Das Buch der Bilder. Rainer Maria Rilke

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Das Buch der Bilder - Rainer Maria Rilke


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      an deine Sehnsucht schluchzend angelehnt.—

      Gib ihr ein Schweigen, daß die Seele leise

      heimkehre in das Flutende und Viele,

      darin sie lebte, wachsend, weit und weise,

      eh du sie zwangst in deine zarten Spiele.

      Wie sie schon matter mit den Flügeln schlägt:

      So wirst du, Träumer, ihren Flug vergeuden,

      daß ihre Schwinge, vom Gesang zersägt,

      sie nicht mehr über meine Mauern trägt,

      wenn ich sie rufen werde zu den Freuden.

      DIE ENGEL

      Sie haben alle müde Münde

      und helle Seelen ohne Saum.

      Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)

      geht ihnen manchmal durch den Traum.

      Fast gleichen sie einander alle;

      in Gottes Gärten schweigen sie,

      wie viele, viele Intervalle

      in seiner Macht und Melodie.

      Nur wenn sie ihre Flügel breiten,

      sind sie die Wecker eines Winds:

      Als ginge Gott mit seinen weiten

      Bildhauerhänden durch die Seiten

      im dunklen Buch des Anbeginns.

      DER SCHUTZENGEL

      Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,

      wenn ich erwachte in der Nacht und rief.

      Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen

      ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.

      Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,

      und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen,—

      du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen,

      der dich ergänzt in glänzendem Relief.

      Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen.

      Du bist der Anfang, der sich groß ergießt,

      ich bin das langsame und bange Amen,

      das deine Schönheit scheu beschließt.

      Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen,

      wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien

      und wie Verlorengehen und Entfliehn,—

      da hobst du mich aus Herzensfinsternissen

      und wolltest mich auf allen Türmen hissen

      wie Scharlachfahnen und wie Draperien.

      Du: der von Wundern redet wie vom Wissen

      und von den Menschen wie von Melodien

      und von den Rosen: von Ereignissen,

      die flammend sich in deinem Blick vollziehn,—

      du Seliger, wann nennst du einmal Ihn,

      aus dessen siebentem und letztem Tage

      noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage

      verloren liegt.

      Befiehlst du, daß ich frage?

      MARTYRINNEN

      Martyrin ist sie. Und als harten Falls

      mit einem Ruck

      das Beil durch ihre kurze Jugend ging,

      da legte sich der feine rote Ring

      um ihren Hals und war der erste Schmuck,

      den sie mit einem fremden Lächeln nahm:

      aber auch den erträgt sie nur mit Scham.

      Und wenn sie schläft, muß ihre junge Schwester

      (die, kindisch noch, sich mit der Wunde schmückt

      von jenem Stein, der ihr die Stirn erdrückt,)

      die harten Arme um den Hals ihr halten,

      und oft im Traume fleht die andre: Fester, fester.

      Und da fällt es dem Kinde manchmal ein,

      die Stirne mit dem Bild von jenem Stein

      zu bergen in des sanften Nachtgewandes Falten,

      das von der Schwester Atmen hell sich hebt,

      voll wie ein Segel, das vom Winde lebt.

      Das ist die Stunde, da sie heilig sind,

      die stille Jungfrau und das blasse Kind.

      Da sind sie wieder wie vor allem Leide

      und schlafen arm und haben keinen Ruhm,

      und ihre Seelen sind wie weiße Seide,

      und von derselben Sehnsucht beben beide

      und fürchten sich vor ihrem Heldentum.

      Und du kannst meinen: Wenn sie aus den Betten

      aufstünden bei dem nächsten Morgenlichte

      und, mit demselben träumenden Gesichte,

      die Gassen kämen in den kleinen Städten,—

      es bliebe keiner hinter ihnen staunen,

      kein Fenster klirrte an den Häuserreihn,

      und nirgends bei den Frauen ging ein Raunen,

      und keines von den Kindern würde schrein.

      Sie schritten durch die Stille in den Hemden

      (die flachen Falten geben keinen Glanz)

      so fremd und dennoch keinem zum Befremden,

      so wie zu Festen, aber ohne Kranz.

      DIE HEILIGE

      Das Volk war durstig; also ging das eine

      durstlose Mädchen, ging die Steine

      um Wasser flehen für ein ganzes Volk.

      Doch ohne Zeichen blieb der Zweig der Weide,

      und sie ermattete am langen Gehn

      und dachte endlich nur, daß einer leide,

      (ein kranker Knabe, und sie hatten beide

      sich einmal abends ahnend angesehn).

      Da neigte sich die junge Weidenrute

      in ihren Händen dürstend wie ein Tier:

      jetzt ging sie blühend über ihrem Blute,

      und rauschend ging ihr Blut tief unter ihr.

      KINDHEIT

      Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit

      mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen.

      O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen....

      Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen,

      und auf den Plätzen die Fontänen springen,

      und in den Gärten wird die Welt so weit.—

      Und durch das alles gehn im kleinen Kleid,

      ganz


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