Der Spiegel des Dharma mit Ergänzungen. Geshe Kelsang Gyatso

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Der Spiegel des Dharma mit Ergänzungen - Geshe Kelsang Gyatso


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Erklärung, die in diesem Kapitel gegeben wird, wird all jenen von großem Nutzen sein, welche die sehr tiefgründigen und gesegneten Anleitungen üben möchten, die in den folgenden Kapiteln vorgestellt werden. Das Thema dieses Buches ist, wie wir Buddhas Lehren, oder Dharma, in die Praxis umsetzen.

      Der erste Punkt, über den wir nachdenken sollten, lautet: «Warum müssen wir Buddhas Lehren üben?» Die Antwort ist sehr einfach: Weil wir die ganze Zeit glücklich sein möchten und uns diesen Wunsch nur erfüllen können, indem wir Buddhas Lehren in die Praxis umsetzen. Deshalb müssen wir Buddhas Lehren, Dharma, aufrichtig und rein üben.

      Obwohl wir normalerweise die ganze Zeit glücklich sein möchten, sogar während wir schlafen, wissen wir nicht, wie wir das anstellen. Würde uns jemand fragen, wie das geht, so hätten wir keine klare Antwort. Haben Sie eine? Einige sagen vielleicht: «Ich werde jederzeit glücklich sein, wenn ich reich bin, einen guten Ruf genieße und mit dem Menschen, den ich begehre, eine Beziehung haben kann.» Es tut mir sehr leid, aber das stimmt nicht! Wir können sehen, dass Menschen, die alle diese Dinge haben, auch sehr unglücklich sind und viele Probleme haben. Viele Reiche und jene in hoher Stellung erleben großes Leiden und viele Gefahren. Wir sehen und hören davon ständig in den Nachrichten.

      Wir sollten auch wissen, dass wir zwar glücklich sein mögen, wenn wir zum Beispiel unseren Urlaub genießen. Doch dieses Vergnügen ist kein wirkliches Glück, sondern lediglich eine Verringerung unserer vorherigen Probleme. Wäre das Glück, das wir erleben, wenn wir Urlaub machen, wirkliches Glück, so würde daraus folgen, dass der Urlaub selbst eine wirkliche Ursache des Glücks ist. Das ist aber nicht der Fall, denn wir wissen, dass auch ein Urlaub viele Probleme verursachen kann. Dies können wir auf andere Vergnügen übertragen wie Essen, Trinken und Sex. Wäre zum Beispiel das Glück, das wir durch Essen erleben, wirkliches Glück, so würde daraus folgen, dass Essen an sich eine wirkliche Ursache des Glücks ist. Wäre dem so, dann würde unser Glück immer größer werden, je mehr wir unaufhörlich essen würden. Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall. Hierdurch können wir verstehen, dass niemand in dieser unreinen Welt wirkliches Glück und wirkliche Freiheit erlebt. Das ist so, weil ein jeder Glück in den falschen Objekten sucht und weil jeder die Probleme des unkontrollierten Begehrens und der Unwissenheit erlebt.

      Der einzige Weg, uns und andere jederzeit glücklich machen zu können, ist, Buddhas Lehren umzusetzen. Das ist so, weil Glück von einem friedvollen Geist abhängt. Durch das Umsetzen der Lehren Buddhas können wir jederzeit einen friedvollen Geist entwickeln und bewahren, sodass wir jederzeit glücklich sein werden: Ganz gleich, ob unsere äußeren Bedingungen gut sind oder schlecht, wenn wir die ganze Zeit einen friedvollen Geist bewahren, werden wir die ganze Zeit glücklich sein.

      Wir sollten wissen, dass wir im Augenblick ein menschliches Leben haben und dem Buddhadharma begegnet sind. Indem wir Buddhas Lehren in die Praxis umsetzen, haben wir die Gelegenheit, in diesem Leben und Leben für Leben jederzeit einen friedvollen Geist zu bewahren. Dies ist eine wundervolle und kostbare Gelegenheit, die wir niemals verschwenden sollten. Mit diesem Verständnis sollten wir uns ermutigen, Buddhas Lehren, Dharma, aufrichtig und rein zu praktizieren. In dieser Weise sollten wir uns auf den spirituellen Pfad führen, der uns in diesem Leben und Leben für Leben großen Sinn schenkt. Nur Buddhas Lehren, Dharma, sind die wirkliche Methode, uns und andere jederzeit glücklich zu machen, nicht nur in diesem Leben, sondern auch in zahllosen zukünftigen Leben. Deshalb sind sie die Quelle allen Glücks.

      Wir sollten auch denken: «Warum muss ich mich um meine zukünftigen Leben kümmern?» Wir müssen uns um unsere zukünftigen Leben kümmern, da das Glück und die Freiheit unserer zukünftigen Leben wichtiger sind als jene dieses Lebens. Unser gegenwärtiges Leben ist bloß ein einziges Leben. Würden wir heute sterben, so wäre es heute zu Ende, doch unsere zukünftigen Leben sind zahllos und endlos. Wir wissen, dass sich die meisten Menschen nur um dieses Leben, nicht aber um zukünftige Leben kümmern, und deshalb vernachlässigen sie das Glück und die Freiheit ihrer zahllosen zukünftigen Leben. Das ist so, weil sie die Existenz zukünftiger Leben nicht verstehen.

      Würden wir die Natur und Funktion unseres Geistes richtig verstehen, würden wir die Existenz unserer zukünftigen Leben klar erkennen. Wir sagen oft «mein Geist, mein Geist». Wenn uns aber jemand fragen würde: «Was ist dein Geist?», dann hätten wir keine richtige Antwort. Das ist so, weil wir die Natur und Funktion unseres Geistes nicht richtig verstehen. Der Geist ist von Natur aus etwas, das leer wie Raum ist, und dem immer Form, Gestalt und Farbe fehlt. Der Geist ist nicht eigentlich Raum, denn erzeugter Raum hat Gestalt und Farbe. Tagsüber kann er hell sein und nachts dunkel. Der Geist aber hat weder Gestalt noch Farbe.

      Der Geist ist leer, aber es ist nicht richtig zu sagen, dass der Geist Leerheit ist. Was ist der Unterschied zwischen Leere und Leerheit? Leerheit hat im Buddhismus eine große Bedeutung. Sie ist die wirkliche Natur der Dinge und ein sehr tiefgründiges und bedeutsames Objekt. Wenn wir Leerheit direkt verwirklichen, werden wir dauerhaft von allen Leiden dieses Lebens und unserer zahllosen zukünftigen Leben befreit sein. Nichts hat eine größere Bedeutung. Deshalb ist Leerheit ein sehr bedeutsames Objekt, wohingegen Leere lediglich leer ist – sie hat keine besondere Bedeutung.

      Nun folgt eine ergänzende Erläuterung. Wir sollten wissen, dass Leerheit und Selbstlosigkeit synonym sind. Selbstlosigkeit wird in zwei eingeteilt: (1) Selbstlosigkeit von Personen, (2) Selbstlosigkeit von Phänomenen. Beispiele für die Selbstlosigkeit von Personen sind die bloße Abwesen­heit unseres Selbst, das wir normalerweise sehen, und die bloße Abwesenheit von anderen Personen, die wir norma­ler­weise sehen. Ein Beispiel für die Selbstlosigkeit von Phänomenen ist die bloße Abwesenheit anderer Phäno­mene, die wir normalerweise sehen. In Leitfaden zum Mittleren Weg sagt der große Gelehrte Chandrakirti: «Yogis verneinen das Selbst.» In diesem Kontext verneinen Yogis unser Selbst, das wir normalerweise sehen, unser Ich, das wir normalerweise sehen, andere Personen, die wir normaler­weise sehen und alle Phänomene, die wir normalerweise sehen. Das Objekt der Verneinung der Leerheit oder Selbstlosigkeit, das Chandrakirti hier erwähnt, ist subtiler als in anderen Erläuterungen dieses Themas und sehr tiefgründig. Chandrakirti sagt auch, dass Buddha die zwei Selbstlosigkeiten – die Selbstlosigkeit von Personen und die Selbstlosigkeit von Phänomenen – erklärt hat, um Lebewesen dauerhaft vom Leiden zu befreien. Wenn wir diese Themen ausführlich oder genau studieren, sollten wir geduldig und geschickt sein und nie zulassen, dass wir verwirrter werden, was zu Hindernissen führen wird.

      Deshalb ist Leerheit ein sehr bedeutsames Objekt, wohingegen Leere lediglich leer ist – sie hat keine besondere Bedeutung. Wenn wir also sagen, der Geist sei leer, meinen wir damit, dass ihm immer Form, Gestalt und Farbe fehlen. Und wenn wir sagen, der Raum sei leer, meinen wir damit, dass ihm behindernder Kontakt fehlt. Und wenn wir sagen: «Mein Geldbeutel ist leer», dann heißt das, dass im Geldbeutel kein Geld ist. Somit verstehen wir, dass Leere und Leerheit sehr unterschiedliche Bedeutungen haben.

      Die Funktion des Geistes ist, Objekte wahrzunehmen oder zu verstehen. Normalerweise sagen wir: «Ich sehe dies und das», weil unser Geist das Objekt sieht. Da unser Geist Dinge versteht, sagen wir: «Ich verstehe.» Somit sind unsere Wahr­nehmung und unser Verständnis der Objekte Funktionen unseres Geistes. Ohne Geist haben wir keine Kraft, Objekte wahrzunehmen und zu verstehen.

      Eine weitere Hauptfunktion des Geistes ist, Dinge zuzuschreiben. Ohne einen Namen können Dinge nicht existieren. Namen werden vom Geist zugeschrieben, indem er denkt: «Dies ist dies.» Deshalb existieren Dinge nur, weil der Geist sie zuschreibt. Hierdurch können wir verstehen, dass alles, sogar die Welt, vom Geist erschaffen ist. Es gibt keinen anderen Schöpfer als den Geist. Diese Wahrheit ist nicht schwer zu verstehen, wenn wir dies mit einem positiven Geist untersuchen.

      Kurz gesagt ist der Geist somit etwas, dessen Natur leer wie Raum ist, dem immer Form, Gestalt und Farbe fehlt und dessen Funktion es ist, Objekte wahrzunehmen oder zu verstehen. Indem wir die Natur und Funktion des Geistes richtig verstehen, können wir begreifen, dass unser Geist vollkommen verschieden ist von unserem Körper, und dies beweist, dass nach unserem Tod unser Geist nicht endet, selbst wenn unser Körper dies tut. Der Geist verlässt den Körper und geht zum nächsten Leben, so wie ein Vogel sein Nest verlässt und zu einem anderen fliegt. Oder wenn wir zum Beispiel während des Schlafes träumen, bleibt unser Körper im Bett liegen, während unser Geist


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