ihr euch, wie ich schon sagte, vor den betrogenen Menschen hüten, die mit Hilfe ihrer untätigen Bildlosigkeit, mit ihrem nackten einfachen Sehen auf natürliche Weise, in sich das Wesen Gottes gefunden haben und mit Gott eins sein wollen, ohne Gottes Gnade, ohne Übung von Tugend, und ungehorsam Gott und der heiligen Kirche. Sie wollen mit all dem verkehrten Leben, das ich schilderte, Eins sein mit Gottes Sohn von Natur. Da aber der Fürst der Engel aus dem Himmel geworfen wurde, als er sich vermaß und Gott gleich sein wollte, und da der erste Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde, weil er Gott gleich sein wollte: wie soll denn da der erbärmliche Sünder (d. i. der ungläubige Christ, der selber Gott sein will, ohne Ähnlichkeit an Gnade und Tugend) von der Erde in den Himmel kommen?
Durch eigene Kraft steigt niemand auf in den Himmel, als nur des Menschen Sohn Jesus Christus. Darum müs¬sen wir uns mit ihm vereinigen durch Gnade, Tugend und christlichen Glauben; dann werden wir mit ihm dahin aufsteigen wohin er vorangegangen ist.
Denn am jüngsten Tage werden wir alle auferstehen, jeglicher mit seinem eigenen Leichnam, und dann werden die, so gute Werke vollbracht haben, in das ewige Leben eingehen, und die schlechte Werke vollbracht haben, die gehen in das ewige Feuer.
Das sind zwei ungleiche Enden, die sich nie vereinigen können, weil eines stets vor dem anderen flieht. Betet für den, der dies verfasst und geschrieben hat, dass Gott sich· seiner erbarme, dass sein armer Anfang, seine und unser aller elende Mitte, zu einem seligen Ende gebracht werde; das verleiht uns allen Jesus Christus,der lebendige Sohn Gottes.
„Amen“.
Hört ihr eine Predigt oder gute Lehre, so merket sie euch wohl; aber mehr des Lebens als des Wissens wegen:
Denn wer viel weiß und nicht danach lebt, der verliert seine Zeit.
Vom glänzenden Stein
Ein Leben, das aus dem Schauen und Genießen Gottes kommt.
Vorrede
Ein Mensch, der im vollkommensten Stande der heiligen Kirche leben will, der muss ein ernsthafter guter Mensch sein, ein innerlicher geistlicher Mensch, ein erhobener, gottschauender Mensch, und ein mitteilender allgemeiner Mensch. - Sind diese vier Stücke in ihm zusammen vorhanden, dann ist sein Stand vollkommen. Er wächst und nimmt allezeit zu durch Mehrung der Gnade in allen Tugenden und in Erkenntnis der Wahrheit, vor Gott und allen rechtschaffenen Menschen.
Durch drei Stücke wird der Mensch gut.
Nun vernehmet drei Stücke, die einen guten Menschen ausmachen.
Das Erste, was ein guter Mensch haben muss, das ist ein reines Gewissen, ohne Anklage von Todsünden. Wer deshalb ein guter Mensch werden will, der muss sich mit gehöriger Unterscheidung prüfen und erforschen, von der Zeit an, dass er sündigen konnte. Und von dieser Zeit an muss er sich reinigen nach der Vorschrift und dem Brauch der heiligen Kirche.
Das Zweite, was zu einem guten Menschen gehört, ist, dass er in Allem, Gott, der heiligen Kirche, wie auch seiner eigenen Überzeugung gehorsam sein muss. Diesen Dreien muss er gleich gehorsam sein, dann lebt er ohne Zweifel und Sorge, und er bleibt immer ohne Vorwürfe bei all seinem Tun.
Das Dritte, was jeder gute Mensch braucht, das ist, dass er in seinem ganzen Thun hauptsächlich Gottes Ehre im Sinne habe. Wenn er aber auch infolge von Beschäftigung und allerlei Arbeit nicht stets Gott vor Augen hat, so muss doch mindestens die Meinung und das Verlangen in ihm feststehen, dem liebsten Willen Gottes gemäß zu leben. Siehe, diese drei Stücke, wenn man sie derart besitzt, machen, dass man ein guter Mensch ist.
Wem aber eins von den Dreien fehlt, der ist weder gut noch in der Gnade Gottes. Sobald jedoch irgend ein Mensch in seinem Herzen den Beschluß faßt, diese drei Punkte zu beobachten, so wird er in demselben Augenblick gut, wie schlimm er auch vorher gewesen sein mag und er ist Gott angenehm und voll der Gnade Gottes:
Durch drei Stücke wird der Mensch innerlich.
Soll nun aber dieser gute Mensch weiter ein innerlicher geistlicher Mensch werden, so gehören dazu noch drei weitere Stücke. Das erste ist Bildlosigkeit des Herzens, das zweite ist geistliche Freiheit in der Begierde, das dritte ist das Gefühl innerlicher Einigung mit Gott.
Nun beobachte sich ein‘ jeder, dem es dünkt, er sei geistlich. Will jemand bildlos sein von Herzen, so kann er kein Ding mit Liebe besitzen noch mit Willenszuneigung an Jemanden hangen oder mit ihm verkehren; denn aller Verkehr und alle Liebe, die nicht rein die Ehre Gottes bezwecken, bringen Bilder in das menschliche Herz, weil sie nicht aus Gott geboren sind, sondern aus dem Fleisch.
Soll darum ein Mensch geistlich werden, so muss er alle fleischliche Lust und Liebe verleugnen, an Gott allein mit Lust und Liebe hangen und ihn dadurch besitzen. Damit wird alle Verbildetheit und ungeordnete Liebe zu den Kreaturen beseitigt. Aber Gott durch die Liebe besitzen, das macht den Menschen von innen bildlos; denn Gott ist ein Geist, von dem niemand sich ein eigentliches Bild machen kann. Wohl aber soll der Mensch in der Uebung gute Bilder zu Hilfe nehmen, wie das Leiden unseres Herrn, und alles was zur Vertiefung der Andacht anregen kann. Im Besitze Gottes aber muß der Mensch sich in die nackte Bildlosigkeit begeben, die Gott ist.
Das ist das erste Stück und das Fundament eines geistlichen Lebens.
Das zweite ist die innere Freiheit. Durch diese vermag sich der Mensch bildlos und ungehindert zu Gott zu erheben in allen innerlichen Übungen, d. i. in Dank und Lob, in Würdigkeit, in dem andächtigen Gebet einer in¬nigen Liebe, und in allem was Lust und Liebe, mit Beihilfe Gottes, und durch innerlichen Ernst, in allen geistigen Übungen zu wirken vermag.
Vermittelst dieser innerlichen Übung erreicht man das dritte, und das ist, dass man eine geistige Einigung mit Gott fühlt. So jemand in seiner innerlichen Übung einen bildlosen freien Aufgang zu seinem Gott hat, und nichts meint als die Ehre Gottes, so muss er die Güte Gottes schmecken und er muss von innen eine wahrhafte Einigung mit Gott fühlen. In dieser Einigung erreicht man das innere geistliche Leben. Es wird nämlich in dieser Einigung das Verlangen stets von neuem gereizt und zu erneuter innerer Tätigkeit erweckt; und so wirkend, geht der Geist aufwärts in einem neuen Vereinigen.
So erneut sich Werk und Einigung fortwährend, und dieses Erneuern in Wirken und Einigung, das ist ein geistliches Leben. Und so könnt ihr nun ersehen, wie der Mensch gut ist vermittelst sittlicher Tugenden und rechter Meinung, und wie er geistlich werden kann vermittelst innerer Tugend und Einigung mit Gott. Ohne die genannten Punkte aber vermag er weder gut noch geistlich zu sein.
Durch drei Stücke wird der Mensch schauend.
Ihr müsst aber ferner wissen: Soll dieser geistliche Mensch nun ein gottschauender Mensch werden, so gehören dazu ebenfalls drei Stücke oder Punkte. Erstens, dass er das Fundament seines Wesens grundlos fühle; und dazu muss er es besitzen.
Zweitens, dass seine Übung weiselos [ohne Form oder Methode] sei.