Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band. Anonym

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Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band - Anonym


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fröhlich. Noch das böse Tuen, das böse Geschehen umgaukelt es mit unendlicher Heiterkeit. Der Liebende will seine Geliebte befreien; er ist um Mitternacht unter den Fenstern; sie, im Dunkeln, harrt seines Zeichens, da überfällt ihn ein bleierner Schlaf. Ein riesenhafter Kurde, der grausamste, schändlichste Räuber von vierzig, gerät in die Straße, sieht den Schlafenden, erlauscht die Harrende; er klatscht aufs Geratewohl in die Hände, die schöne Summurud läßt sich auf seine Schultern hinab, und er galoppiert dahin, die schöne leichte Last tragend, als wäre es nichts. Sie wundert sich seiner Kraft. ›Ist dies Alischar?‹ fragt sie sich, ›der da unter mir hintrabt, unermüdlicher als ein junger Gaul? Kann dies mein Liebster sein, der mir schrieb, er wäre vor Gram und Sehnsucht nach mir abgezehrt und matt, nahe am Tod?‹ Und er galoppiert dahin, und sie wird ängstlicher, und da er ihr nicht antwortet, fährt sie ihm mit der Hand ins Gesicht: ›da war es das Gesicht des greulichen Kurden, rauh und stachlig, es war anzufühlen wie die Schnauze eines Schweines, das in seiner Gier ein Huhn lebendig verschluckt hat, und die Schwanzfedern stehen ihm zum Halse heraus.‹ Es ist frevelhaft, das einzelne so herauszureißen – aber diese Situation, diese Erwägung, dies Nachdenken der Schönen, während sie durch die Nacht hinsaust auf den Schultern des wüsten Räubers, dieser Augenblick der Entdeckung und dies unglaubliche Gleichnis, das uns mit eins in den hellen Tag, ins Gehöfte hinausweist und das man nicht vergißt – ich weiß nicht, wo ähnliches zu finden wäre, außer dann und wann an den heitersten, naivsten, frechsten Stellen der Komödien des bezaubernden Lope de Vega. Wo hatten wir unsere Sinne, als wir dies Buch unheimlich fanden! Es ist ein Irrgarten, aber ein Irrgarten der Lust. Es ist ein Buch, das ein Gefängnis zum kurzweiligen Aufenthalt machen könnte. Es ist, was Stendhal davon sagte: Es ist das Buch, das man immer wieder völlig sollte vergessen können, um es mit erneuter Lust immer wieder zu lesen.

      Hugo von Hofmannsthal

      Im Namen Allahs des Erbarmenden Erbarmungsreichen!

      Preis sei Allah – Dem wohltätigen König – Dem Schöpfer des Alls – Dem Herrn der drei Welten – Der die Himmelsfeste errichtete ohne Pfeiler – Und hinbreitete die Erde als wie ein Bett – Und Dank und Segnung des Gebetes unserem Herrn Mohammed – Dem Meister der apostolischen Menschen – Und all den seinen und seinem Anhang – Gebet und dauernde Segnung und Dank, der Bleiben soll bis zum Tage des Gerichtes – Amen! O Du der drei Welten Herrscher!

      Und immerdar. Wahrlich, die Worte und Werke derer, die vor uns dahingegangen sind, wurden Beispiel und Richtschnur für Menschen unserer heutigen Tage, auf daß sie sehen, welche belehrenden Geschicke anderen auferlegt wurden, und sie sich als Warnung dienen lassen; und damit sie die Annalen alter Völker lesen und alles, was ihnen zufiel, und sich danach richten und sich im Zaume halten: Preis also ihm, der die Geschichten der Vergangenheit zu einer Warnung machte der Gegenwart! Von solchen Beispielen nun handeln die Erzählungen, die da heißen »Tausend Nächte und eine Nacht«, mitsamt ihren weit berühmten Legenden und Wundern.

      Darinnen wird berichtet (Allah aber ist Allwisser Seiner verborgenen Dinge und Allherrscher und Allgeehrt und Allgebend und Allgnädig und Allbarmherzig!), wie in alten Zeiten und längstverschollenen Vergangenheiten ein König der Könige der Banu Sasan auf den Inseln von Indien und China lebte, ein Herr der Heere und Wachen und Diener und Krieger. Er hinterließ nur zwei Söhne, den einen in der Blüte des Mannesalters, den anderen aber als Jüngling; doch waren sie beide ritterliche Helden, wenn auch der ältere ein beherzterer Reiter war als der jüngere. Und also erbte er den Thron; und er beherrschte das Land und herrschte mit so strenger Gerechtigkeit, daß ihn alle Völker seiner Hauptstadt und seines Königreiches liebten. Sein Name war König Schahryar, und er machte seinen jüngeren Bruder, Schah Zaman, zum König von Samarkand im Berberland. Die beiden blieben immer ein jeder in seinem Reiche, und stets wurde in ihren Ländern dem Gesetz die Ehre gegeben; und jeder beherrschte sein eigenes Königreich, gerecht und billig gegen seine Untertanen, in äußerster Freude und Tröstlichkeit; und dieser Zustand dauerte ununterbrochen etliche zwanzig Jahre. Aber als diese Zeit verflossen war, sehnte der ältere König sich nach dem Anblick seines jüngeren Bruders, und er fühlte, daß er ihn noch einmal sehen müsse. So beriet er sich mit seinem Vezier über einen Besuch bei ihm; da aber dieser seinen Plan unrätlich fand, so empfahl er, daß ein Brief geschrieben und dem jüngeren Bruder durch seine, des Veziers Hand ein Geschenk übersandt würde, mit der Einladung, den älteren zu besuchen. Und als der König diesen Rat angenommen hatte, befahl er alsbald, schöne Gaben zu bereiten: Pferde mit Sätteln aus edelsteinbesetztem Golde, Mamelucken oder weiße Sklaven, herrliche Mägde, hochbrüstige Jungfrauen und prachtvolle, kostbare Stoffe. Dann schrieb er einen Brief an Schah Zaman, darin er seiner warmen Liebe und seiner großen Sehnsucht, ihn zu sehen, Ausdruck gab, und der mit diesen Worten schloß: »Wir hoffen also von der Gunst und Güte unseres geliebten Bruders, daß er sich herablasse und sich aufmache, das Gesicht zu uns zu wenden. Sodann haben wir unseren Vezier gesandt, um alle Anordnungen für den Marsch zu treffen, und unser alleinziger Wunsch ist, dich zu sehen, ehe wir sterben. Wenn du aber zögerst oder uns enttäuschest, so werden wir den Schlag nicht überleben. Und jetzt sei Friede mit dir!« Dann befahl König Schahryar, nachdem er die Botschaft versiegelt und übergeben hatte, dem Vezier, das Kleid zu schürzen und alle Kraft zusammenzunehmen und eilends zu reisen und wiederzukehren. »Hören ist gehorchen,« sprach der Vezier, und unverweilt machte er sich bereit, lud seine Lasten und rüstete alles, dessen er bedurfte. Das nahm drei Tage in Anspruch; im Grauen des vierten verabschiedete er sich von seinem König und zog aus, über Wüste und Hügel, steinige Öden und heitere Weiden, ohne Halt bei Tag oder Nacht. Aber so oft er ein Reich betrat, dessen Herrscher seinem Herrn gehorchte, und wo er begrüßt wurde mit reichen Gaben an Gold und Silber und allerlei seltenen und schönen Geschenken, hielt er sich drei Tage auf, die Zeit der Gastpflicht; und wenn er am vierten weiterzog, so wurde er während eines ganzen Tages ehrenvoll geleitet. Sobald jedoch der Vezier sich Schah Zamans Hof in Samarkand zu nähern begann, entsandte er einen seiner hohen Würdenträger, damit er vor den König trete und seine Ankunft vermelde; und indem der Abgesandte zwischen seinen Händen den Boden küßte, richtete er seine Botschaft aus. Hierauf befahl der König mehreren der Großen und Herren seines Reiches, dem Vezier seines Bruders eine ganze Tagereise entgegenzuziehen; und als sie es getan hatten, grüßten sie ihn voll Ehrfurcht, wünschten ihm alles Wohlergehen und bildeten ein Geleit und einen Prunkzug. Als er die Stadt betrat, zog er geraden Weges zum Palast, wo er vor den König trat; und nachdem er den Boden geküßt und für des Königs Gesundheit und Glück und um Sieg über all seine Feinde gebetet hatte, sagte er ihm, sein Bruder sehne sich nach seinem Anblick und bitte ihn um das Vergnügen seines Besuches. Dann überreichte er den Brief, den Schah Zaman ihm aus der Hand nahm und las; er enthielt mancherlei Andeutungen, die Überlegung erforderten; doch als der König seinen Inhalt ganz begriffen hatte, sagte er: »Ich höre und gehorche den Befehlen des geliebten Bruders!« und er fügte für den Vezier hinzu: »Aber wir wollen erst nach dem dritten Tage der Gastfreundschaft aufbrechen.« Dem Vezier wies er im Palast ein Gemach an, wie es sich für ihn gebührte; für die Krieger schlug er Zelte auf und versah sie mit allem Nötigen an Fleisch und Trank und anderer Notdurft. Am vierten Tage machte er sich bereit zur Reise, häufte prunkvolle Geschenke, wie sie sich für seines älteren Bruders Majestät geziemten, und ernannte seinen Vezier zum Vizekönig des Landes. Dann ließ er seine Zelte und Kamele und Maultiere hinausführen und lagerte sich mit ihren Ballen und Lasten, Knechten und Wachen im Angesicht der Stadt, bereit, am nächsten Morgen nach seines Bruders Hauptstadt aufzubrechen. Als aber die Nacht halb vorüber war, fiel ihm ein, daß er in seinem Palast etwas vergessen hatte, und er kehrte heimlich zurück und trat in seine Gemächer und fand dort die Königin, sein Weib, auf seinem eigenen Teppichbett schlafend, wie sie mit beiden Armen einen schwarzen Koch von ekelhafter Erscheinung, beschmiert mit Küchenfett und Schmutz, umschlungen hielt. Als er das sah, wurde ihm die Welt vor seinen Augen schwarz, und er sagte: »Wenn solche Dinge geschehen, während ich noch vor der Stadt bin, wie wird da erst während meines langen Aufenthalts am Hofe meines Bruders das Gebaren dieses feilen Weibes sein?« Und er zog seinen Säbel und hieb die beiden mit einem einzigen Schlage in vier Stücke, ließ sie auf dem Teppich liegen und kehrte schleunig in sein Lager zurück, ohne jemandem von dem Geschehenen zu sprechen. Dann gab er Befehl, sofort aufzubrechen, und begann seine Reise, aber er konnte den


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