Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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mit Moritz berathen und geordnet, aber anfänglich war es schwer ihn zu beruhigen; er war im höchsten Grade aufgebracht gegen seinen tölpelhaften Lehrer und Gott mag wissen, ob er ihm nicht gern in der ersten Aufwallung des Zornes nachgeeilt wäre, um ihn übel zuzurichten. Und doch war es der treue Freund, der ihm mit Lebensgefahr die Mutter gerettet hatte — der treue Freund ihres ganzen Lebens — und zu dem Fehler, den er eben begangen hatte, war er auch nur durch die Liebe für seinen Zögling und dessen Mutter getrieben. Aber er hatte das Weib, das Moritz liebte, beleidigt und beschimpft — bei diesem Gedanken trat ihm der Schweiß auf die Stirn und ein Nebel bedeckte seine Augen. „Liebe, du zerstörtest Troja!“ Glücklicherweise war Deschartres schon weit entfernt, denn in seiner gewöhnlichen Ungeschicklichkeit und Roheit mußte er den Kummer von Moritz Mutter vergrößern, indem er ihr ein fürchterliches Bild der „Abenteurerin“ entwarf und sich über die Zukunft des jungen Mannes, der von diesem gefährlichen Weibe beherrscht und verblendet wurde, in den düstersten Prophezeihungen erging.

      Während er an sein Werk des Zornes und Irrthums die letzte Hand anlegte, ließen sich Moritz und Victorie nach und nach durch die Magistratsherren, die ihre gemeinschaftlichen Freunde geworden waren, zur Ruhe sprechen. Dies junge Paar interessirte sie auf's Höchste, aber sie durften die gute, ehrwürdige Mutter nicht vergessen, deren Ruhe und Empfindung zu schonen ihre Aufgabe war. Moritz bedurfte ihrer liebreichen Vorstellungen nicht, um zu begreifen, was er zu thun hatte; er machte seine Freundin darauf aufmerksam und sie versprach denselben Abend abzureisen. Aber als die Beamten fortgegangen waren, verabredeten sie noch außerdem miteinander, daß Moritz nach Verlauf weniger Tage ebenfalls nach Paris kommen sollte. Er fühlte, daß er jetzt ein Recht dazu hatte, daß es sogar seine Pflicht war.

      Er fühlte dies noch viel mehr, als er zu seiner Mutter zurückkehrte und fand, daß sie gegen ihn erzürnt war und Deschartres nicht Unrecht geben wollte. Der erste Gedanke des jungen Mannes war, sogleich abzureisen, um einen heftigen Auftritt mit seinem Freunde zu vermeiden, und Madame Dupin, die ihr gegenseitiges Grollen erschreckte, suchte nicht sich diesem Plane zu widersetzen. Um aber gegen die zärtlich geliebte Mutter nicht trotzig und ungehorsam zu scheinen, kündigte ihr Moritz an, daß er nach Blanc zu seinem Neffen, August von Villeneuve und dann nach Courcelles reisen würde, wo sich sein anderer Neffe, René, befand; er that sogar, als ob er sie wegen der Nützlichkeit dieses Schrittes um Rath fragte, indem er vorgab, daß es ihm Bedürfniß wäre, sich nach den letzten, peinlichen Gemüthsbewegungen zu zerstreuen und daß er wünsche, einen heftigen, schmerzlichen Bruch mit Deschartres zu vermeiden. „In wenigen Tagen,“ sagte er ihr, „komme ich ruhiger zurück, Deschartres wird es auch sein; Dein Kummer wird sich gelegt haben und Du hast dann keine Sorgen mehr, da Victorie schon abgereist ist“. Und da er sie bitterlich weinen sah, fügte er hinzu, daß sich Victorie wahrscheinlich bereits getröstet hätte und daß auch er sich Mühe geben wollte, sie zu vergessen. Er log, der arme Junge! und es war nicht das erste Mal, daß ihn die etwas kleinliche Zärtlichkeit seiner Mutter zum Lügen zwang. Es war auch nicht das letzte Mal — und diese Nothwendigkeit, sie zu täuschen, gehörte zu den großen Leiden seines Lebens, denn es gab nie ein aufrichtigeres, offneres, vertrauensvolleres Gemüth als das seinige. Wenn er heuchelte, mußte er seinem Wesen solche Gewalt anthun, daß er es immer sehr ungeschickt vollbrachte, und daß es ihm durchaus nicht gelang, die Scharfsichtigkeit seiner Mutter zu täuschen. So sagte sie ihm auch mit trauriger Miene, als er am folgenden Tage sein Pferd bestieg, daß sie wohl wüßte, wohin er sich jetzt begäbe. Er gab ihr sein Ehrenwort, daß er nach Blanc und Courcelles zu reiten im Begriff wäre, und sie wagte nicht, sein Ehrenwort zu verlangen, daß er von dort nicht nach Paris gehen wolle, denn sie fühlte, daß er es nicht geben, oder daß er es brechen würde. Sie mußte auch fühlen, daß er ihr alle Beweise der Achtung und des Gehorsams gab, die sie in solcher Lage von ihm erwarten konnte, indem er, ihr gegenüber, den Schein zu retten suchte.

      Meine arme Großmutter war also von dem einen Schmerze nur befreit, um in neuen Kummer und in neue Besorgnisse zu versinken. Aus der stürmischen Unterhaltung mit meiner Mutter hatte ihr Deschartres mitgetheilt, daß diese gesagt hätte: „Es kommt ganz auf mich an, ob ich Moritz heirathe und wenn ich so ehrgeizig wäre, als Sie glauben, würde ich Ihren Beleidigungen in dieser Weise antworten. Ich weiß ganz genau, wie sehr er mich liebt — aber Ihr — Ihr wißt es nicht!“ Von diesem Augenblick an fürchtete Madame Dupin jene Heirath und damals war das wirklich eine thörichte, ungegründete Furcht: weder Moritz noch Victorie dachten daran. Aber wie es immer ist, daß man die Gefahren hervorruft, mit denen man sich übermäßig beschäftigt, so wurde auch die Drohung meiner Mutter ein prophetisches Wort, dessen Erfüllung meine Großmutter und besonders Deschartres beschleunigten, indem sie sich bemühten, dagegen anzukämpfen.

      Moritz ging nach Blanc, wie er es angekündigt und versprochen hatte, und von dort aus schrieb er einen Brief, der den Zustand seiner Seele deutlich ausmalt.

      Le Blanc, Prairial, Jahr IX (Mai 1801).

      „Mutter, Du leidest und ich leide auch! Sehr viel hat der verschuldet, der zwischen uns steht und — aus guter Absicht, das sehe ich ein, aber ohne klares Unheil und ohne irgend welche Rücksicht, uns viel Böses gethan hat. Seit der Schreckenszeit ist dies der erste bedeutende Schmerz meines Lebens; er ist tief und ist vielleicht bitterer als der damalige, denn wenn wir zu jener Zeit unglücklich waren, so hatten wir doch keine Streitigkeiten miteinander — wir hatten nur eine Meinung, nur einen Willen; aber heute sind wir getrennt — nicht in unsern Gefühlen, aber in unsern Ansichten über sehr wichtige Punkte. Dies ist der größte Schmerz, der uns treffen konnte, und ich werde mich nur schwer in den betrübenden Einfluß zu finden wissen, den Freund Deschartres bei dieser Gelegenheit auf Dich ausgeübt hat. Wie ist es möglich, meine gute Mutter, daß Du die Verhältnisse von demselben Gesichtspunkte betrachtest, wie dieser Mann, der ohne Zweifel rechtschaffen und ergeben, aber auch etwas roh ist, und der über gewisse Handlungen und gewisse Neigungen, wie der Blinde über die Farben urtheilt? Ich kann dies nicht begreifen, denn ich mag mein Herz befragen, so viel ich will, ich finde darin nicht einmal den Gedanken eines Unrechts gegen Dich. Meine Liebe zu Dir ist reiner, größer als jede andere Liebe und der Gedanke Dir einen Schmerz zu verursachen, ist mir eben so fremd, eben so abscheulich, als der, ein Verbrechen zu begehen.

      „Ueberlegen wir ein wenig, Mama. Wie soll es zugehen, daß meine Neigung für diese oder jene Frau eine Beleidigung für Dich und eine Gefahr für mich sein könnte, über die Du Dich beunruhigen und in Thränen auflösen müßtest? Bei diesen Gelegenheiten hast Du mich immer wie einen Mann betrachtet, der im Begriff ist, sich zu entehren und schon zur Zeit des Fräulein *** gabst Du Dich so entsetzlichen Sorgen hin, als ob ich mich von dieser Person zu unverzeihlichen Fehlern hinreißen lassen würde. Könnte es Dir lieber sein, wenn ich ein Verführer wäre, der Unfrieden in die Familien trägt, oder soll ich die Rolle eines Cato spielen, wenn mir gutwillige Personen begegnen? Das ist gut für Deschartres, der über mein Alter hinaus ist und der überdies, ich sage das ohne Malice, nicht viel Gelegenheit zu sündigen gefunden hat. Aber kommen wir zur Sache. Ich bin kein Kind mehr und kann wohl über die Personen urtheilen, die mir Zuneigung einflößen. Gewisse Frauen, das weiß ich wohl, sind, um mich Deschartres' Wörterbuch zu bedienen, Dirnen und Creaturen, und diese liebe ich ebensowenig, als ich sie suche; ich bin nicht Wüstling genug, um meine Kräfte zu vergeuden, und nicht reich genug, um diese Art Frauen zu unterhalten; aber diese häßlichen Ausdrücke sind nie auf eine Frau anzuwenden, die ein Herz besitzt. Die Liebe reinigt Alles. Die Liebe veredelt die verworfensten Geschöpfe, wie viel mehr noch die, deren einziges Unrecht das Unglück ist, ohne Stütze, ohne Hülfsmittel, ohne Führer in die Welt hinausgestoßen zu sein. Warum soll es einem so verlassenen Weibe zum Verbrechen angerechnet werden, wenn es seinen Halt und seinen Trost in dem Herzen eines rechtschaffenen Mannes sucht, während die Frauen der guten Gesellschaft, denen es weder an Ansehen noch an Ergötzlichkeiten fehlt, sich alle Liebhaber halten, um sich für die Langeweile zu entschädigen, die ihnen ihre Männer machen! Die, welche Dir so viel Kummer und Unruhe bereitet, hat einen Mann verlassen, der sie liebte und mit Vergnügen und Behaglichkeit umgab, das gestehe ich zu; aber würde dieser Mann sie genug geliebt haben, um ihr seinen Namen zu geben und ihre Zukunft zu sichern? Nein! Und deshalb fühlte ich, seit ich wußte, daß sie die Freiheit hätte,


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