Und die Wahrheit steht auf. Petrus Faller

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Und die Wahrheit steht auf - Petrus Faller


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und es herrschte große Stille. Die Höhle des Babas lag am Fuße einer Schlucht und war so etwas wie die zentrale Anlaufstelle. Eine riesige Palisade aus Holzstämmen schützte seine Höhle vor Leoparden, Tigern und Wildkatzen, deren Zuhause dieser Urwald war. Auf den ersten Blick erschien der Shiva-Baba vollkommen neurotisch und verrückt. Seine Augen waren vom pausenlosen Marihuanarauchen verklärt und undeutlich zu erkennen. Er war sehr freundschaftlich und sorgte dafür, dass wir während unseres Retreats in dieser einsamen Gegend nicht gestört wurden. Als Willkommensgruß schenkte er uns etwas Tee.

      Wir wählten die letzte große, tief in den Berg hineinreichende Höhle am Ende der steil ansteigenden Schlucht und richteten uns ein. Alle Dinge des Alltags mussten über Geröll und in den Fels gehauene Pfade nach oben geschafft werden. Das Wasser trugen wir täglich in Eimern, nach dreißigminütigem Abstieg, von einem märchenhaft schönen Fluss, unter großen Anstrengungen den Berg hinauf, ebenso das tägliche Feuerholz. Die Flammen des Feuers mussten die ganze Nacht am Leben gehalten werden, da es um uns herum nur so von wilden Tieren wimmelte. Darunter große Wildkatzen, die erst ein paar Tage zuvor einen Einheimischen angefallen und schwer verletzt hatten. Die Lebensmittel hängten wir an Schnüren an der Felsdecke auf. Trotzdem versuchten die Nager des Nachts mit akrobatischen Luftsprüngen sich ihren Teil zu sichern.

      Wir schliefen direkt am Feuer nahe am Eingang der Höhle. Im hintersten Teil unserer Wohnstätte, der im Dämmerlicht lag, stand erhöht eine menschengroße, schwarz-aufgerichtete Kobra, die aus dem Felsen gehauen war. Die Gond-Babas, die mit aufrecht-grazilem Gang im Wald mit Axt und Machete unterwegs waren, besuchten alle paar Tage die Höhle um Blumen-Malas um die Schlange zu legen und ihre Puja abzuhalten. Sie beachteten uns kaum und gingen ihrer Wege.

      Nachts wachten wir abwechselnd am Feuer, bis in den frühen Morgenstunden unsere Meditation begann. Alles geschah in Stille und ohne Sprechen. Es war eine Herausforderung ohnegleichen für Körper und Geist. Am Morgen meditierten wir zu Beginn in der Höhle, beziehungsweise auf der Plattform davor, wo sich das grüne Tal vor uns erstreckte. Tag für Tag, nach dem Mittagessen, machten wir uns an den Abstieg, badeten im Fluss und blieben bis zum Abend am Ufer des Flusses in Meditation. Wir taten nichts anderes als alles zu beobachten was im Körper geschah und ließen es vorbeiziehen. Nach ein paar Tagen hörte ich die Stimme des Flusses als melodische Symphonie in meinen Ohren erschallen. Es war wie eine Umarmung. Ich saß Stunden ohne die geringste Bewegung auf dem Felsen und langsam stieg eine unermessliche Traurigkeit in mir auf, die durch die Gesänge des Flusses vom Grund meines Herzens aufgewühlt wurde. Was tat ich hier?

      Ich saß wie immer direkt am Wasser, als ich mir urplötzlich des Todes bewusst wurde, meines eigenen und den der anderen. Die Erinnerung an den Tod meines Vaters, den ich als fünfjähriges Kind in all seinem Schrecken und seinen Auswirkungen erlebt hatte, überwältigte mich.

      Es hatte sich überhaupt nichts geändert, die Gesetze der Welt waren noch die Gleichen wie vorher. Ich konnte ihnen nicht entfliehen, auch nicht durch pausenlose Meditation. Ich weinte ohne Unterlass. Mein Begleiter wurde trotz jahrelanger Meditation langsam unruhig, als der Kummer kein Ende nehmen wollte. Hatte ich früher gefressen und gekotzt, war ich jetzt endloser Meditation verfallenn um das Dasein irgendwie zu meistern, alles nur, um dieses Grundwissen des Todes nicht fühlen zu müssen. Andere konnten diese unbewusste Ahnung mit Karriere, Geld, Frauen, Männern, Renten- und Feuerschutzversicherungen aller Art betäuben. Diese Illusionen waren mir erspart geblieben.

      Aber auch die östlichen, spirituellen Wege, die ich bis dahin nie so bezeichnet hätte, weil ich gar nicht wusste, was Spiritualität oder ein Weg ist und mich auch gar nicht darum kümmerte, hatten offensichtlich keinerlei wirkliche Lösung parat. Immer blieb ein Stück Unzufriedenheit und Unfriede übrig, flehende Gebete, ein endloser Kampf. Was sollte ich noch hier?

      Am nächsten Tag beendeten wir spontan unseren Meditationsretreat. Ich hatte mich bereits entschieden auf dem schnellsten Weg nach Deutschland zurückzukehren.

      Auf halbem Weg zurück in die Zivilisation machten wir noch einmal am Ufer eines Flusses halt, der unten im Tal an den Gebirgshängen in den Narmadafluss mündete. Es war unser letzter Tag in den Bergen. Wir mussten wieder enorme Anstrengungen auf uns nehmen, um an diesen verzauberten Ort zu gelangen, der vor märchenhafter Schönheit und Ruhe strahlte. Der Fluss war an dieser Stelle, hoch oben in den Bergen, noch sehr schmal, übersät mit riesigen, rundgewaschen Felsen und das Wasser floss in absoluter Stille und Gelassenheit durch den Urwald dahin. Es wurde Nacht. Der Vollmond, der am Himmel langsam emporstieg, spiegelte sich im Wasser. Stück für Stück näherte sich das Spiegelbild des Mondes dem Ufer, wo ich mich niedergelassen hatte. Mein Körper war von den Strapazen der Wanderung vollkommen erschöpft. Bei der Ankunft hatte ich mich einfach auf einen Stein fallen gelassen und war lange Zeit regungslos liegen geblieben. Ich konnte nicht mehr.

      Jetzt saß ich neben dem Feuer, mein Begleiter hatte sich bereits zum Schlafen hingelegt. Der Mond strahlte riesengroß und leuchtete hell und schien mehr Wahrheit auszudrücken, als meine ganze Sucherei. Stunden vorher hatte sich nochmals mein ganzes Dilemma offenbart, als wir einen Platz besuchten, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Es ging an einem See entlang, der vor einer riesigen Felswand lag. Vor der Felswand am Ufer gab es ein altes Dorf der Gond-Baba, die ihre Häuser direkt vor die steinzeitlichen Höhlen gebaut hatten. Am Wasser brannte ein großes Feuer, die Abenddämmerung nahte, die Menschen versammelten sich um das Feuer. Wir gingen einen schmalen Felsweg in eine Schlucht hinab, in der Shiva sich im Gestein sichtbar manifestiert haben sollte. In den Felsnischen, auf engen Vorsprüngen, saßen Yogis und Asketen. Sie riefen uns lachend Worte zu, machten Scherze und schenkten uns Räucherstäbchen, Asche und Prasad. Es ging tiefer in die Schlucht hinein. Am Ende unseres Weges tat sich ein Platz auf, der über und über geschmückt war mit Blumen, Räucherwerk und Kerzen. Vor uns, in einer natürlichen Grotte, standen in tief blaue Atmosphäre eingehüllt Shiva und Pravati im Tanz vereint. Alles schien zu leben und zu vibrieren. Ich setzte mich nieder in die augenscheinliche Hingabe und Verehrung dieses Platzes und dem Tanz von Bewusstsein und Energie.

      Wie passten Bewusstsein und Energie zusammen? Wie konnte ich diese Welt umarmen und gleichzeitig glücklich sein? Warum waren da immer zwei? Wie konnte man jemals den Tod der Geliebten akzeptieren?

      Trotz dieser unglaublichen Fülle und der jenseitigen, atemberaubenden Atmosphäre bekam ich keine Antwort, auch die alten Völker hatten für mich keine brauchbaren Lösungen gefunden.

      Der langsam dahingleitende Fluss vor mir schien sich nicht zu bewegen. Ich sah wieder die volle, runde Scheibe des Mondes sich im Wasser zu meinen Füßen spiegeln und gleichzeitig am Himmel. Wer spiegelte wen?

      Ich wollte kein Asket sein, körperfeindlich. Ich wollte mich nicht kasteien und irgendwelche Meditationstechniken ausüben nur um die Wahrheit zu finden, um das hier alles irgendwie auszuhalten. Die Mondscheibe kam immer näher und schien zu lachen, als das Wasser sich in Wellen am Ufer kräuselte. Scheiß Fragen! Ich lächelte zurück und legte mich erschöpft schlafen.

      Am nächsten Morgen packten wir zum letzten Mal unsere wenigen Dinge zusammen. Ich vergaß zwischen den Steinen meine Glöckchen, die ich wegen der Schlangen im Urwald immer am Fuß getragen hatte, und freute mich über ein willkommenes Frühstück, zu dem ein eigenartiger Mann, der in der Nähe des Flusses wohnte, uns eingeladen hatte. Wir sahen ihn schon von weitem vor seinem Haus, als wir vom Flusstal her aufstiegen. Er hatte die Beine hochgelegt, saß in einer Militärkampfuniform auf seiner Veranda und begrüßte uns höflich. Einen tantrischen Guru sollten wir treffen, hatte mir mein Meditationsfreund vorher erzählt, der alle möglichen übernatürlichen Dinge im Fluss vollbringen konnte. Der Mann kümmerte sich auch um die Menschen im Dorf, besorgte ihnen Arbeit und achtete darauf, dass das Dorf sauber gehalten wurde und die Kinder zur Schule gingen. Gerade hatte sich eine Gruppe der Dorfbewohner in seinem Hause vor einem Fernsehgerät versammelt, um sich eine indische Soap aus der Mahabharata9 anzuschauen. Während er sich lächelnd mit uns unterhielt, uns immer wieder zum Essen animierte, sprach er zwischen den Worten immer wieder Mantras. Ram Ram Ram, Sita-Ram. Er schaukelte die ganze Zeit auf dem Stuhl hin und her und erzählte uns, dass er viele Menschen im Krieg gegen Pakistan töten musste. Es war die „unheiligste Erscheinung“, die mir in Indien je begegnet war und er tat mir irgendwie gut. Ich spürte seine helle Liebe, seinen Respekt und sein wahrhaftiges


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