Buntes Treiben. Gerstäcker Friedrich

Читать онлайн книгу.

Buntes Treiben - Gerstäcker Friedrich


Скачать книгу

      „So mache nur jetzt wenigstens, daß Du in's Bett kommst," sorgte die Frau - „es ist doch wieder recht frisch geworden. Denke nur, was aus uns werden sollte, wenn Du krank würdest."

      Andreas folgte dem Rath, es war ihm überhaupt heute gar nicht mehr darum zu thun, viel zu sprechen, wo er so viel zu denken hatte, und er lag auch noch lange, lange Zeit in seinem Bett, über das Erlebte nachgrübelnd, bis ihm endlich selber die Augen zufielen. - Aber wie sonderbar war ihm erst am nächsten Morgen zu Muthe, als ihm die gestrige Erscheinung wieder einfiel und jetzt mehr wie ein wüster Traum, wie als etwas wirklich Gesehenes vorkam.

      Es war Sonntag, und er mußte früh in die Kirche, um sich an die Glocke zu hängen und damit den frommen Christen ein Zeichen zu geben, daß sie sich ein wenig rasch rasirten und in ihren Sonntagsstaat würfen, da die Predigt bald beginne. Aber an was dachte er dabei? Es schauderte ihm selber, wenn er sich dessen klar wurde, und er suchte die Gedanken gewaltsam von sich abzuschütteln - wenn ihm das nur möglich gewesen wäre.

      An dem Nachmittag ging er zum Chaussee-Einnehmer hinaus, um sich mit diesem ein wenig zu unterhalten. Er fühlte das dringende Bedürfniß sich mitzutheilen, und wagte cs trotzdem nicht; denn durfte er hoffen, gerade bei Bellermeier, der immer gern für einen Freigeist gelten wollte, Glauben zu finden? Es war nicht denkbar. Dadurch fühlte er sich niedergedrückt, und dem kleinen Chaussee-Einnehmer konnte es nicht lange verborgen bleiben, daß dem Schulmeister etwas auf der Seele liege. Seiner Meinung nach konnte das aber natürlich nichts Anderes sein, als die bevorstehende Schulinspection.

      „Hört einmal, Schulmeister," rief er endlich, „das ist langweilig, Ihr nehmt Euch die Sache viel zu sehr zu Herzen. Ob die Schwarzröcke einmal die Nase in Eure Schulstube stecken oder nicht, was kümmert das Euch hier in Holzhäusel? Höher versetzt könnt Ihr nicht mehr werden, /27/ Ihr schneidet aber, hol' mich der Deubel, ein Gesicht, als ob Ihr schon heute auf der Armesünderbank säßet."

      „Lieber Herr Chaussee-Einnehmer," bat Andreas freundlich, „thun Sie mir den einzigen Gefallen und sagen Sie nicht immer: „hol' mich der Teufel" - es ist - man weiß doch nicht - und noch dazu an einem Sonntag."

      „Nanu!" lachte aber der kleine Mann gerade heraus und sah den Schulmeister ordentlich erstaunt an. „Was ist Ihnen denn heute in die Perrücke gefahren, Schulmeister, denn der Sonntag hat Sie doch sonst eben nicht genirt? Weshalb soll ich nicht sagen: hol' mich der Deubel?"

      „Es ist doch eigentlich Gotteslästerung."

      „Wenn ich sage, hol' mich der Deubel? Hehehehehe, Sie sind wirklich göttlich! Was hat denn der liebe Gott mit dem Deubel zu thun? Hören Sie, hören Sie, Schulmeister, Sie arbeiten sich doch nicht etwa auf den Mucker los? Dann sind wir wenigstens die längste Zeit Freunde gewesen, was mir hier, in dem verbrannten Nest, unendlich leid thun sollte."

      „Mein lieber Herr Chaussee-Einnehmer," sagte Pech, „man braucht noch kein Mucker zu sein, um an solchen gefährlichen Worten keine Freude zu finden -"

      „Gefährlichen Worten!" lachte aber Bellermeier wieder, „lieber Herr Schulmeister, nehmen Sie mir's nicht übel, aber ich vermuthe fast, es muß bei Ihnen irgendwo im Gehirnkasten eine Schraube losgegangen sein."

      Andreas hatte es auf der Zunge, dem kleinen Mann sein gestriges Abenteuer zu erzählen, aber er fühlte auch recht gut, daß er nur Spott und Hohn dafür einernten würde. Er war dadurch niedergeschlagen, die Unterhaltung wollte nicht recht fließen, und er ging auch bald wieder nach Hause, um sich auf seine morgende Schule vorzubereiten. Aber der Kopf wirbelte ihm, denn drinnen herum gingen ihm die Rathschläge, welche ihm die Erscheinung gestern Nacht gegeben, und wenn er sich auch wieder und wieder vorhielt, von wem sie eigentlich kamen, so fühlte er doch auch - ja er wußte genau, daß der Fremde Recht gehabt, ja daß er nur das mit deutlichen, klaren Worten ausgesprochen habe, was er selber schon lange mit sich herumgetragen. /28/ Wie war es anderen Lehrern gegangen, die vielleicht nicht einmal so fleißig studirt hatten, wie er selber. Der eine, ein Schulkamerad von ihm, war mit einem enormen Gehalt Director eines Gymnasiums geworden, trug zwei oder drei Orden im Knopfloch und die Nase wer weiß wie hoch. Ein anderer stand sich als Rector in - ebenfalls außerordentlich gut; mehrere Andere aber, die sich dem Lehrerfach gewidmet, lebten wenigstens in erträglichen Verhältnissen - nicht am Ende der Welt in Holzhäusel. Und woher kam das? - weil sie nie versucht hatten, gegen den Strom zu schwimmen, sondern immer langsam und behaglich darauf hingeglitten waren. Die kamen deshalb auch an's Ziel, er aber hielt sich unterwegs nicht allein unnöthiger Weise auf, sondern rückte auch nicht einmal vom Fleck - ja, je mehr er arbeitete und Widerstand leistete, in immer gefährlichere Wirbel gerieth er hinein, und ein solcher Wirbel hatte ihn hier nach Holzhäusel hinauf getrieben. War es denn wirklich gar nicht möglich, wieder in günstigeres Fahrwasser zurück zu kommen? Es mußte wenigstens versucht werden.

      Noch nie war er so fleißig in der Schule gewesen, als in der hierauf folgenden Woche, und die Kinder erschraken nicht wenig über die ihnen plötzlich aufgebürdete Arbeitslast. Wo hatte er früher daran gedacht, so viel auswendig lernen zu lassen! Er unterhielt sich gewöhnlich mit ihnen und brachte irgend ein Thema vor, über das ihm jedes Kind seine Meinung sagen mußte, ja er ließ sie sogar untereinander darüber debattiren und hatte es dadurch wirklich so weit gebracht, daß es wohl kein aufgeweckteres kleines Volk im ganzen Gebirge gab, als seine Schüler. Jetzt plötzlich überraschte er sie mit einer andern Methode, auf die sie allerdings nicht vorbereitet waren, und die noch weniger ihren Eltern in den Kopf wollte. Sonst, wenn sie aus der Schule nach Haus gekommen, gingen sie gewöhnlich an ihre Arbeit und plauderten dabei fröhlich über das Gehörte weiter, jetzt aber hockten sie in den Ecken, kratzten sich die krausen Köpfe und lasen laut und ängstlich vor sich hin.

      Die Eltern thaten auch Einspruch und liefen dem Schulmeister fast das Haus ein: er solle ihren Kindern nicht so /29/ viel aufgeben, denn sie behielten keinen Augenblick Zeit für sich selber und müßten ja doch mithelfen, das spärliche Brod zu verdienen. - Es half ihnen nichts. Andreas Pech bat sie, nur ein paar Wochen Geduld zu haben, nachher sollte schon Alles wieder besser werden, jetzt könne er ihnen aber nicht helfen, die Kinder müßten lernen, was er ihnen aufgegeben, und thäten sie es nicht, setzte er als versteckte Drohung hinzu, so könne es leicht kommen, daß die Schulcommisston den Unterricht nicht für genügend halte und ihnen noch täglich eine Stunde zulege. Wie das aber erst störend für sie sein würde, wüßten sie besser, als er es ihnen sagen könnte.

      Das half. Die Kinder erhielten jetzt schon mehr Unterricht, als sie, die selber in ihrer Jugend wenig oder gar nichts gelernt, für nöthig glaubten, und nun noch täglich eine Stunde länger der Hausarbeit entzogen, hätte sie am Ende ganz ruiniren müssen. Da doch lieber die vierzehn Tage ertragen und sonst Alles beim Alten gelassen.

      Der Herr Pastor war gerade in dieser Zeit recht leidend und konnte sogar den einen Sonntag nicht einmal predigen, wo denn Andreas die aufgeschriebene Predigt an seiner Statt ablesen mußte. Aus dem Haus kam er dabei gar nicht, noch weniger in die Schule. Er ließ nur einmal Andreas zu sich kommen und legte ihm an's Herz, sich ja rechte Mühe mit den Kindern zu geben, damit sie nachher keine Unannehmlichkeiten hätten. Dieser beruhigte ihn aber vollständig darüber und versicherte ihm, er hoffe, daß die Commission Holzhäusel befriedigt verlaßen würde. Er selber habe wenigstens nicht die geringste Furcht.

      Damit mußte sich der alte Herr denn auch begnügen, und die Zeit rückte indessen immer näher, in welcher die von den Kindern mit bangem Herzklopfen erwartete Commission erscheinen sollte.

      Auch der Tag kam endlich; unaufhaltsam vorwärts rollt ja das ewige Rad, und Morgens um zehn Uhr rollten ebenfalls zwei Chaisen am Chausseehaus vorüber, die Bellermeier schon damit bis auf's Blut ärgerten, daß sie nicht anhielten, sondern ihm nur vom Wagen aus zwei gelbe Freikarten zeigten, die er respectiren mußte.

      ,,Hol' sie der Deubel!" murmelte er auch vor sich hin in den Bart, als er das rasch aufgerissene Fenster wieder schloß, „es ist doch nur Federvieh, und das zahlt kein Chausseegeld. Jetzt freue Dich, Andreas Pech, jetzt geht Deine Noth an."

      Die Herren: der Generalsuperintendent, zwei Confistorialräthe und ein Schulrath, fuhren aber vor der Pfarre vor - denn in dem erbärmlichen Wirthshaus hätten sie doch kein Unterkommen gefunden - und wurden hier von der


Скачать книгу