Ahnung und Gegenwart. Joseph von Eichendorff

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Ahnung und Gegenwart - Joseph von Eichendorff


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Brunnen sprangen, im Morgenscheine funkelnd, kühle hin und wider. Dazwischen sah man Pfauen in der Grüne weiden und stolz ihre tausendfarbigen Räder schlagen. Im Hintergrunde saß ein Storch auf einem Beine und sah melancholisch in die weite Gegend hinaus. Als sich Friedrich an dem Anblicke, den der frische Morgen prächtig machte, so ergötzte, erblickte er in einiger Entfernung vor sich einen Mann, der hinter einem Spaliere an einem Tischchen saß, das voll Papiere lag. Er schrieb, blickte manchmal in die Gegend hinaus, und schrieb dann wieder emsig fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu stören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch schon erblickt. Er ging daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterredung befürchten. »Ich kenne Sie wahrhaftig nicht«, sagte er halb ärgerlich, halb lachend, »aber wenn Sie selbst Alexander der Große wären, so müßt ich Sie für jetzt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen.« Friedrich verwunderte sich höchlichst über diesen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Gesellen sitzen, der sogleich wieder zu schreiben anfing.

      Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß. An dem Saume des Waldes stand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirschgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wiese, welche vor dem Hause mitten zwischen dem Walde lag, saß ein schönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einem, wie es schien, soeben erlegten Rehe, streichelte das Tierchen und sang:

      »Wär ich ein muntres Hirschlein schlank,

      Wollt ich im grünen Walde gehn,

      Spazierengehn bei Hörnerklang,

      Nach meinem Liebsten mich umsehn.«

      Ein junger Jäger, der seitwärts an einem Baume gelehnt stand und ihren Gesang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr sogleich nach derselben Melodie:

      »Nach meiner Liebsten mich umsehn

      Tu ich wohl, zieh ich früh von hier,

      Doch sie mag niemals zu mir gehn

      Im dunkelgrünen Waldrevier.«

      Sie sang weiter:

      »Im dunkelgrünen Waldrevier,

      Da blitzt der Liebste rosenrot,

      Gefällt so sehr dem armen Tier,

      Das Hirschlein wünscht, es läge tot.«

      Der Jäger antwortete wieder:

      »Und wär das schöne Hirschlein tot,

      So möcht ich länger jagen nicht;

      Scheint übern Wald der Morgen rot:

      Hüt schönes Hirschlein, hüte dich!«

      »Hüt schönes Hirschlein, hüte dich!

      Spricht's Hirschlein selbst in seinem Sinn,

      Wie soll ich, soll ich hüten mich,

      Wenn ich so sehr verliebet bin?«

      »Weil ich so sehr verliebet bin,

      Wollt ich das Hirschlein, schön und wild,

      Aufsuchen tief im Walde drin

      Und streicheln, bis es stillehielt.«

      »Ja, streicheln, bis es stillehielt,

      Falsch locken so in Stall und Haus!

      Zum Wald springt's Hirschlein frei und wild

      Und lacht verliebte Narren aus.«

      Hierbei sprang sie von ihrem Rehe auf, denn Pferde, Hunde, Jäger und Waldhornsklänge stürzten auf einmal mit einem verworrenen Getöse aus dem Walde heraus und verbreiteten sich bunt über die Wiese. Ein sehr schöner, junger Mann in Jägerkleidung und das Halstuch in einer unordentlichen Schleife herabhängend, schwang sich vom Pferde und eine Menge großer Hunde sprangen von allen Seiten freundlich an ihm herauf. Friedrich erstaunte beim ersten Blick über die große Ähnlichkeit, die derselbe mit einem älteren Bruder hatte, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen, nur daß der Unbekannte hier frischer und freudiger anzusehen war. Dieser kam sogleich auf ihn zu. »Es freut mich«, sagte er, »Sie so munter wiederzufinden. Meine Schwester hat Sie unterwegs in einem schlimmen Zustande getroffen und gestern abends zu mir auf mein Schloß gebracht. Sie ist heute noch vor Tagesanbruch wieder fort. Lassen Sie es sich bei uns gefallen, Sie werden lustige Leute finden.« Während ihm nun Friedrich eben noch für seine Güte dankte, brachte auf einmal der Wind aus dem Garten oben mehrere Blätter Papier, die hoch über ihre Köpfe weg nach einem nahe gelegenen Wasser zuflatterten. Hinterdrein hörte man von oben eine Stimme »Halt, halt, halt auf!« rufen, und der Mensch, den Friedrich im Garten schreibend angetroffen hatte, kam eilends nachgelaufen. Leontin, so hieß der junge Graf, dem dieses Schloß gehörte, legte schnell seine Büchse an und schoß das unbändige Papier aus der Luft herab. »Das ist doch dumm«, sagte der Nachsetzende, der unterdes atemlos angelangt war, da er die Blätter, auf welche Verse geschrieben waren, von den Schroten ganz durchlöchert erblickte. Das schöne Mädchen, das vorher auf der Wiese gesungen hatte, stand hinter ihm und kicherte. Er drehte sich geschwind herum und wollte sie küssen, aber sie entsprang in das Jägerhaus und guckte lachend hinter der halbgeöffneten Türe hervor. »Das ist der Dichter Faber«, sagte Leontin, dem Grafen den Nachsetzenden vorstellend. Friedrich erschrak recht über den Namen. Er hatte viel von Faber gelesen; manches hatte ihm gar nicht gefallen, vieles andere aber ihn wieder so ergriffen, daß er oft nicht begreifen konnte, wie derselbe Mensch so etwas Schönes erfinden könne. Und nun, da der wunderbare Mensch leibhaftig vor ihm stand, betrachtete er ihn mit allen Sinnen, als wollte er alle die Gedichte von ihm, die ihm am besten gefallen, in seinem Gesichte ablesen. Aber da war keine Spur davon zu finden.

      Friedrich hatte sich ihn ganz anders vorgestellt, und hätte viel darum gegeben, wenn es Leontin gewesen wäre, bei dessen lebendigem, erquicklichem Wesen ihm das Herz aufging. Herr Faber erzählte nun lachend, wie ihn Friedrich in seiner Werkstatt überrascht habe. »Da sind Sie schön angekommen«, sagte Leontin zu Friedrich, »denn da sitzt Herr Faber wie die Löwin über ihren Jungen, und schlägt grimmig um sich.« – »So sollte jeder Dichter dichten«, meinte Friedrich, »am frühen Morgen, unter freiem Himmel, in einer schönen Gegend. Da ist die Seele rüstig, und so wie dann die Bäume rauschen, die Vögel singen und der Jäger vor Lust in sein Horn stößt, so muß der Dichter dichten.« – »Sie sind ein Naturalist in der Poesie«, entgegnete Faber mit einer etwas zweideutigen Miene. – »Ich wünschte«, fiel ihm Leontin ins Wort, »Sie ritten lieber alle Morgen mit mir auf die Jagd, lieber Faber. Der Morgen glüht Sie wie eine reizende Geliebte an, und Sie klecksen ihr mit Dinte in das schöne Gesicht.« Faber lachte, zog eine kleine Flöte hervor und fing an, darauf zu blasen. Friedrich fand ihn in diesem Augenblicke sehr liebenswürdig.

      Leontin trug dem Grafen an, mit ihm zu seiner Schwester hinüberzureiten, wenn er sich schon stark genug dazu fühle. Friedrich willigte mit Freuden ein, und bald darauf saßen beide zu Pferde. Die Gegend war sehr heiter. Sie ritten eben über einen weiten, grünen Anger. Friedrich fühlte sich bei dem schönen Morgen recht in allen Sinnen genesen, und freute sich über den anmutigen Leontin, wie das Pferd unter ihm mit gebogenem Halse über die Ebene hintanzte. »Meine Schwester«, sagte Leontin unterweges und sah den Grafen mit verstecktem Lachen immerfort an, »meine Schwester ist viel älter als ich, und, ich muß es nur im voraus sagen, recht häßlich.« »So!« sagte Friedrich langsam und gedehnt, denn er hatte heimlich andere Erwartungen und Hoffnungen gehegt. Er schwieg darauf still; Leontin lachte und pfiff ein lustiges Liedchen. Endlich sah man ein schönes, neues Schloß sich aus einem großen Park luftig erheben. Es war das Schloß von Leontins Schwester.

      Sie stiegen unten am Eingange des Parkes ab und gingen zu Fuße hinauf. Der Garten war ganz im neuesten Geschmacke angelegt. Kleine, sich schlängelnde Gänge, dichte Gebüsche von ausländischen Sträuchern, dazwischen leichte Brücken von weißem Birkenholze luftig geschwungen, waren recht artig anzuschauen. Zwischen mehreren schlanken Säulen traten sie in das Schloß. Es war ein großes gemaltes Zimmer mit hellglänzendem Fußboden; ein kristallener Lustre hing an der Decke und Ottomanen von reichen Stoffen standen an den Wänden umher.


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