Gulligold - Serienmorde in Münster. Michael Wächter

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Gulligold - Serienmorde in Münster - Michael Wächter


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      „Ja, einfach weggeworfen – ins Wasser!“

      „Ein Wutausbruch?“

       Kopfschüttelnd zog Petra weiter, ich folgte ihr.

      „Aggressionsstau oder Choleriker?“, fragte ich, und schon waren wir von einem astronomischen in ein psychologisches Fachgespräch gerutscht. Es machte einfach Spaß, mit Petra zu fachsimpeln.

       Wir hatten unsere Runde abgebrochen, waren zurück Richtung Wolbecker Straße gelaufen – entlang an den Sportanlagen des TuS Saxonia und des gegenüberliegenden Rudervereins. Ich verabschiedete mich von Petra in Höhe des Alten Gasthauses Homanns. Sie bestieg ihr Auto, fuhr schnell davon, und auch ich war froh, bald wieder in meinem Bett zu sein. Schließlich war am nächsten Morgen viel zu tun: Ein Kommissar Heveling bat um Rückruf in Bezug auf mein früheres psychologisches Gutachten in einem Mordfall und Patient Hans Haferkamp hatte einen Therapietermin. Und Petra und ich hatten uns noch kurzzuschalten für eine Videokonferenz zur Vorbereitung einer Fortbildung für Kollegen, Thema: „Tatmotive in der Traumabewältigung von Gewaltopfern“. Vielleicht ließ sich dann ja auch kurz über den „Radweitwurf“ scherzen, dessen Opfer ich beinahe am Kanal geworden wäre?

      

      Mark und Luigi hatten Schicht. Es war wenige Tage nach dem Vorfall mit dem Fahrrad am Kanal. Luigi war als Erster da. Er pulte sich in den Hitzeschutzanzug, schmiss den Ofen an und machte die erste Ladung zum Aufschmelzen fertig. Der Ofen war noch nicht heiß, doch schon jetzt kam der 110-Kilo-Mann ins Schwitzen. Einem unbedarften Zuschauer wäre es unklar gewesen, ob nun Luigi schwerer war – oder die Schmelzladung für Ofen Zwei.

      Luigi machte sich daran, den Schmelzofen zu bestücken, da hörte er jemanden die Halle betreten und das Radio anschmeißen.

      „Wieder gesund, Mark?“, ächzte Luigi, als Mark die Halle betrat.

      „Jau, wieder gesund!“ entgegnete Mark ganz auf westfälische Art. Zwei, drei knappe Worte mussten genügen, denn alles ab vier Worten ist ein unnötig langer Roman. Immerhin hatte Mark hochdeutsch geredet, denn Luigi, der Italiener, konnte kein Plattdeutsch.

      Luigi wandte sich also wieder der Schmelzladung zu, als Mark plötzlich ins Reden kam.

      „Besichtigung“, teilte er ihm mit, „vom Chef genehmigt“.

      „Mamma Mia!“

      Luigi stöhnte. So etwas nervte ihn.

      „Gleich um halb acht“, fügte Mark hinzu.

      So gesprächig hatte Luigi ihn selten erlebt.

      Mamma Mia! So schwätzt der doch eigentlich sogar nur dann, wenn Ostern auf Weihnachten fällt!, dachte er.

      Der Physiklehrer und seine Klasse kamen, als die Belegschaft schon in die Frühstückspause gegangen war –bis auf Mark und Luigi.

      Der Lehrer und seine Klasse kamen vom Halleneingang zu den Schmelzöfen herüber. Mark hantierte an Ofen Eins, Luigi knurrte und schmorte an Ofen Zwei. Wegen dieser blöden Betriebsbesichtigung sah er seine Frühstückspause in ernsthafte Gefahr kommen – in Gefahr dieses Typen, dessen Gesicht er wiedererkannte.

      „Grüß Dich, Luigi!“, rief ihm der Lehrer zu. Dann drehte er sich um.

      „Und jetzt lernen wir den Prozess des Schmelzens aus nächster Nähe kennen“, informierte der Lehrer seine Klasse.

      „Kommt einmal rüber zu mir. Ich erkläre Euch jetzt, was der Schmelzer da macht.“, ergänzte er.

      Marks Knurren war verstummt – es schien, als werde der Lehrer die Führung übernehmen (er kannte ihn schon vom Sehen her). Nur das Knurren seines leeren Magens verstummte nicht – Mark hoffte, der Lehrer werde die Führung, die er übernommen hatte, auch schnell wieder beenden. Marks Magen brauchte dringend eine Schinkenstulle mit Pumpernickel, dem westfälischen Schwarzbrot.

      Der Lehrer kam schnell zur Sache. Die Schüler bestaunten Marks‘ Hitzeschutzanzug, die Hitze des Höllenofens dahinter und des Lehrers Schilderung vom „heißesten Arbeitsplatz von Münster“, wie es in den Westfälischen Nachrichten damals geheißen hatte. Die heißeste Braut Münsters wäre mir lieber!, hatte Mark nach dem Erblicken der Reporterschlagzeile damals gedacht, doch der Zeitungsbericht hatte nur zur Folge gehabt, dass mehrere Firmenbesichtigungen angefragt wurden. Sogar Anfragen nach Praktikumsplätzen hatte es gegeben, und daher kannte Mark den Lehrer schon. Aber er war sich unsicher.

      Hat der Typ sich nicht neulich für so ein Kennenlern-Praktikum beworben oder eins mitgemacht?, fragte er sich. Oder kenn’ich den jetzt nur von diesen lästigen Betriebsbesichtigungen?

      Sein knurrender Magen zeigte ihm, dass es nun echt wichtigere Dinge gab als das, was da vor ein paar Wochen im Betrieb gelaufen war.

      Die großen Hallentore standen offen, doch in der Halle wehte kein laues Lüftchen. Luigi öffnete ein Probe-Ablassventil am Drehtrommelofen. Funkensprühend spritzte die Probe an Gusseisenschmelze in das Auffanggefäß. Einer der Schüler schrie vor Schreck oder Erstaunen auf.

      Mit der Stange leitete Luigi die Probe weiter in die Gussvorrichtung.

      Der Lehrer dozierte: „Ihr seht: Die Schmelzer arbeiten hier mit rund 1400 Grad heißem Eisen –im Winter ebenso im wie im Sommer. Klar: Es gibt viele heiße Arbeitsplätze, im Straßenbau unter der sengenden Sonne zum Beispiel, über der Hitze des heißen Asphalts. Aber für die Bauarbeiter dort im T-Shirt ist das, wenn ein Wind geht, schon etwas Anderes! Und daraus“ – der Lehrer zeigte auf die Eisenschmelze – machen die dann Graugussteile für die Maschinenbau-Industrie. T-Shirts sind natürlich absolut tabu hier. Die Männer müssen an den großen Drehtrommel-Ofen ran, in schwer entflammbarer Arbeitsschutzkleidung: Gießerstiefel, Handschuhe, Käppi, Schutzbrille. Sonst entflammt denen das T-Shirt und die Haare brennen!“

      Beeindruckt hörte die Klasse zu.

      Der Lehrer lachte: „Nachher sind die gut durch.“

      Luigi hätte ihn umbringen können. Nicht für die Bemerkung, denn schwitzen war sein Job. Aber für das Gelaber – schließlich konnte er nicht in Pause gehen bevor der Typ seinen Vortrag beendet hatte.

      Accidenti, quel tipo è fastidioso!Ob der nun Praktikum macht, hier, oder nun auch Betriebsbesichtigung – der nervt!, fluchte er, innerlich kochend wie Lava oder wie die Eisenschmelze in seinem Ofen.

      „In diesem Drehtrommelofen hier“ – der Lehrer zeigte auf Luigi – „bringt ein Öl-Sauerstoff-Gemisch das Roheisen zum Schmelzen. Die Brennerflamme kommt auf 2500 Grad. Das flüssige Eisen, das gerade in einen großen Bottich und dann in die Formen aus Quarzsand geflossen ist, hat immerhin auch noch 1400 Grad Celsius.“

      Ein Schüler schaute gelangweilt weg, sah neidisch Luigis Mineralwasserflasche.

      „Schaut her!“, mahnte der Lehrer und zog ein Thermometer aus der Jackentasche.

      „Ein normales Thermometer reicht zur Probemessung nicht mal aus: Es ist bei 50 Grad am Anschlag. „Die Temperatur geht aber hier schon bis an die 60 Grad und die Strahlungshitze kommt hinzu.

      Luigi lief der Schweiß im Schutzanzug hinunter – und seine Wut kochte weiter hoch.

      Silenzio, chiacchiere!, dachte er, Schweig, du Schwätzer!

       „Das ist schwere körperliche Arbeit“, dozierte der Physiklehrer, „und rund zweieinhalb Tonnen Eisen können so täglich verarbeitet werden – zu Gullydeckeln oder Lagerschilden für Elektromotoren. Die müssen dann langsam abkühlen und strahlen dabei noch stundenlang Hitze ab. Die Gießer beginnen im Sommer um 5 Uhr morgens, damit sie in der Mittags um 14 Uhr fertig sind. Sie müssen viel trinken, mehrere Liter täglich, und hoffen auf ein Eis zur Frühstückspause – eine sehr willkommene Abkühlung.“

      Luigi dachte daran, den Lehrervortrag mit einem neuen Spritzer glühender Eisenschmelze zu beenden, aber natürlich blieb er ruhig und kümmerte sich um den


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