Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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Hauptrollen in den Stücken Gretry's und Sedaine's. In ihrem Alter habe ich sie hundert Mal die Melodien alter italienischer Meister singen hören, die sie zu ihrer Hauptnahrung erkoren hatte, wie Leo, Porpora, Pergolesi, Hassa u.s.w. Ihre Hände waren gelähmt, sie begleitete sich mit zwei oder drei Fingern auf einem alten, kreischenden Klaviere; ihre Stimme zitterte, war aber immer richtig und umfangreich, und Schule und Vortrag verlieren sich nie. Sie las alle Partitionen vom Blatte und ich habe niemals besser singen oder begleiten gehört. Sie hatte jene großartige Manier, jene breite Einfachheit, jenen reinen Geschmack, jene Klarheit der Betonung, die man nicht mehr hat, die man heut zu Tage nicht einmal kennt. In meiner Kindheit ließ sie mich mit ihr ein kleines italienisches Duett, von ich weiß nicht welchem Meister, singen:

       Non mi dir, bel idol mio, Non mi dir ch' io son ingrato.

      Sie übernahm die Tenorpartie und zuweilen — obwohl sie etwa fünfundsechszig Jahr alt war — erhob sie ihre Stimme zu einer solchen Macht des Ausdrucks und zu solchem Liebreiz, daß ich eines Tages stecken blieb und in Thränen ausbrach. Aber ich werde auf diese ersten musikalischen Eindrücke, die theuersten Erinnerungen meines Lebens, zurückkommen. Für jetzt wende ich mich zu der Jugendgeschichte meiner lieben Großmutter zurück.

      Unter den berühmten Männern, die das Haus ihrer Mutter besuchten, wurde sie besonders mit Büffon bekannt und fand in seiner Unterhaltung einen Zauber, der sich in ihrer Erinnerung unverwischt erhielt. Ihr Leben war in dieser Zeit ebenso heiter und sanft als glänzend. Allen flößte sie Liebe oder Freundschaft ein. Ich besitze eine Menge Liebesbriefe mit süßlichen Versen, welche die Schöngeister der Zeit an sie richteten; einen unter andern von La Harpe mit folgenden Versen:

       Des Césars à vos pieds je mets toute la cour *). Recevez ce cadeau que l'amitié présente, Mais n'en dites rien à l'amour ... Je crains trop qu'il ne me démente.

       *) [Er schickte ihr seine Uebersetzung der zwölf Cäsaren des Sueton.]

      Dies ist eine Probe von der Galanterie der Zeit. Aber Aurora wandelte durch diese Welt voll Verführungen, durch diese zahllosen Huldigungen, ohne für etwas anderes, als die Uebung der Künste und die Bildung ihres Geistes Sinn zu haben. Sie hatte nie eine andere Leidenschaft, als die der Mutterliebe und erfuhr niemals, was ein Abenteuer ist. Und doch war sie eine zärtliche, großmüthige Natur und von einer außerordentlichen Gefühlstiefe. Ihre Tugend war nicht auf Frömmigkeit gegründet; sie kannte keine andere Religiosität als die des achtzehnten Jahrhunderts: den Deismus Rousseau's und Voltaire's. Aber sie war eine entschlossene, hellsehende Seele und schwärmte besonders für ein gewisses Ideal des Stolzes und der Selbstachtung. Koketterie war ihr fremd; sie war zu reich begabt, um ihrer zu bedürfen; auch waren solche Herausforderungen unverträglich mit ihren Gewohnheiten und ihren Ansichten von Frauenwürde. So schritt sie durch eine sehr leichtfertige Zeit und eine sehr verdorbene Gesellschaft, ohne ihre Schwingen im geringsten zu beflecken. Durch ein eigenthümliches Geschick dazu verurtheilt die Liebe in der Ehe nicht kennen zu lernen, löste sie die große Aufgabe, in Frieden zu leben und jedem Uebelwollen und jeder Verleumdung zu entgehen.

      Ich glaube, daß sie etwa fünfundzwanzig Jahr alt war, als sie ihre Mutter verlor. Frl. Verrières starb eines Abendes, als sie im Begriff war sich niederzulegen. Sie war nicht im mindesten unwohl, beklagte sich nur, kalte Füße zu haben, setzte sich an's Feuer und während die Kammerfrau ihre Pantoffeln wärmte, hauchte sie den Geist aus, ohne ein Wort zu sagen, ohne nur einen Seufzer auszustoßen. Die Kammerfrau zog ihr die Pantoffeln wieder an, fragte, ob sie sich nun erwärmt fühlte und da sie keine Antwort erhielt, blickte sie ihr in's Gesicht und sah nun, daß der letzte Schlummer ihre Augen geschlossen hatte. Ich glaube, daß in jener Zeit für gewisse Naturen, die sich mit ihren sittlichen Begriffen vollständig in Harmonie fühlten, Alles leicht war, selbst der Tod.

      Aurora zog sich abermals in ein Kloster zurück; das war so Sitte, wenn man als junges Mädchen oder junge Wittwe keine Verwandten besaß, die als Führer durch die Welt dienen konnten. Man richtete sich friedlich ein, sogar mit einer gewissen Eleganz; man empfing Besuche, man ging Morgens, ja sogar Abends aus mit einer passenden Ehrenwächterin. Das Ganze war eine Art Vorsicht gegen die Verleumdung, eine Sache des Anstandes und des Geschmacks.

      Aber für meine Großmutter, deren Neigungen ernst und deren Gewohnheiten geregelt waren, wurde diese Zurückgezogenheit nützlich und schätzbar. Sie las ungeheuer viel und häufte Bände voll Auszüge und Citate auf, die ich noch besitze, und die mir Zeugniß geben von der ernsten Richtung ihres Geistes und dem guten Gebrauch ihrer Zeit. Ihre Mutter hatte ihr nichts hinterlassen, als einige Kleidungsstücke, einige Familienportraits, unter andern das der Aurora von Königsmark, das sonderbarer Weise durch den Marschall von Sachsen bei ihr einquartirt war, viele Madrigals und ungedruckte poetische Werke ihrer literarischen Freunde (die sehr verdienten ungedruckt zu sein), endlich das Siegel des Marschalls und seine Tabacksdose, die ich noch besitze und die von sehr hübscher Arbeit sind.

      Ihre Gläubiger waren vielleicht immer bereit gewesen über ihr Haus, ihre Bücher und alle die Luxusgegenstände herzufallen, deren sie als hübsche Frau bedurfte; aber die Dame hatte, bis zu der heitern und sorglosen Stunde ihres Todes, zu sehr auf die gute Erziehung dieser Herrn gerechnet, um sich deshalb zu beunruhigen. Die Gläubiger jener Zeit waren in der That sehr gebildete Leute. Meine Großmutter hatte von ihrer Seite nicht die geringste Unannehmlichkeit zu ertragen; aber sie sah sich auf einen kleinen Jahrgehalt von der Dauphine angewiesen, und auch dieser blieb eines schönen Tages aus. Bei dieser Gelegenheit schrieb sie an Voltaire und dieser antwortete ihr in einem liebenswürdigen Briefe, dessen sie sich bei der Herzogin von Choiseul bediente.

       [Hier ist der Brief meiner Großmutter und die Antwort. An Herrn von Voltaire 24. August 1768.

       „An den Sänger von Fontenoy wendet sich die Tochter des Marschalls von Sachsen, um ihr tägliches Brod zu erlangen. Ich bin anerkannt; nach dem Tode meines Vaters hat die Kronprinzessin für meine Erziehung gesorgt; später hat mich diese Fürstin aus Saint-Cyr zurückgerufen, um mich mit dem Grafen Horn, Ritter des Ludwigskreuzes und Hauptmann im Regimente Royal-Baviere zu vermählen. Für meine Aussteuer hatte sie die Statthalterschaft von Schlestadt erwirkt. Kurz nach unserer Ankunft daselbst starb mein Mann plötzlich, inmitten der Feste, die uns gegeben wurden, und seitdem hat mir der Tod alle meine Beschützer geraubt: den Kronprinzen und die Kronprinzessin.

       Fontenoy, Raucoux, Laufeld sind vergessen und ich bin verlassen. Aber ich habe geglaubt, daß der, welcher die Siege des Vaters verewigt hat, auch an den Leiden der Tochter Theil nehmen würde. Ihm kommt es zu, sich der Kinder des Helden anzunehmen, und meine Stütze zu sein, wie er die der Tochter des großen Corneille ist. Durch die Beredtsamkeit, mit der Sie die Sache der Unglücklichen zu führen pflegen, werden Sie in allen Herzen einen Schrei des Mitleids erwecken und Sie werden sich dadurch ebensoviel Rechte an meine Dankbarkeit erwerben, wie Sie deren schon an meine Achtung haben und an meine Bewunderung für Ihre erhabnen Talente.«

       Antwort: 2. Sept. 1768 im Schlosse von Ferney,

       „Madame. Bald werde ich Ihren Vater, den Helden wiedersehen und ich werde ihm voller Unwillen erzählen, in welchen Verhältnissen sich seine Tochter befindet. Ich habe die Ehre gehabt, viel mit ihm zusammen zu sein und er hatte die Gnade, sich mir gewogen zu zeigen. Es gehört zu den Leiden, die mich in meinem Alter niederbeugen, zu sehen, daß die Tochter von Frankreichs Helden in Frankreich nicht glücklich ist. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mich der Herzogin von Choiseul vorstellen. Mein Name würde mir alle Thüren öffnen und die Herzogin von Choiseul, deren Seele gerecht, edel und wohlthätig ist. würde eine solche Gelegenheit, das Gute zu thun, nicht vorübergehen lassen. Dies ist der beste Rath, den ich Ihnen geben kann, und sobald Sie sprechen, bin ich des Erfolges gewiß, Sie haben mir ohne Zweifel zu viel Ehre erzeigt, gnädige Frau, als Sie dachten, daß ein sterbender, verfolgter, in Zurückgezogenheit lebender Greis, glücklich genug sein könnte, der Tochter des Marschall von Sachsen zu dienen. Aber Sie haben mir Gerechtigkeit erzeigt, als Sie nicht an dem lebhaften Interesse zweifelten, das ich der Tochter eines so großen Mannes schenken muß.

       Ich habe die Ehre zu sein hochachtungsvoll, Ihr ganz


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