Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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Die hübschesten Partien muß ich versäumen, die hübschesten Frauen vernachlässigen — die Musik ruht fast ganz ... ich bin Brigadier im vollen Sinne des Wortes; ich versenke mich in die Taktik, ich bin ganz erstarrt, mich als ein Muster von Pünktlichkeit und Thätigkeit zu sehen und das Drolligste bei der Geschichte ist, daß ich Geschmack daran finde und mich nach meinem freien, leichten Leben nicht zurücksehne.

      „Wie gut Du bist so für das kleine Haus zu sorgen. Ach! wenn Dir alle Mütter glichen, wäre ein undankbarer Sohn nur ein erdachtes Ungeheuer.

      „Das Geld habe ich bekommen und habe Alles bezahlt; meine Angelegenheiten sind vollständig in Ordnung, das heißt, ich habe keinen Sou mehr, aber ich bin auch Niemandem etwas schuldig. Du brauchst mir also vor Ende des Monats nichts zu schicken; ich habe hier überall Kredit und es fehlt mir an Nichts. Lebe wohl, meine gute Mutter; ich liebe Dich von ganzer Seele und umarme Dich, wie ich Dich liebe. Meine Grüße an Vater Deschartres und an meine Bonne.“

      Dieser letzte Brief, der von Thionville aus datirt ist, wurde in Colmar geschrieben. Den Grund dieser frommen Lüge wird der folgende Brief erklären.

       Elftes Kapitel.

       Fortsetzung der Briefe. — Erste Betheiligung am Feldzuge. — Der erste Kanonenschuß. — Uebergang über die Linth. — Das Schlachtfeld. — Eine gute That. — Glarus. — Zusammentreffen mit Herrn von Latour d'Auvergne am Bodensee. *) — Ordener. — Brief meiner Großmutter an ihren Sohn. — Das Rheinwaldthal. —

       *) [Wahrscheinlich ein Irrthum der Verfasserin. Richterswyl liegt am Züricher-See. Anmerk. d. Uebers.]

      Weinfelden, Kanton Thurgau, den 20. Vendémiaire, Jahr VII (Oct. 1799).

      „Heute kann ich von großen und glücklichen Erfolgen erzählen, von einem Haufen Lorbeern, von Ruhm und Siegen! Die Russen sind innerhalb zwanzig Tagen aus der Schweiz vertrieben; unsere Heere sind im Begriff, in Italien einzudringen; die Oestreicher sind auf das andere Rheinufer zurückgedrängt. Und Dein Sohn, meine gute Mutter, hat Theil an diesem Ruhme und hat in der Zeit von vierzehn Tagen drei Schlachten mitgemacht. Er trinkt, er lacht, er singt und springt drei Fuß hoch vor Freude, wenn er bedenkt, daß er Dich im künftigen Januar in Nohant umarmen, und den kleinen Lorbeerzweig, den er verdient haben könnte, in Deinem kleinen Stübchen, zu Deinen Füßen niederlegen wird.

      „Ich sehe Dich erstaunt, verwirrt über diese Sprache und Du hast hundert Fragen an mich zu richten, tausend Erklärungen zu verlangen: Du willst wissen, auf welche Art ich in die Schweiz gekommen bin und warum ich Thionville verlassen habe. Ich werde dies Alles beantworten und Dir die Verhältnisse und Gründe auseinandersetzen, die meine Schritte geleitet haben. Nur die Furcht, Dich unnöthig zu beunruhigen, hat mich verhindert, Dich früher von Allem zu unterrichten.

      „Ich bin nun einmal Soldat und will diese Laufbahn verfolgen. Mein guter Stern, mein Name, die Art und Weise, wie ich mich eingeführt habe, Deine Ehre und die meinige — Alles verlangt, daß ich mich gut aufführe und die Protection, die mir zu Theil wird, zu verdienen suche. Du wünschest vor Allem, daß ich nicht in der Menge verborgen bleibe, sondern Offizier werde. Nun wohl! meine gute Mutter, es ist jetzt eben so unmöglich, im französischen Heere Offizier zu werden, ohne im Kriege gewesen zu sein, als es im 15. Jahrhundert unmöglich gewesen wäre, einen Türken zum Bischof zu machen, ohne ihn zu taufen. Diese Ueberzeugung mußt Du durchaus gewinnen! Wer jetzt als Offizier zu irgend einem Corps käme, ohne das Feuer der Batterien gesehen zu haben, würde, er möchte sein, wer er wollte, zum Stichblatt und zur Zielscheibe des Spottes werden; und wenn ihn seine Kameraden aus Rücksicht auf seine Talente verschonten, würden ihn seine Soldaten, die keine Begabung als den physischen Muth zu schätzen wissen, um so mehr verhöhnen. Ueberzeugt also, daß man den Krieg mitmachen muß, einestheils um Offizier zu werden, und anderntheils um mit Ehren Offizier zu sein, sagte ich mir gleich zu Anfang, daß ich mich so bald als möglich am Feldzuge betheiligen müßte. Oder glaubtest Du etwa, ich hätte Nohant verlassen, um in den Garnisonen den Liebenswürdigen und im Hauptquartier den Beschäftigten zu spielen? Nein, ich habe sicherlich immer vom Kriege geträumt, und wenn ich Dir in dieser Beziehung etwas vorgelogen habe, so verzeihe mir, meine gute Mutter! Du selbst hast mich durch Deine zärtlichen Sorgen dazu gezwungen.

      „Sobald die Feindseligkeiten wieder begannen und ehe mir der General vorschlug, ihn zu verlassen, hatte ich ihn um die Erlaubniß gebeten, mich zu dem Kriegsheere begeben zu dürfen. Zuerst nahm er diesen Vorschlag mit Freuden an; aber später hatten ihn Deine Briefe gerührt und er fürchtete, Dir zu mißfallen, indem er so die Verantwortlichkeit für mein Geschick übernähme; er ließ mich also zurückkommen und gab mir den Befehl, in's Hauptquartier zu gehen, weil Du nicht wünschtest, daß ich den Krieg mitmache. Aber als ich ihm vorstellte, daß alle Mütter in dieser Beziehung mehr oder weniger Dir ähnlich wären, und daß in diesem einzigen Falle der Ungehorsam erlaubt, ja sogar Pflicht wäre, gab er mir Recht.

      „Gehen Sie in's Hauptquartier, sagte er mir; von dort aus mögen Sie sich dann dem ersten Detachement anschließen, das zur Kriegsarmee abgeht. Ihre Frau Mutter wird mir dann keine Vorwürfe zu machen haben, denn Sie werden Ihrer eignen Eingebung folgen.

      „Sobald ich nach Thionville komme, ist nun meine erste Sorge, danach zu fragen: ob nicht bald ein Detachement abgeht; ich konnte meine lebhafte Ungeduld, zur Armee zu stoßen, nicht verbergen und warte in großer Angst einen Monat lang. Endlich wird ein Detachement gebildet; ich gehöre dazu und exerziere alle Tage mit demselben. Mit den ältesten Jägern spreche ich vom Kriege; sie sehen, wie sehr ich verlange, ihre Anstrengungen, ihre Arbeiten und ihren Ruhm zu theilen — und darin, meine gute Mutter, liegt vielmehr das Geheimniß ihrer Zuneigung für mich, als in dem Bewillkommnungstrunke, den ich für sie bezahlt habe. Endlich war der Tag des Abzugs bestimmt — wir hatten nur noch acht Tage zu warten. — Dir schrieb ich allerhand Possen, aber konntest Du glauben, daß ich mich für die Wartung und Fütterung der Pferde interessiren würde, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, in den Krieg zu ziehen?

      „Aber im Augenblick, als ich es am wenigsten erwartete, erhielt ich einen Brief vom General, worin er mir — in sehr freundlichen, aber doch sehr bestimmten Worten sagt — er wolle, daß ich bis auf wettern Befehl im Hauptquartier bleibe. Nun sieh, welche häßliche Rolle er mich spielen ließ! wie sollte ich dem ganzen Regimente erklären und beweisen, daß mein Zurückbleiben nicht meine Schuld war? Ich war in Verzweiflung und zeigte den unheilvollen Brief allen meinen Freunden. Die Offiziere sahen wohl meine Knechtschaft und meinen Schmerz — aber der Soldat, der nicht lesen kann und nicht viel nachdenkt, glaubte nicht daran. Hinter meinem Rücken hörte ich sagen: „„ich wußte wohl, daß er nicht mitziehen würde; die Kinder vornehmer Häuser fürchten sich und wer Protectionen hat, geht nie in den Krieg.““ Der Schweiß lief mir von der Stirn, ich betrachtete mich als entehrt; trotz der Anstrengung des Dienstes schlief ich nicht mehr; ich war zum Tode betrübt und schrieb Dir nur selten, wie Du bemerkt haben wirst. Wie sollte ich Dir dies Alles sagen? — Du hättest doch nicht daran geglaubt.

      „In meiner Verzweiflung ging ich endlich zum Commandanten Dupré. Ich zeigte ihm den verdammten Brief und kündigte ihm an, daß ich entschlossen wäre, dem General ungehorsam zu sein; daß ich, wenn es nöthig wäre, vom Regiment desertiren wollte, um mich als Freiwilliger dem ersten besten Corps anzuschließen, daß ich meinen Rang als Brigadier verlieren wolle u.s.w., ich war wie verrückt. Der Kommandant umarmt mich und giebt mir Recht. Er hatte mich dem Brigadechef und mehreren Offizieren des Regimentes angekündigt und empfohlen und er sah wohl ein, daß, wenn ich nicht die Gelegenheit benutzte, mich in diesem Feldzuge auszuzeichnen, mein Fortkommen verzögert, vielleicht gestört sein würde. Er sagte mir, daß er es übernähme, mein Fortgehen beim General zu entschuldigen, und daß ich auch auf die Gefahr, seine Gunst zu verlieren — was übrigens nicht zu erwarten wäre — nicht zögern dürfte. Entzückt über diesen Beschluß, stieg ich am Morgen des Fortziehens mit dem Detachement zu Pferde; alle Offiziere umarmten mich und zur großen Verwunderung


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