Jünglingsjahre. Лев Толстой

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Jünglingsjahre - Лев Толстой


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      Aber was mochten wohl die Mönche von mir denken, die, einer nach dem andern aus der Kirche kommend, mich alle anblickten? Ich war weder erwachsen noch ein Kind; mein Gesicht war nicht gewaschen, mein Haar nicht gekämmt, an meinen Kleidern hingen Daunen, meine Stiefel waren nicht geputzt und jetzt noch gar mit Straßenschmutz bedeckt. Zu welcher Gattung von Menschen mochten mich die Mönche in Gedanken zählen, wenn sie mich betrachteten? Und sie betrachteten mich aufmerksam. Trotzdem ging ich in der Richtung, die mir von dem jungen Mönch gewiesen worden war.

      Ein altes Männchen in schwarzem Gewande, mit dichten, weißen Augenbrauen, begegnete mir auf dem schmalen Pfade, der zu den Zellen führte, und fragte mich, was ich wollte.

      Es kam ein Augenblick, wo ich am liebsten gesagt hätte: »Nichts!«, zur Droschke zurückgerannt und nach Hause gefahren wäre, aber trotz der zusammengezogenen Augenbrauen flößte das Gesicht des Greises mir Vertrauen ein. Ich sagte, daß ich meinen Beichtvater sprechen müsse, und nannte dessen Namen.

      »Kommen Sie, junges Herrchen, ich führe Sie hin«, sagte er, indem er umkehrte und meine Lage offenbar sofort erriet, »der Pater ist in der Frühmesse, er wird aber bald kommen.«

      Er öffnete die Tür und führte mich durch einen sauberen Flur und ein Vorzimmer über einen reinen, leinenen Laufteppich in die Zelle.

      »So, hier warten Sie ein wenig«, sagte er mit gutmütigem, beruhigendem Ausdruck und ging hinaus.

      Das Zimmer, in dem ich mich befand, war sehr klein und äußerst sauber. Die ganze Einrichtung bestand aus einem mit Wachsleinwand bedeckten Tischchen, das zwischen zwei kleinen, zweiflügeligen Fensterchen ausgestellt war, auf denen zwei Blumentöpfe mit Geranien Platz gefunden hatten, aus einer Konsole mit Heiligenbildern und davorhängendem Lämpchen, einem großen Lehnstuhl und zwei Sesseln; in der Ecke hing eine Wanduhr mit einem blumenbemalten Zifferblatt und an Kettchen hängenden Messinggewichten; an einer Zwischenwand, die mit der Decke durch getünchte Holzstäbchen verbunden war (und hinter welcher wahrscheinlich das Bett stand) hingen an Nägeln zwei Mönchsgewänder.

      Die Fenster gingen auf eine weiße Mauer, die kaum zwei Ellen von ihnen entfernt war; zwischen den Fenstern und dieser Mauer wuchs ein kleiner Fliederstrauch. Kein Laut drang aus der Außenwelt in dieses Zimmer, so daß der gleichmäßige, angenehme Perpendikelschlag in dieser Stille als starker Ton auffiel. Sobald ich in diesem stillen Winkel allein geblieben war, erwachten plötzlich alle meine früheren Gedanken und Erinnerungen, und ich versank in ein unbeschreiblich angenehmes Sinnen; dieses vergilbte Nankinggewand mit dem zerschlissenen Futter, diese abgenutzten, schwarzen Ledereinbände der Bücher mit den Messingschnallen, diese Blumen von trübem Grün, mit der sorgfältig begossenen Erde und den gewaschenen Blättern, und vor allem der eintönige, unaufhörliche Schlag des Perpendikels sprachen mir vernehmlich von einem neuen, bisher unbekannten Leben, von einem Leben der Einsamkeit, des Gebetes, des stillen, ruhigen Glückes.

      »Es vergehen Monate, es vergehen Jahre«, dachte ich, »und er ist immer allein, er ist immer ruhig, er fühlt immer, daß sein Gewissen rein ist vor Gott und daß sein Gebet erhört wird.« Wohl eine halbe Stunde lang saß ich da, ohne mich zu regen und laut zu atmen, um die Harmonie der Töne, die mir so viel sagten, nicht zu stören. Und der Perpendikel hörte nicht auf zu schlagen, nach rechts lauter, nach links leiser.

      Die zweite Beichte

      Die Schritte des Geistlichen weckten mich aus meinem Sinnen.

      »Guten Tag«, sagte er, mit der Hand über sein greises Haar fahrend, »was wünschen Sie?«

      Ich bat um seinen Segen und küßte mit besonderem Vergnügen seine kleine, gelbliche Hand.

      Als ich ihm meine Bitte vorgetragen hatte, trat er schweigend vor die Heiligenbilder und begann die Beichte.

      Nachdem die Beichte beendet war und ich, meine Scham überwindend, ihm alles gesagt, was ich auf dem Herzen hatte, legte er mir die Hände aufs Haupt und sprach mit seiner leisen, wohllautenden Stimme: »Der Segen des himmlischen Vaters sei über dir, mein Sohn und erhalte in dir immerdar Glauben, Sanftmut und Demut! Amen.«

      Ich war vollkommen glücklich; Tränen des Glückes stiegen mir in die Kehle, ich küßte die Falte seines feinen Tuchgewandes und hob den Kopf; das Gesicht des Mönches war ganz ruhig.

      Ich fühlte, daß mir meine Rührung Genuss gewährte, und in der Furcht, dieses Gefühl irgendwie zu verscheuchen, verabschiedete ich mich eilig von meinem Beichtvater, schritt aus dem Klosterhofe hinaus, ohne mich umzublicken, um mich nicht zu zerstreuen, und bestieg wieder die schwankende Droschke. Aber das Schütteln des Wagens, die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die an meinen Augen vorüberglitten, vertrieben diese Empfindung bald, und ich dachte nun daran, daß der Mönch jetzt vermutlich der Meinung sei, einen jungen Mann mit so schöner Seele, wie ich es war, habe er noch nie im Leben gesehen und werde er auch nie sehen, ja daß es einen solchen gar nicht mehr gebe. Ich war davon überzeugt, und diese Überzeugung rief in mir eine solche Fröhlichkeit hervor, daß ich das Verlangen hatte, mich jemand mitzuteilen.

      Ich wünschte auf das lebhafteste, mit jemand zu sprechen; da aber niemand in der Nähe war außer dem Kutscher, wandte ich mich an diesen.

      »Bin ich lange fortgeblieben, was?« fragte ich ihn.

      »Na, so, so, recht lange, und das Pferd müßte schon längst gefüttert werden; ich bin ja eine Nachtdroschke«, antwortete der alte Kutscher, der jetzt beim Sonnenschein im Vergleich zu früher heiterer geworden war.

      »Und mir ist's, als wäre ich nur eine Minute fort gewesen«, sagte ich; »und weißt du, warum ich im Kloster war?« fügte ich hinzu, indem ich in die Vertiefung des Sitzes rückte, die dem Kutschbock am nächsten war.

      »Was kümmert das unsereinen? Wohin der Fahrgast befiehlt, dorthin führen wir ihn«, erwiderte er.

      »Aber dennoch, was denkst du wohl?« fuhr ich fort zu fragen.

      »Ja, wahrscheinlich haben Sie jemand zu begraben, und sind gefahren, um den Platz zu kaufen«, sagte er.

      »Nein, Bruder, weißt du, warum ich hingefahren bin?«

      »Wie kann ich es wissen, Herr?« wiederholte er.

      Die Stimme des Kutschers klang mir so gut, daß ich mich entschloss, zur Erbauung seines Gemütes ihm den Grund meiner Fahrt zu erzählen und ihm sogar das Gefühl zu schildern, das ich durchkostet hatte.

      »Willst du, so erzähle ich dir's. Also siehst du –«

      Und ich erzählte ihm alles, und beschrieb ihm alle meine herrlichen Gefühle; selbst jetzt noch erröte ich bei der Erinnerung daran.

      »So, so«, sagte der Kutscher ungläubig.

      Dann saß er lange schweigend und unbeweglich da, zupfte von Zeit zu Zeit an den Schößen seines Mantels, der immer wieder unter seinem Bein zum Vorschein kam, während sein Fuß in dem großen Stiefel auf dem Vorderteil des Kutschbockes auf und nieder sprang. Ich glaubte schon, er denke ebenso über mich wie mein Beichtvater, das heißt er sei der Meinung, daß es einen zweiten so prächtigen jungen Mann wie mich in der Welt nicht mehr gebe; da wandte er sich plötzlich zu mir um:

      »Ja, ja, Herr, das ist Herrschaftssache.«

      »Was?« fragte ich.

      »Ihre Sache da, das ist eine Herrschaftssache«, wiederholte er, mit dem zahnlosen Munde schmatzend.

      »Nein, er hat mich nicht verstanden«, dachte ich und sprach nicht mehr mit ihm, bis wir vor unserem Hause hielten.

      Wenn sich das Gefühl der Rührung und Frömmigkeit auch nicht während der ganzen Fahrt in mir erhielt, so empfand ich trotz der Menschenmenge, die im hellen Sonnenschein sich durch die Straßen drängte, eine gewisse Genugtuung darüber, daß ich jenes Gefühl überhaupt gehabt hatte; aber kaum war ich vor unserm Hause angelangt, als diese Genugtuung sich vollständig verlor: mir fehlten die zwei Zwanziger, um die Droschke zu bezahlen. Der Haushofmeister Gabriel, dem ich schon einiges schuldig war, wollte mir nichts mehr borgen. Als der Droschkenkutscher


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