Die Flusspiraten des Mississippi. Gerstäcker Friedrich

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Die Flusspiraten des Mississippi - Gerstäcker Friedrich


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Zweige auf sie niederlächelnden Himmel emporblickte – „da drüben, wo Ihr die lichten Stellen erkennen könnt, fließt der Wabasch – keine tausend Schritt von hier, und das Flatboot kann heut Abend mit dem besten Willen von der Welt noch nicht hier vorbeikommen. Sobald es dunkel wird, müssen sie beilegen, denn den Snags und Baumstämmen, mit denen der ganze Fluß gespickt ist, wiche Gott Vater selbst nicht im Dunkeln aus, und wenn er sich mit seinen ganzen himmlischen Heerscharen ans Steuer stellte. Überdies hatten sie von da, wo wir sie verließen, einen Weg von wenigstens fünfzehn Meilen zu machen, während wir die Biegung des Flusses hier kurz abschnitten.“

       „Ihr scheint mit dieser Gegend sehr vertraut?“ sagte der Alte.

       „Sollte denken“, erwiderte jener sinnend, „habe hier zwei Jahre gejagt und weiß jeden Baum und Bach. Es war damals, ehe ich Dickson kennen lernte, mit dessen Schoner ich später nach Brasilien ging. Der arme Teufel hätte auch nicht gedacht, daß er dort solch ein schmähliches Ende nehmen sollte.“

       „Das habt Ihr mir noch nicht erzählt.“

       „Heut Abend vielleicht. – Jetzt, denk’ ich, schlagen wir ein Lager auf und gehen dann mit Tagesanbruch zum Fluß hinunter, wo wir warten können, bis unser Boot kommt.“

       „Wie schaffen wir aber das Wild hinab? Wenn’s auch nicht weit ist, werden wir doch tüchtig dran zu schleppen haben.“

       „Ei, das lassen wir hier,“ rief der Jüngere, während er aufsprang und seinen Gürtel fester schnallte. „Wollen die Burschen Bärenfleisch essen, so mögen sie sich’s auch selber holen.“

       „Wenn sie aber nun vorbeiführen?“

       „Denken nicht dran“, sagte Tom, „überdies weiß Bill, der Steuermann, daß er uns hier in der Gegend erwarten muß, im Fall wir nicht früher einträfen; also haben wir in der Hinsicht keineswegs zu fürchten, daß wir sitzen bleiben. Wetter noch einmal, das Boot wird doch nicht ohne seinen Kapitän abfahren wollen!“

       „Auch gut!“ sagte der alte Edgeworth, während er dem Beispiel seines jüngeren Gefährten folgte und sich zum Aufbruch rüstete. „Dann schlag’ ich aber vor, daß wir die Rippen und sonst noch ein paar gute Stücke herausschneiden, das übrige hier aufhängen, und nachher dort links hinunter gehen, wo, dem Aussehen der Bäume nach, ein Bach sein muß. Frisches Wasser möcht’ ich die Nacht doch haben.“

       Diese Vorsicht war nötig, die Männer gingen deshalb schnell an die Arbeit, die kurze Tageszeit noch zu benutzen. Sie fanden auch den Quell und neben ihm eine ganz ungewöhnliche Menge von dürren Ästen und Zweigen, von denen freilich schon ein großer Teil halb verfault war. Das meiste davon ließ sich aber noch trefflich zum Lagerfeuer benutzen, und an der schnell entzündeten Glut staken bald die Rippenstücke des erlegten Bären, während die Jäger, auf ihren Decken ausgestreckt, der Ruhe pflegten und in die züngelnden Flammen starrten.

       Die beiden Männer gehörten, wie auch der Leser schon aus ihrem Gespräch entnommen haben wird, zu einem Flatboot, das von Edgeworth’s oben am Wabasch liegender Farm mit einer Ladung von Whisky, Zwiebeln, Äpfeln, geräucherten Hirschschinken, getrockneten Pfirsichen und Mais nach New Orleans oder irgend einem der weiter oben gelegenen Landungsplätze steuerte, wo sie hoffen konnten, ihre Produkte gut und vorteilhaft zu verkaufen. Der alte Edgeworth, ein wohlhabender Farmer aus Indiana, und Eigentümer des Boots und der Ladung, führte auch eine ziemliche Summe baren Geldes bei sich, um in einer der südlichen Städte, vielleicht in New Orleans selbst, Waren einzukaufen und sie mit in seine, dem Verkehr etwas entlegene, Niederlassung zu schaffen. Er war erst vor zwei Jahren an den Wabasch gezogen, und hatte früher im Staate Ohio, am Miami gelebt. Dort aber fühlte er sich nicht länger wohl, da die mehr und mehr zunehmende Bevölkerung das Wild verjagte oder vertrieb, und der alte Mann doch „dann und wann einmal“, wie er sich ausdrückte, „eine vernünftige Fährte im Walde sehen wollte, wenn er nicht ganz melancholisch werden sollte.“

       Tom dagegen, ein entfernter Verwandter von ihm und eine Waise, hatte vor einigen Jahren ebenfalls große Lust gezeigt, sich hier am Wabasch häuslich niederzulassen. Plötzlich aber und ganz unerwartet änderte er seinen Sinn, und als er zufällig den alten Dickson, einen Seemann und früheren Jugendfreund seines Vaters, traf, ging er sogar wieder zur See.

       Damals schiffte er sich in Cincinnati an Bord des dort von Dickson gebauten Schoners ein, der eine Ladung nördlicher Produkte nach New Orleans führte, diese hier verkaufte, Fracht für Havanna einnahm und dann eine Zeit lang die südlichen Küsten Amerikas befuhr, bis ihn in Brasilien, wie Tom schon vorher erwähnt, sein böses Geschick ereilte.

       Wenn nun auch erst seit kurzem von seinen Kreuz- und Querzügen zurückgekehrt, schien ihm die Heimat doch wenig zu bieten, was ihn fesseln konnte. Er war wenigstens gern und gleich bereit, den alten Edgeworth wieder auf seiner Fahrt stromab zu begleiten, und bewies eine so gänzliche Gleichgültigkeit gegen alles das, was seinen künftigen Lebenszweck betraf, daß Edgeworth oft den Kopf schüttelte und meinte, es sei hohe Zeit für ihn gewesen, zurückzukommen und ein ehrbar ordentlicher Farmer zu werden, er wäre sonst auf der See und zwischen all’ den sorglos ins Leben hineintaumelnden Kameraden ganz und gar verwildert und verwahrlost.

       Um nun aber die Einförmigkeit einer Flatbootfahrt wenigstens in etwas zu beleben, waren sie hier, wo der Fluß einen bedeutenden Bogen machte, mit ihren Büchsen ans Land gesprungen und hatten auch schon, vom Glück begünstigt, ein vortreffliches Stück Wild erlegt. Das Boot, gezwungen den Krümmungen des Flusses zu folgen, verfolgte indessen unter der Aufsicht von fünf kräftigen Hosiers5 seine langsame Bahn und trieb mit der Strömung zu Tal.

       „So laß ich mir’s im Walde gefallen“, sagte endlich Tom nach langer Pause, indem er sich auf sein Lager zurückwarf und zu den von der darunter lodernden Glut beleuchteten Zweigen emporschaute. „So kann man’s aushalten – Bärenrippen und trockenes Wetter – etwas Honig fehlt noch; solch junges Fleisch schmeckt aber auch ohne Honig delikat. Blitz und Tod! Manchmal, wenn ich so auf Deck lag, wie jetzt hier unter den herrlichen Bäumen, zu eben den Sternen in die Höhe schaute und dann das Heimweh bekam – Edgeworth, ich sage Euch, das – Ihr habt wohl nie das Heimweh gehabt?“

       „Das Heimweh? Nein“, erwiderte der alte Mann seufzend, während er seine Büchse mit frischem Zündpulver versah und diese, das Schloß mit dem Halstuch bedeckend, neben sich legte6, „das nicht, aber anderes Weh gerade genug. – Sprechen wir nicht davon, ich will mir den Abend nicht gern verderben. Ihr wolltet mir ja erzählen, was in Brasilien mit Dickson, oder wie er sonst hieß, geschah.“

       „Nun, wenn das dazu dienen soll, Euch aufzuheitern“, brummte Tom, „so habt Ihr einen wunderlichen Geschmack. Aber so ist es mit uns Menschen, wir hören lieber Trauriges von anderen, als Lustiges von uns selbst. Doch, meine Geschichte ist kurz genug.

       Wir waren in die Mündung eines kleinen Flusses, San Jose, eingelaufen und gedachten dort, unsere Ladung von Whisky, Mehl, Zwiebeln und Zinnwaren – mit denen letzteren wir einen besonders guten Handel zu machen erwarteten – an die Eingeborenen und Pflanzer zu verkaufen. Eine bezeichnete Plantage hatten wir aber an dem Abend nicht mehr erreichen können, befestigten unser kleines Fahrzeug deshalb mit einem guten Kabeltau an einem jungen Palmbaum, der nicht weit vom Ufer stand, kochten unsere einfache Mahlzeit, spannten die Mosquitonetze auf und legten uns schlafen.

       Eine Wache auszustellen oder sonstige Vorsichtsmaßregeln zu treffen, fiel niemandem ein; nur hatten wir den Schoner etwas lang gehangen7, damit er neben einen im Wasser festliegenden Stamm kam und nicht dicht ans Ufer konnte. Sonst träumten wir von keiner Gefahr und hielten auch wirklich die Gegend für ganz sicher und gefahrlos. –

       Ich weiß nicht, wie spät es in der Nacht gewesen sein kann, als Dickson, der dicht neben mir lag, mich in die Seite stieß und frug, ob ich nichts höre.

       Halb im Schlafe noch mocht’ ich ihm wohl etwas mürrisch geantwortet haben, zum Teufel zu gehen und andere Leute in Ruhe zu lassen, auch wahrscheinlich wieder eingeschlafen sein, da fühlte ich, wie er mich bald darauf zum zweiten Mal, und zwar diesmal ziemlich derb, an der Schulter faßte und leise flüsterte: ‚Munter, Tom! Munter!


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