Auf zwei Planeten. Kurd Laßwitz

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Auf zwei Planeten - Kurd Laßwitz


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Direktor der Abteilung für wissenschaftliche Luftschiffahrt, Hugo Torm, hatte selbst die Leitung der Expedition unternommen. Ihn begleiteten der Astronom Grunthe und der Naturforscher Josef Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und Barometer, drückte auf den Momentverschluß des photographischen Apparats und notierte die Zeit und den Luftdruck.

      »Diese Gegend hätten wir glücklich in der Tasche«, murmelte er. Dann streckte er die in hohen Filzstiefeln steckenden Füße so weit aus, als es der beschränkte Raum des Korbes zuließ, zwinkerte mit den lustigen Augen und sagte: »Meine Herren, ich bin schauderhaft müde. Könnte man nicht jetzt ein kleines Schläfchen machen? Was meinen Sie, Kapitän?«

      »Tun Sie das«, antwortete Torm, »Sie sind an der Reihe. Aber beeilen Sie sich. Wenn wir diesen Wind noch drei Stunden behalten –«

      Er unterbrach sich, um die nötigen Ablesungen zu machen.

      »Wecken Sie mich gefälligst, sobald wir – am Pol sind –«

      Saltner sprach mit geschlossenen Augen, und beim letzten Wort war er schon sanft entschlummert.

      »Es ist ein unheimliches Glück, das wir haben«, begann Torm. »Wir fliegen im wahren Sinn des Worts auf das Ziel zu. Ich habe für die letzten fünf Minuten wieder 3,9 Kilometer notiert. Könnten Sie eine genauere Bestimmung versuchen, wo wir sind?«

      »Es wird sich machen lassen«, antwortete Grunthe, indem er nach dem Sextanten griff. »Der Ballon geht sehr ruhig, und wir haben die Ortszeit ziemlich sicher. Wir hatten den tiefsten Sonnenstand vor einer Stunde und 26 Minuten.« Er nahm die Sonnenhöhe mit größter Sorgfalt. Dann rechnete er einige Zeit lang.

      In vollkommener Stille lag die Landschaft, über welche die Luftschiffer eilten. Ein weites Hochplateau, mit Moos und Flechten bedeckt, hier und da von Wasserlachen durchsetzt, bildete den Fuß des Gebirges, dem sich der Ballon schnell näherte. Man hörte nichts als das Ticken der Uhrwerke, von Zeit zu Zeit das regelmäßige Abschnurren des Aspirationsthermometers, dazwischen die behaglichen Atemzüge des schlummernden Saltner. Es war freilich eine angenehmere Polarfahrt, als mit halbverhungerten Hunden die langsamen Schlitten über die Eistrümmer zu schleppen. Grunthe sah von seiner Rechnung auf.

      »Welche Breite haben Sie aus der Berechnung des zurückgelegten Weges?« fragte er Torm.

      »Achtundachtzig Grad fünfzig – einundfünfzig Minuten«, erwiderte dieser.

      »Wir sind weiter.«

      Grunthe machte eine Pause, indem er noch einmal kurz die Rechnung prüfte. Dann sagte er bedachtsam, aber mit derselben Gleichmäßigkeit der Stimme:

      »Neunundachtzig Grad 12 Minuten.«

      »Nicht möglich!«

      »Ganz sicher«, erwiderte Grunthe ruhig und zog die Lippen ein, so daß sein Mund unter dem dünnen Schnurrbart wie ein Gedankenstrich erschien. Das war das Zeichen, daß keine Gewalt mehr imstande sei, an Grunthes unerschütterlichem Ausspruch etwas zu ändern.

      »Dann haben wir keine 90 Kilometer mehr bis zum Pol«, rief Torm lebhaft.

      »Neunundachtzigeinhalb«, sprach Grunthe.

      »Dann sind wir in zwei Stunden dort.«

      »In einer Stunde und 52 Minuten«, verbesserte Grunthe unerschütterlich, »wenn nämlich der Wind mit derselben Geschwindigkeit anhält.«

      »Ja – wenn«, so rief Torm lebhaft. »Nur noch zwei Stunden, Gott gebe es!«

      »Sobald wir über jenen Bergrücken sind, werden wir den Pol sehen.«

      »Sie haben recht, Doktor! Sehen werden wir den Pol – ob auch erreichen?«

      »Warum nicht?« fragte Grunthe.

      »Hinter den Bergen, der Himmel gefällt mir nicht – auf der Nordseite liegt jetzt seit Stunden die Sonne, es ist dort ein aufsteigender Luftstrom vorhanden –«

      »Wir müssen abwarten.«

      »Da – da – sehen Sie – den herrlichen Absturz des Gletschers«, rief Torm.

      »Wir fliegen gerade auf ihn zu; müssen wir nicht steigen?« fragte Grunthe.

      »Gewiß, dort müssen wir hinüber. Aufgepaßt! Schneiden Sie ab!«

      Zwei Säcke Ballast klappten herab. Der Ballon schoß in die Höhe.

      »Wie die Entfernung täuscht«, sagte Torm. »Ich hätte die Wand für entfernter gehalten – es reicht noch nicht. Wir müssen noch mehr opfern.«

      Er schnitt noch einen Sack ab.

      »Wir dürfen nicht in die Schlucht geraten«, erklärte er, »kein Mensch weiß, in was für Wirbel wir da kommen. Aber was ist das? Der Ballon steigt nicht? Es hilft nichts – noch mehr hinaus!«

      Eine schwarze Felswand, welche den Gletscher in zwei Teile spaltete, erhob sich unmittelbar vor ihnen. Der Ballon schwebte in unheimlicher Nähe. Mit ängstlicher Erwartung verfolgten die beiden Männer den Flug ihres Aërostaten. Der Südwind war jetzt, zu ihrem Glück, hier in der unmittelbaren Nähe der Berge schwächer, sonst wären sie schon an die Felsen geschleudert worden. Der Ballon befand sich nunmehr im Schatten der Berge; das Gas kühlte sich ab. Die Temperatur sank schnell tief unter den Gefrierpunkt. Torm überlegte, ob er noch mehr Ballast auswerfen dürfe. Was er jetzt an Ballast verlor, das mußte er dann an Gas aufopfern, um den Ballon wieder zum Sinken zu bringen, und das Gas war sein größter Schatz, das Mittel, das ihn wieder aus dem Bereich des furchtbaren Nordens bringen sollte. Er wußte ja nicht, was ihn hinter den Bergen erwarte. Aber der Ballon stieg zu langsam. Da – eine seitliche Strömung bewegt ihn – die Strahlen der Sonne, welche über den Sattel des Gletschers herüberlugt, treffen ihn wieder – das Gas dehnt sich aus, der Ballon steigt – tiefer und tiefer sinken die Eismassen unter ihm. –

      »Hurrah!« rufen die beiden Luftschiffer wie aus einem Munde.

      »Was gibt's?« fährt Saltner aus seinem Schlummer empor. »Sind wir da?«

      »Wollen Sie den Nordpol sehen?«

      »Wo? Wo?« Im Augenblick war Saltner in die Höhe gefahren.

      »Sakri, das ist kalt«, rief er.

      »Wir sind über 500 Meter gestiegen«, antwortete Torm.

      Saltner hüllte sich in seinen Pelz, was die andern schon vorher getan hatten.

      »Wir sind jetzt fast in gleicher Höhe mit dem Kamm des Gebirges. Sobald wir darüber hinwegsehen können, muß vor uns, etwa 50 Kilometer nach Norden, die Stelle liegen –«

      »Wo die Erdachse geschmiert wird!« rief Saltner. »Ich bin verteufelt neugierig. Na, den Champagner brauchen wir nicht erst kalt zu stellen.«

      Die drei Männer standen, am Tauwerk sich haltend, in der Gondel. Mit gespannten Blicken schauten sie jeden Augenblick, den ihnen die Bedienung des Ballons und die Beobachtung der Instrumente freiließ, durch ihre Feldstecher nach Norden, der Sonne entgegen, die erst wenig nach Osten hin beiseite getreten war. Allmählich versanken die Berggipfel unter ihnen – noch ein breiterer Rücken hemmte ihnen die Aussicht – der Ballon glitt jetzt wieder in der Höhe des Kammes dahin, das Schlepptau schleifte –, noch eine breite Mulde war zu überfliegen, dann mußte das ersehnte Ziel vor ihnen liegen. Der Ballon befand sich etwa in der Mitte der Mulde, höchstens 100 Meter über ihrem Boden, und die gegenüberliegende Talwand verdeckte noch die Aussicht. Der Wind war etwas weniger lebhaft, aber immer noch südlich, und der Ballon stieg an der flachen Erhebung des Eisfeldes hinan.

      Jetzt wurden einzelne weiße Bergkuppen in großer Entfernung hinter dem nahen Horizont der gegenüberliegenden Eiswand sichtbar, die Luftschiffer befanden sich in gleicher Höhe mit dem letzten Hindernis, das ihren Blick beschränkte. Die Gipfel mehrten sich, sie bildeten eine Bergkette.

      »Diese Berge liegen schon hinter dem Pol«, sagte Grunthe, und diesmal bebte seine Stimme doch ein wenig vor Aufregung.


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