Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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      „Deschartres hat sich vergebens bemüht, einen Lehrer für den Sohn der Frau von Chander zu finden. Er hält die Sache für unausführbar in dieser Zeit und meint, das Geschlecht der Lehrer wäre zu Grunde gegangen. Alle jungen Leute, die sich dem Erziehungsfache widmeten, suchen jetzt Aerzte, Chirurgen oder Advocaten zu werden und die kräftigsten dienen der Republik. Seit sechs Jahren hat Niemand gearbeitet, wie man gestehen muß, und die Bücher waren vom Uebel. Nun sieht man überall Leute, welche Lehrer für ihre Kinder suchen, aber nicht finden. So wird es denn in einigen Jahren viele Esel geben und ich wäre auch einer wie die andern, ohne Deschartres — — aber was sage ich! ohne meine gute Mutter, die ganz allein schon fähig gewesen wäre, meinen Geist und mein Herz zu bilden.“

      Den 31.

      „Morgen reisen wir ab. Deschartres entschließt sich endlich dazu, seine ehrenwerthen Beine in Stiefeln zu stecken; es ist ja nicht möglich, gegen den Strom zu schwimmen. Zu Pferde ist das auch recht bequem, aber nur nicht zum Ball; die Contretänze werden auch nur noch gegangen. Sage meiner Bonne, daß ich mich dafür entschädigen werde, indem ich sie — freiwillig oder gezwungen — hüpfen und springen lasse. Und nun ein Lebewohl für Paris und Dir ein baldiger Bewillkommnungsgruß, meine gute Mutter! Ich komme noch toller von hier zurück, als ich herging; Jeder ist hier etwas verrückt und wer nur den Kopf auf den Schultern fühlt, hält sich schon für glücklich. Die Parvenüs geben sich ihrer Herzensfreude hin und das Volk sieht aus, als ob ihm Alles einerlei wäre. Der Luxus ist nie so groß gewesen als jetzt. Aber fort, fort mit allen diesen Eitelkeiten! meine gute Mutter langweilt sich und sehnt sich nach mir; das wird mein Pferd empfinden! So werde ich Dich nun endlich wieder umarmen; vielleicht bin ich schneller bei Dir, als dieser Brief!“

      „Moritz.“

       Sechstes Kapitel.

       Fortsetzung der Geschichte meines Vaters. — Beharrlichkeit der philosophischen Ideen. — Robert, der Banditenchef. — Beschreibung von La Châtre. — Schiller's Räuber.

      Ich werde mit der Geschichte meines Vaters fortfahren, da er im vollen Sinne des Wortes der Verfasser meiner Lebensgeschichte ist. Dieser Vater, den ich kaum gekannt habe, der in meiner Erinnerung als eine glänzende Erscheinung geblieben ist, dieser junge Künstler und Krieger lebt fort in dem Schwung meiner Seele, in dem Verhängniß meiner Organisation, in den Zügen meines Gesichtes. Mein Wesen ist ein zwar abgeschwächter, doch ziemlich vollständiger Wiederschein des seinigen. Aber durch die Verhältnisse, in denen ich gelebt habe, sind manche Veränderungen desselben herbeigeführt. Meine Fehler sind also nicht sein Werk allein, aber meine Eigenschaften sind ein Erbtheil, das er mir hinterlassen hat. Mein äußeres Leben ist von dem seinigen eben so verschieden gewesen, als der Zeitabschnitt, in der es sich entwickelt hat, von der Epoche seines Daseins war — wäre ich aber ein Mann und hätte ich 25 Jahre früher gelebt, so bin ich überzeugt, daß ich in allen Dingen gefühlt und gehandelt haben würde, wie mein Vater. [Wenn wir von der Vergangenheit sprechen, drängen sich unwillkürlich mancherlei Reflexionen aus unserer Feder hervor. Wir vergleichen die Vergangenheit mit der Gegenwart und diese Gegenwart, der Augenblick, in welchem wir schreiben, ist schon Vergangenheit für die, welche uns nach einigen Jahren lesen. Auch die Zukunft faßt der Schriftsteller zuweilen in's Auge, und wenn sein Werk erscheint, sind seine Vorhersagungen bereits erfüllt oder widerlegt. Ich habe an diesen Reflexionen und Vorhersagungen nichts ändern mögen, weil ich glaube, daß sie zu meiner Geschichte eben so gut gehören, wie zur Geschichte Aller — und so werde ich mich darauf beschränken, die Zeit ihrer Entstehung dabei zu bemerken.]

      Welche Pläne meine Großmutter in den Jahren 97 und 98 für die Zukunft ihres Sohnes hatte, weiß ich nicht, aber ich vermuthe, daß sie sich darüber ganz im Unklaren befand, und daß es so mit der Zukunft aller jungen Leute eines gewissen Standes war. Jede Laufbahn, die unter Ludwig XVI. durch Gunst erschlossen wurde, war unter Barras durch Intrigue zugänglich. Nur die Persönlichkeiten waren in der Beziehung anders geworden, und so hatte mein Vater eigentlich nur zu wählen zwischen dem Leben im Felde und dem am häuslichen Herde. Seine Wahl würde nicht zweifelhaft gewesen sein, aber bei meiner Großmutter war seit 1793 eine sehr begreifliche Reaktion gegen die Verfügungen und Leiter der Revolution eingetreten.

      Wunderbarer Weise war indessen ihr Glaube an die philosophischen Ideen, welche die Revolution hervorgebracht hatten, nicht erschüttert und im Jahre 97 schrieb sie an Heckel einen vortrefflichen Brief, den ich gefunden habe und hier mittheile.

      „Sie verabscheuen Voltaire und die Philosophen, weil Sie glauben, daß diese an den Uebeln Schuld sind, die uns bedrücken. Aber sind etwa alle Revolutionen, welche die Erde verwüstet haben, durch kühne Ideen hervorgerufen? Ehrgeiz, Rache, Eroberungssucht und Intoleranz haben weit öfter die Länder verheert, als die Liebe zur Freiheit oder die Verehrung der Vernunft. Unter einem Könige wie Ludwig XV. haben alle diese Ideen existiren können, ohne irgend etwas umzustürzen. Unter einem Könige wie Heinrich IV. würden die Gährungen der Revolution nicht zu dem Wahnsinn und zu den Excessen geführt haben, die wir erleben mußten, und die ich hauptsächlich der Schwachheit, der Unfähigkeit und der Unredlichkeit Ludwig's XVI. zuschreibe. Dieser fromme König ertrug sein Leiden zur Ehre Gottes und seine engherzige Resignation hat weder seine Anhänger, noch Frankreich, noch ihn selbst gerettet. Sie bewundern Friedrich und Katharina, weil diese ihre Macht aufrecht erhalten haben — aber was sagen Sie zu deren Glauben? Sie waren die Beschützer und Verbreiter der Philosophie und doch hat es in ihren Reichen keine Revolution gegeben. Den neuen Ideen dürfen wir also weder das Unglück unserer Zeit, noch den Fall der französischen Monarchie zuschreiben, denn wir müssen sagen: daß der Herrscher, der diese Ideen verwarf, gefallen ist, und daß diejenigen, welche sie gefördert haben, heute noch aufrecht stehen. Wir dürfen nicht Unglauben und Philosophie verwechseln; man hat den Atheismus benutzt, um die Wuth des Volkes anzustacheln, wie man dasselbe zur Zeit der Ligue zu ähnlichen Greuelthaten getrieben hat, um die Lehren der Kirche zu vertheidigen. Der Entfesselung böser Leidenschaften dient Alles zum Vorwande. Die Bartholomäusnacht gleicht so ziemlich dem Blutbade der Septembertage und die Philosophen sind in gleicher Weise unschuldig an diesen beiden Verbrechen gegen die Menschheit.“

      Mein Vater hatte sich immer nach der militärischen Laufbahn gesehnt. Schon während seiner Verbannung nach Passy hatte der sech[zehn]jährige Knabe in den langen einsamen Tagen, die er in seinem Stübchen verlebte, die Schlacht von Malplaquet studirt. Aber seine Mutter begehrte, ehe sie auf dies Verlangen einging, die Wiederkehr der Monarchie oder die Ruhe einer gemäßigten Republik. Da er nun zu jener Zeit den Gedanken gar nicht fassen konnte, ohne ihre vollständige Einwilligung zu handeln, nahm er sich vor, wenn er sie seinen geheimen Wünschen abgeneigt fand, ein Künstler zu werden, zu componiren, Opern oder Symphonien zur Aufführung zu bringen, und dies Verlangen werden wir mit seinem kriegerischen Feuer gleichen Schritt halten sehen, so wie auch seine Violine mit seinem Säbel in's Feld zog.

      Im Jahre 1798 zeigt sich in der Geschichte meines Vaters ein scheinbar geringfügiger Umstand, der aber die größte Wichtigkeit erlangte und zu jenen lebhaften Jugendeindrücken gehörte, die oft auf das ganze Leben zurückwirken, und die, ohne daß wir es wissen, unser Schicksal bestimmen.

      Mein Vater hatte in der Gesellschaft der benachbarten Stadt Verbindungen angeknüpft. Ich muß gestehen, daß trotz der Lächerlichkeiten und Fehler, die dem Leben der Provinz eigenthümlich sind, das kleine La Châtre sich immer durch eine Menge sehr verständiger und sehr gebildeter Persönlichkeiten ausgezeichnet hat, die theils zu seinen Bürgern, theils zu seinen Arbeiterklassen gehören. Im Allgemeinen ist man dort freilich sehr dumm und sehr boshaft, weil man denselben Vorurtheilen, denselben Interessen und denselben Eitelkeiten unterworfen ist, die sich überall geltend machen, die sich aber in kleinen Orten unbefangener und unversteckter zeigen, als in großen. Die Bourgeoisie von la Châtre ist wohlhabend, ohne Ueberfluß zu besitzen — und da sie nie gegen einen anmaßenden Adel und nur selten gegen ein bedürftiges Proletariat zu kämpfen hat, befindet sie sich in einem Elemente, das geistiger Entwickelung sehr förderlich


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