Ausgewählte Erzählungen für die Jugend. Лев Толстой

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Ausgewählte Erzählungen für die Jugend - Лев Толстой


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den weichen Schnee glitten und wie ab und zu ein Baum im Froste krachte, so daß es im ganzen Walde widerhallte. Nur ein einziges Mal raschelte etwas Lebendiges ganz nahe an uns vorbei und lief davon. Ich sagte mir gleich, daß es der Bär sei. Wir gingen an die Stelle, wo wir das Rascheln gehört hatten, und sahen eine Hasenspur. Die jungen Espen ringsherum waren angenagt. Hier hatten also Hasen geäst.

      Wir kamen wieder auf die Landstraße, banden die Schneeschuhe am Gürtel fest und gingen die Straße weiter. Das Gehen fiel uns leicht. Die Schneeschuhe klapperten hinter uns auf der festgefahrenen Straße, der Schnee knirschte unter den Stiefeln, der kalte Reif klebte wie Flaum auf den Gesichtern. Die Sterne schienen uns an den Ästen entlang entgegenzulaufen, sie leuchteten bald auf und erloschen dann wieder, der ganze Himmel war in Bewegung.

      Mein Freund schlief. Ich weckte ihn. Wir erzählten ihm, wie wir den Bären umgangen hatten, und befahlen dem Wirt, für den nächsten Morgen Bauern als Treiber zu bestellen. Wir aßen zur Nacht und legten uns schlafen.

      Ich war so müde, daß ich bis zum Mittag hätte schlafen können, aber mein Freund weckte mich. Ich sprang auf und sah, daß mein Freund schon fertig angekleidet war und sich mit seinen Gewehren zu schaffen machte.

      »Wo ist Demjan?« Er war schon längst im Walde. Er hatte schon die Einkreisung nachgeprüft, war wieder hier gewesen und dann mit den Treibern weggegangen. Ich wusch mich, zog mich an und lud meine Gewehre; wir setzten uns in einen Schlitten und fuhren hin.

      Der Frost war noch immer streng, alles war still, und die Sonne blieb unsichtbar; oben schwebte ein Nebel, und Reif fiel herab.

      Wir legten an die drei Werst auf der Landstraße zurück und näherten uns dem Walde. Wir sehen – unten schwebt ein blauer Rauch, und Bauern und Bauernweiber mit Knüppeln stehen herum.

      Wir stiegen aus und gingen auf die Leute zu. Die Bauern sitzen da, braten sich Kartoffeln und scherzen mit den Weibern.

      Auch Demjan war mit ihnen. Die Leute erhoben sich, und Demjan führte sie fort, um sie längs des Kreises, den wir gestern gemacht hatten, aufzustellen. Die Männer und Weiber, zusammen dreißig Seelen, stellten sich in einer geraden Linie auf, – man sah sie nur bis zum Gürtel – und verschwanden im Walde; mein Freund und ich folgten dann ihrer Spur.

      Der Weg war zwar schon festgestampft, aber das Gehen fiel nicht leicht; dafür konnte man nirgends hinfallen, – man ging wie zwischen zwei Mauern.

      So gingen wir etwa eine halbe Werst weit; da sahen wir, wie Demjan uns von der anderen Seite entgegenlief und mit der Hand winkte, daß wir zu ihm kämen.

      Wir kamen zu ihm heran, und er wies uns unsere Plätze an. Ich stellte mich auf meinen Platz und sah mich um.

      Links von mir ist hohes Tannengestrüpp; durch das Gestrüpp hindurch kann ich weit sehen, und hinter den Bäumen erkenne ich die dunkle Gestalt eines Treibers. Mir gegenüber steht dichtes junges Tannengebüsch, etwa mannshoch. Die Äste hängen herab und sind vom Schnee zusammengeklebt. Mitten durch das Gebüsch führt ein schneeverwehter Pfad. Der Pfad mündet gerade vor mir. Rechts von mir ist wieder dichtes Tannengebüsch, und hinter diesem eine Wiese. Und ich sehe, wie Demjan meinen Freund auf dieser Wiese aufstellt.

      Ich untersuche meine beiden Gewehre, spanne die Hähne und überlege mir dann, wo ich mich am besten hinstellen soll. Drei Schritt hinter mir ragt eine hohe Fichte. Ich will mich an der Fichte aufstellen und das andere Gewehr an sie lehnen. Ich ging zur Fichte, sank bis über die Knie ein, stampfte neben dem Baume einen Raum von anderthalb Ellen fest und richtete mich da ein. Das eine Gewehr nahm ich in die Hand und lehnte das andere mit gespannten Hähnen an die Fichte. Ich zog den Dolch aus der Scheide und steckte ihn wieder hinein, um mich zu vergewissern, ob er sich im Notfalle leicht herausziehen ließe.

      Kaum hatte ich mir's bequem gemacht, als ich Demjan im Walde schreien hörte: »Er geht, er geht! Er kommt!« Und sofort fingen die Bauern mit verschiedenen Stimmen zu schreien an: »Er kommt! Uh–uh–uh!« schrien die Männer. »Ai! Hi–hi!« schrien die Weiber mit hohen Stimmen.

      Der Bär war im Kreise. Demjan trieb ihn vor. Überall ringsum schrien die Bauern, nur ich und mein Freund standen schweigend und unbeweglich da und warteten auf den Bären. Ich stehe da, schaue hin, höre, und mein Herz klopft. Ich stütze mich aufs Gewehr und zittere. Gleich wird er herausspringen, denke ich mir, ich werde zielen und schießen, und er wird hinfallen … Plötzlich höre ich, wie links etwas in den Schnee einstürzt, es ist aber weit von mir. Ich blicke auf das hohe Tannengebüsch: fünfzig Schritt hinter den Bäumen steht etwas Schwarzes und Großes. Ich lege an und warte. Ich denke mir: ob er nicht näher kommt? Ich sehe: er zuckt mit den Ohren, wendet sich um und geht zurück. Nun kann ich ihn von der Seite ganz sehen. Ein Riesenvieh! Ich ziele viel zu schnell und paff! Ich höre, wie meine Kugel einen Baumstamm trifft. Ich sehe durch den Rauch hindurch, wie mein Bär gegen die Treiberkette rennt und im Walde verschwindet. Nun, denke ich mir, ich habe meine Sache verdorben, jetzt wird er nicht mehr zu mir kommen; entweder kommt mein Freund zum Schuss oder der Bär rückt gegen die Bauern vor, jedenfalls nicht gegen mich. – Ich stehe da, habe mein Gewehr wieder geladen und lausche. Die Bauern schreien von allen Seiten, aber rechts, nicht weit von meinem Freund, schreit ein Weib besonders laut: »Da ist er! Da ist er! Da ist er! Hierher! Hierher! Ai–ai–ai!«

      Sie sieht wohl den Bären dicht vor sich. Ich erwarte ihn nicht mehr und blicke nach rechts zu meinem Freund hinüber. Ich sehe: Demjan läuft mit einem Stöckchen in der Hand, ohne Schneeschuhe, auf dem Fußpfade zu meinem Freund, hockt sich neben ihn hin und deutet auf etwas mit dem Stock, als ob er zielte. Ich sehe, mein Freund legt an und zielt dorthin, wohin Demjan zeigt. Paff! Nun, denke ich mir, er hat ihn getroffen. Aber ich sehe, mein Freund läuft gar nicht zum Bären. Er hat entweder vorbeigeschossen oder schlecht getroffen. Der Bär wird nun zurückgehen, denke ich mir, zu mir wird er aber nicht mehr kommen. Was ist denn das? Ich höre plötzlich, wie etwas wie ein Sturmwind gegen mich loszieht, ganz in der Nähe bricht der Schnee ein, ich höre ein Schnauben. Ich sehe vor mich hin: er saust auf dem Pfade durch das Tannengestrüpp direkt auf mich zu und scheint vor Angst ganz von Sinnen. Nun ist er nur noch fünf Schritt vor mir, ich kann ihn ganz sehen – die schwarze Brust und den riesengroßen Kopf mit rötlichem Schimmer. Er saust direkt mit der Stirne auf mich zu und schüttet den Schnee nach allen Seiten. Ich sehe es den Augen des Bären an, daß er mich nicht sieht und bloß von Angst getrieben aufs Geratewohl dahersaust. Aber er rennt direkt auf die Fichte zu, an der ich stehe. Ich lege an, drücke ab, er ist aber noch näher gekommen. Ich sehe, ich habe vorbeigeschossen, er merkt es aber nicht, saust direkt auf mich zu und sieht mich noch immer nicht. Ich senke etwas das Gewehr, stoße ihn damit beinahe vor den Kopf, – paff! Ich sehe: ich habe ihn wohl getroffen, aber nicht getötet.

      Er hob den Kopf, zog die Ohren ein, fletschte die Zähne und ging auf mich los. Ich ergriff das andere Gewehr; kaum hatte ich es aber in der Hand, als er mich schon in den Schnee geworfen hatte und über mich hinübergesprungen war. Es ist gut, denke ich mir, daß er mich umgeworfen hat. Ich richte mich auf und fühle, daß mich jemand niederdrückt und nicht aufstehen läßt. Er war so ins Rennen gekommen, daß er nicht mehr halten konnte und über mich hinübergesprungen war; dann wandte er sich aber um und wälzte sich mit seinem ganzen Rumpf über mich. Ich fühle, etwas Schweres liegt auf mir, ich fühle etwas Warmes über meinem Gesicht, ich fühle: er nimmt mein ganzes Gesicht in seinen Rachen, meine Nase ist schon in seinem Maul, ich spüre seinen heißen Atem, der nach Blut riecht. Er drückt meine Schultern mit den Tatzen nieder, und ich kann mich nicht rühren. Ich bemühe mich nur, meinen Kopf aus seinem Rachen herauszuziehen und an die Brust zu drücken und meine Nase und die Augen zu befreien. Er will mich aber just an den Augen und an der Nase packen. Ich fühle: er hat mich mit den oberen Zähnen an der Stirne dicht unter den Haaren gepackt, mit den unteren Zähnen aber unter den Augen, hat die Zähne zusammengepreßt und nagt. Es ist mir, als schneide man mir den Kopf mit Messern; ich wehre mich, suche mich zu befreien, er nagt aber wie ein Hund an mir herum und schnappt immerzu. Einmal befreite ich meinen Kopf, er packte ihn aber wieder. Es ist mein Ende, denke ich mir. Plötzlich fühle ich Erleichterung. Ich sehe hin: er ist nicht mehr da, er ist aufgesprungen und davongerannt.

      Als mein Freund und Demjan sahen, daß der Bär mich in den Schnee geworfen hatte und an mir nagte, waren sie zu mir gestürzt.


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