Der Alpdruck. Ханс Фаллада

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Der Alpdruck - Ханс Фаллада


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Gefühl, und sie drängten, der Bahnhofswirt voran, auf Doll ein: »Ja, nun ist es wirklich genug! – Sie werden doch den alten Mann nicht noch einmal schlagen –! – Am besten verlassen Sie sofort das Lokal, Sie können sich auch Ihre angetrunkene Flasche Wein mitnehmen –!«

      Und in einem Augenblick war Doll von seinem Feinde fortgedrängt, man gab ihm seinen Hut, der Bahnhofswirt legte ihm in die Aktentasche die eilig zugestöpselte Weinflasche, und plötzlich stand Doll auf dem Platz vor dem Bahnhof. Der Wirt aber sah ihn bekümmert aus den rötlich geäderten Augen an und sagte: »Das hätten Sie nie tun dürfen, Herr Doll, das bringt die ganze Stadt gegen Sie auf! So was tut ein feiner Mensch nicht: Schlagen! – Na, es mag sich ja alles wieder zurecht laufen ...«

      Aber leider lief sich nicht alles wieder zurecht. Der Wirt behielt recht: Doll verlor den letzten Rest von Sympathie in der Stadt, er wurde das, was er dann in alle Zukunft bleiben sollte: der meistgehasste Mann weit und breit.

      Und Dr. Wilhelm operierte in diesem Falle mit teuflischer Geschicklichkeit; dieses Mal gab ihm sein galliges Hirn ausgezeichnete Ratschläge. Nach dem Fortgange Dolls hatte er immer weiter geweint und schluchzend versichert, diese Schande überlebe er nicht. Er müsse sich das Leben nehmen, und das gerade an seinem Geburtstage ...

      Sie gaben ihm Wein zu trinken, damit er sich beruhigte, viel Wein und dann führten sie ihn nach Haus. Die Kunde aber von der ihm angetanen Schmach durcheilte die ganze Stadt, sie erweckte ihm Sympathien selbst da, wo er nie welche besessen. Nicht umsonst hatte er immer wieder betont, wie schlimm es doch sei, daß dieses ihm grade an seinem Geburtstag geschehen wäre: noch Tage später bekam er Geschenke – Lebensmittel, Wein, Schnaps – von Leuten, die ohne dies Ereignis nie daran gedacht hätten, von dem Geburtstage des Freischluckers Notiz zu nehmen.

      Unterdes ging der Krieg weiter, durch ein und durch zwei Jahre. Die Leute hatten jetzt andere Sorgen als die von Doll und seinem schlimmen Lebenswandel.

      Auch Doll hatte an anderes zu denken: in diesem Jahre wurde seine Ehe geschieden. Er hatte mancherlei Sorgen, und es tat ihm darum um so mehr weh, wenn er den schon überwunden gewähnten Haß beim Anblick des Tierarztes wieder losbrechen spürte, mit der alten Gewalt, unverändert durch die Zeit, immer noch die alte Schmach ...

      Dann tauchte nach langer Abwesenheit die junge Frau wieder im Städtchen auf. Jetzt trug sie schwarze Kleidung. Doll erfuhr, daß sie schon seit längerem Witwe war. Aber wenn die Leute bei dieser Nachricht neugierig in sein Gesicht spähten, so lasen sie darin nichts als Gleichgültigkeit. Und es war wirklich Gleichgültigkeit, die Doll empfand. Wenn er vor zwei Jahren, in einer entflammten Stunde, etwas mehr für diese Frau gefühlt hatte, so war das längst vergessen, er erinnerte sich nicht mehr ...

      Aber das Leben in einer kleinen Stadt hat seine eigenen Gesetze. In einer großen Stadt begegnen sich Menschen, um sich nie wiederzusehen. Hier aber war dieser Außenseiter Doll, ein Mann, der trotz seines Geldes durch sein hochfahrendes Wesen nur Verdacht erregen konnte. Und da war diese junge Frau, jetzt zweifelsfrei Witwe, dreiundzwanzig Jahre alt, nicht mehr, obwohl sie bereits die Mutter eines fünfjährigen Kindes war, und sie trug zur Trauer gelackte Fingernägel und machte sich den Mund purpurrot. Die Kleinstadt wußte, was sie von einer solchen Frau zu halten hatte, genau wie sie über Doll Bescheid wußte!

      Eine gemeinsame Abwehrfront gegen sich, ausgeschlossen vom Leben der andern, bespitzelt, beargwöhnt, verleumdet, mußten sie eines Tages zueinander kommen.

      »Guten Tag!« sagte Doll zögernd. »Wir haben uns lange nicht gesehen ...«

      »Ja«, antwortete sie. »Und viel ist seitdem geschehen.«

      »Richtig!« erinnerte er sich und sah die junge Frau an. Sie schien ihm noch schöner in der Trauerkleidung. »Sie haben Ihren Mann verloren ...«

      »Ja«, bestätigte sie. »Ich habe schwere Zeiten hinter mir. Mein Mann war über ein Jahr krank, ich habe ihn stets allein gepflegt. Und bei jedem Alarm mit dem Kranken in den Keller, die Wohnung halb ausgebrannt ...«

      »Schwere Zeiten!« bestätigte er und lachte dann über den neugierigen Blick der vorübergehenden »Frau Kapitänleutnant« böse auf. »Aber dieses Nest hat sich nicht geändert, heute Abend werden wir wieder in aller Leute Munde sein.«

      »Sicher!« bestätigte sie. »Bringen Sie mich ein paar Schritte? Wenn sie klatschen, sollen sie auch mit Grund klatschen! Wollen Sie heute bei mir zu Mittag essen? Ich habe grade ein Huhn vom Lande bekommen; so geht es«, sie lächelte, »auch ohne Marken.«

      »Gut!« antwortete er. »Gerne. Ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig.«

      »Ich weiß«, sagte sie.

      So begann es, und nicht anders ging es weiter. Sie wurden zueinander geführt, aus Trotz, aus Protest, aus einem Gefühl der Vereinsamung heraus. Endlich jemand, mit dem man wirklich sprechen konnte, der kein Verräter war. Später kam mehr dazu: aufrichtige Sympathie, sogar Liebe. Da war ihnen das Geklatsche der kleinen Stadt längst gleichgültig geworden. Sie zogen zusammen in das kleine Blockhaus der jungen Frau, die Mitbürger mochten über solche Schamlosigkeit toben! Jetzt war es Doll auch gleichgültig, als er überall hörte, der Tierarzt Wilhelm erzähle es jedem: nun sehe man es ja, jedes Wort, das er früher berichtet, sei goldrichtig gewesen. Jetzt war es ihm ganz gleichgültig geworden, daß dieser Feind triumphierte.

      Aber dann, als sie geheiratet hatten, nicht in dem kleinen Nest, sondern in der großen Stadt Berlin, dann, als sie in der Küche der fast ausgebrannten Wohnung beieinander saßen und Adressen ausschrieben für die Hochzeitsanzeigen – da kam er wieder hoch, der Haß in ihnen allen beiden, und sie vergaßen nicht einen ihrer Feinde. Ein jeder bekam seine Anzeige: Farken-Willem und die bigotte Hoteliere voran! Was sie sich von diesen Anzeigen eigentlich für eine Wirkung versprachen, hätten sie selbst so genau nicht sagen können. Es kam ihnen schon wie ein Triumph vor, daß sie nun doch geheiratet hatten – ihnen allen zum Trotz, ein Schlag ins Gesicht der Prüderie –!

      Sie kamen nur gelegentlich aus Berlin zurück in die kleine Stadt. Für viele Tage vergaßen sie oft das Nest in den Wirrnissen der Großstadt, in ihrer stets zunehmenden Düsterkeit, in die nur die Flammenbrände ganzer Straßenzüge ihr schauerlich zuckendes Licht warfen. Sie saßen nebeneinander in unzureichenden Luftschutzkellern, hörten das näherkommende Brausen der Flugzeuge, die ihnen auf den Leib rückenden Einschläge der Bomben ... Sie hielten sich im Arm, die junge Frau sagte beruhigend: »Sie sind schon vorbei!« Dann ein ohrenbetäubendes Knacken und Krachen, das Licht zuckte gelb auf und erlosch ... Sie schmeckten Kalkstaub im Munde, es war, als äßen sie ihren eigenen Tod –.

      Wenn sie sich dann über zerstörte Gleisanlagen und Bahnhöfe wieder aus Berlin herausgekämpft hatten, wenn der Zug sie immer tiefer in die Wälder trug, die kein Anzeichen von Zerstörung aufwiesen, wenn sie dann abends, vor dem Rest des Heimwegs, noch in die Bahnhofswirtschaft traten, um rasch einen Schoppen zu trinken – so fanden sie dort alles wie eh und je. Der Wirt war noch ein bißchen geiziger mit seinen Vorräten und noch ein bißchen unverschämter gegen seine Gäste geworden; aber auf dem Sofa saß immer noch am gewohnten Platz der alte lederhäutige Tierarzt.

      Sofort aber, wenn Doll diesen Mann neu erblickte, wurde mit einem Ruck der alte Haß in ihm wach. Mit einer elementaren Gewalt brach er in ihm hervor, und erst später kamen die Erinnerungen an all das, was dieser Mann ihnen Übles getan, wie eine nachträgliche und doch so unnütze Begründung. Er war dem Doll unbegreiflich, dieser Haß; so viel Schweres war doch in diesen Zeiten zu ertragen, nach jedem Bombenangriff empfand er das Leben als neu geschenkt. Unbegreiflich war dieser niedrige Haß, und doch mußte man sich mit ihm abfinden. Er hatte diesem Haß in sich Raum gegeben, er hatte ihn einnisten lassen, nun mußte er ihn ertragen, wohl sein ganzes Leben lang.

      Ja, das ganze Leben – aber nur des andern Leben lang! Denn wenn er jetzt an dem verschlossenen, düster drohenden Haus des alten Tierarztes auf dem Hinweg zur Arbeit mit seiner jungen Frau vorüberging, wenn er, allein auf seinem Heimweg, das alte, verbeulte Schild mit seinen Grünspanflecken passierte, so vermied sein Auge nicht darum das Haus, weil er den Toten noch immer haßte. Nein, mit seinem Tode war der Haß dahingegangen, an seiner Statt war etwas wie eine Leere geblieben, eine vage Erinnerung an ein Gefühl, dessen er


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