Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker Friedrich

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Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 - Gerstäcker Friedrich


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Enkelin Paula,“ stellte sie der alte Herr vor. „Kurt von Sternbach, mein Kind, und Lieutenannt von Bersting.“

      „Die Aehnlichkeit mit Ihrer andern Tochter ist aber fabelhaft!“ rief Kurt, „es sind Zwillinge, nicht wahr?“

      „Und Beides ein paar liebe, gute Kinder,“ nickte der alte Herr vergnügt.

      Alfred starrte sie an, als ob er einen Geist gesehen hätte. Das war nicht Hulda? und doch wieder Hulda mit jedem Zug ihres lieben Gesichts, mit jedem einzelnen Theil ihrer Kleidung, mit den lieben blauen Augen, den kleinen reizenden Grübchen, dem schelmischen Lächeln, als sie jetzt errieth, daß der junge Mann sie jedenfalls für die Schwester gehalten. Und jeder Ton ihrer Sprache, dabei jede Bewegung, – es war rein zum Verzweifeln, daß gerade sein Ideal doppelt existiren sollte.

      Die jungen Leute hatten sich verabschieden wollen, durch Paula’s Erscheinen war ihnen aber eine neue Fessel angelegt worden, und während sich besonders Alfred nicht losreißen konnte, wurde er zuletzt, als Hulda nun ebenfalls zurückkehrte, und er Beide neben einander sah und mit einander vergleichen /108/ konnte, oder vielmehr im Gegentheil nach einem Unterschied suchte, ganz verwirrt.

      Als er endlich, und fast schon gegen Abend, mit dem Freunde zurück nach Altstadt schritt, waren beide junge Leute anfangs sehr schweigsam und Jeder augenscheinlich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, bis Kurt endlich frug:

      „Nun, Alfred, was sagst Du zu den beiden jungen Damen? Welche gefällt Dir besser?“

      „Welche?“ erwiderte der Lieutenant, aber immer noch wie in einem halben Traume, „ja, das ist ja eben die verzweifelte Geschichte, Kurt, daß ich gar nicht weiß, welches welche ist.“

      „Wie so?“ lachte der junge Mann, „was meinst Du damit?“

      „Das ist sehr einfach,“ sagte Alfred. „Hast Du nicht bemerkt, daß die Eine von ihnen an der Schulter eine kleine weiße Schleife trug und die Andere eine seegrüne? Daran hielt ich mich anfangs.“

      „Ja gewiß,“ nickte Kurt, „Hulda hatte die seegrüne.“

      „War das Hulda?“

      „Und weißt Du das nicht?“

      „Ich wußte es anfangs, aber ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich zuletzt irre wurde, ich hatte es rein vergessen oder verwechselt, und nachher war ich nicht mehr im Stande, sie wieder heraus zu erkennen.“

      „Aber wie ist das möglich!“ rief Kurt, „ich wollte Hulda unter Tausenden von Zwillingsschwestern heraus erkennen, und wenn sie sämmtlich gleichfarbige Schleifen trügen.“

      „Unsinn,“ sagte Alfred, „Du findest sie eben so wenig wieder wie einen bestimmten Grashalm mitten auf einer großen Wiese.“

      „Aber ich versichere Dich, daß mich mein Auge keinen Moment täuschen würde.“

      „Ich war wie vor den Kopf geschlagen,“ bemerkte der Lieutenant, „und wenn ich mich einen Augenblick abwandte und sah wieder hin, so mußte ich immer erst nach der Schleife suchen, um die Rechte heraus zu finden.“

      „Du wirst also jetzt im Traume Alles doppelt sehen,“ lachte Kurt.

      /109/ „Wahrhaftig, Du hast Recht,“ rief Alfred. „Aber sage mir selber, ist das Mädchen nicht bezaubernd?“

      „Welches?“ frug lächelnd sein Gefährte.

      „Beide!“ stieß Alfred heftig hervor. „Ich kann jetzt noch keinen Unterschied zwischen ihnen machen, den muß erst die Zeit herausstellen; aber sei versichert, zehn Jahre meines Lebens gäb’ ich darum, wenn ich Paula nicht gesehen hätte.“

      „Welches war doch Paula?“ frug Kurt unbefangen, „die mit der grünen oder weißen Schleife?“ – Alfred sah ihn verwirrt an.

      „Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich’s jetzt wieder weiß,“ rief er endlich heftig aus. „Es ist rein zum Verzweifeln, Kurt, und ich muß nur erst sehen, daß ich meine Sinne wieder ein wenig zu einander bekomme. Ueberlaß mich eine Zeit lang mir selber, denn jetzt wirbelt mir der Kopf.“

      4.

      Schluß.

      Acht Tage waren vergangen, und draußen in der Welt war während der Zeit eigentlich nichts Besonderes geschehen, desto mehr dagegen in des alten Oberforstmeisters Hause, wo eine augenscheinliche Veränderung stattgefunden hatte.

      Hulda nämlich, sonst fast ausgelassen in ihrer Fröhlichkeit und unerschöpflich heitern Laune, schien ihren Charakter ganz verändert zu haben, denn sie konnte zu Zeiten halbe Stunden lang still und nachdenkend an ihrem Nähtisch sitzen und ihre Arbeit total vergessen, und Paula merkte das am ersten und neckte sie deshalb.

      Lieutenant von Bersting sowohl als Kurt von Sternbach hatten sie allerdings noch verschiedene Male besucht, wenn auch nicht wieder gemeinschaftlich, und Paula wußte jetzt, daß gerade dieser junge Lieutenant Hulda’s Courmacher gewesen, während ihr zugleich nicht entging, daß er hier jedesmal in die größte Verlegenheit gerieth, wenn er ihr manchmal zuerst begegnete und /110/ dann nicht gleich wußte, welche der Schwestern er gerade vor sich hätte. Nur in den zwei letzten Tagen schien er es sich gemerkt zu haben, daß Hulda, welches Kleid sie auch trug, eine dunklere Schleife als Paula auf das ihrige befestigte, und er war dadurch sicherer geworden.

      „Hulda, Hulda,“ sagte Paula, als sie die Schwester wieder einmal ertappte, wie sie halbträumend an ihrem Nähtisch saß und über ihre Arbeit hinaus starrte, „was ist eigentlich mit Dir? Du bist nicht mehr mein fröhlicher, leichtherziger Schatz von früher. Sollte vielleicht das stehende Heer –“

      Ein lichtes, sonniges Lächeln flog über Hulda’s Züge, die sich freilich bei den ersten Worten tief geröthet hatten.

      „Das stehende Heer hat nichts damit zu thun, Paula,“ sagte sie dabei, und um ihre Lippen zuckte es wie das Sonnenlicht auf einem murmelnden Bach; „übrigens weiß ich auch gar nicht, was Du willst, denn ich begreife nicht, worin ich mich verändert haben soll. Daß ich zu Zeiten einmal ein wenig ernster bin, ach, Herz, das kommt ja doch wohl überhaupt mit den Jahren.“

      „Ja, besonders mit siebzehn,“ lachte Paula; „nein, was die Jahre betrifft, so haben wir alle Beide da wohl noch nicht mitzureden.“

      „Wir sind schon siebzehn gewesen, Paula.“

      „Ja, vor fünf Wochen, vorgestern war’s gerade ein Monat; aber da Du mir immer – da geht er wieder,“ unterbrach sie sich rasch, als sie zufällig einen Blick aus dem Fenster warf.

      „Wer?“ frug Hulda und wurde doch jetzt wirklich blutroth, indem sie unwillkürlich halb von ihrem Stuhl emporfuhr. Paula lachte.

      „Nun, Dein schmachtender Lieutenant; er läuft sich ja fast die Füße auf der Promenade da drüben ab. So ein Lieutenant auf Urlaub ist doch wirklich etwas Schreckliches!“

      „Mein Lieutenant?“ sagte Hulda, indem sie den Kopf, fast ein wenig böse, abdrehte, „wie kannst Du ihn nur meinen Lieutenant nennen. Ich bin doch kein General!“

      „Aber er gehorcht Dir genau so, als ob Du einer wärest.“

      „Ach, Du bist thöricht! Er hat eben nichts auf der Gotteswelt zu thun und braucht eine Cur, und da wird ihm der /111/ Doctor wohl die Königsbrücker Straße zur Laufbahn verordnet haben, weil die hübsch lang ist.“

      „Jetzt dreht er wieder um,“ sagte Paula, die ihn indessen von der Gardine verdeckt beobachtet hatte „wahrhaftig, ich glaube, er wendet sich dieser Seite zu, dann kommt er auch jedenfalls herauf.“

      „Es war doch höchst komisch,“ meinte Hulda, „daß er uns anfangs immer verwechselte. Er kam dabei aus der Verlegenheit gar nicht heraus.“

      „Aber jetzt kennt er uns,“ lachte Paula, „er hat es mir neulich verrathen, und zwar an den Schleifen, weil Du ja immer die dunklere trägst.“

      „Also das hat er endlich herausgefunden; sieh, sieh, deshalb


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