Der kleine Lord. Frances Hodgson Burnett

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Der kleine Lord - Frances Hodgson Burnett


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und dort ein Schloß, große Parks, Bergwerke und Ländereien und viele Dienerschaft besitzen werde. Er war sehr bekümmert im Gedanken an seinen Freund, Mr. Hobbs, und bald nach dem Frühstück suchte er ihn voll Herzensangst in seinem Laden auf.

      Er fand ihn die Zeitung lesend und trat ihm mit ernster Miene gegenüber: er wußte ja, daß das, was ihm widerfahren, für Mr. Hobbs ein herber Schlag sein mußte, und er hatte sich's unterwegs genau überlegt, wie er ihm die Sache beibringen wollte.

      »Hallo!« sagte Mr. Hobbs. »'Morgen!«

      »Guten Morgen,« sagte Cedrik. Er kletterte nicht wie sonst auf seinen hohen Stuhl, sondern setzte sich auf einen Biskuitkasten und schlug die Beine übereinander und schwieg so lange, bis Mr. Hobbs fragend über sein Zeitungsblatt hinüber nach ihm hinschielte.

      »Hallo!« sagte er noch einmal.

      Cedrik faßte sich ein Herz.

      »Mr. Hobbs,« begann er, »wissen Sie noch, von was wir gestern vormittag gesprochen haben?«

      »Hm, ja, von England dächt' ich.«

      »Freilich, aber gerade als Mary hereinkam, wissen Sie das noch?«

      Mr. Hobbs rieb sich den Hinterkopf.

      »Wir diskurierten über die Königin und die ›'Ristokraten‹.«

      »Ja,« sagte Cedrik zögernd, »und, und über die Grafen; wissen Sie noch?«

      »Jawohl,« erwiderte Mr. Hobbs, »die kamen schlecht weg dabei, wie sich's gehört!«

      Cedrik ward rot bis unter sein lockiges Stirnhaar, in solcher Verlegenheit hatte er sich im Leben noch nie befunden und dabei ängstigte ihn das Gefühl, daß die Sache auch für Mr. Hobbs nicht ohne Verlegenheit ablaufen werde.

      »Ja, und Sie sagten,« fuhr er fort, »daß Sie keinen von den 'Ristokraten auf Ihren Biskuitkisten herumsitzen lassen würden.«

      »Das will ich meinen!« bestätigte Mr. Hobbs seinen Ausspruch mit Ueberzeugung. »Soll nur 'mal einer kommen, dem werd' ich's zeigen.«

      »Mr. Hobbs,« sagte Cedrik schüchtern, »es sitzt aber einer auf dieser Kiste!«

      Um ein Haar wäre Mr. Hobbs vom Stuhle gefallen.

      »Was?« rief er.

      »Ja,« erklärte Cedrik in gebührender Demut, »ich bin einer oder werde wenigstens später einer werden. Ich will Sie nicht hintergehen.«

      Mr. Hobbs sah ganz alteriert aus; er erhob sich plötzlich und sah nach dem Thermometer.

      »Muß wohl so was wie ein Sonnenstich sein,« erklärte er, seinen kleinen Freund scharf ins Auge fassend. »Die Hitze ist auch danach! Hast du Schmerzen? Seit wann fühlst du den Zustand?«

      Er legte seine breite Hand auf des Knaben Haupt, und dieser war mehr denn je in Verlegenheit.

      »Danke, danke,« sagte Cedrik, »ich bin ganz wohl und in meinem Kopfe ist alles in Ordnung, Es thut mir ja so leid, aber alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist wahr, Mr. Hobbs; deshalb hat mich ja Mary gestern geholt, und Mr. Havisham hat meiner Mama alles gesagt und er ist ein Advokat.«

      Mr. Hobbs sank in seinen Sessel und trocknete sich die Stirn mit seinem Taschentuch.

      »Einer von uns beiden hat den Sonnenstich!« rief er.

      »Nein,« versetzte Cedrik, »sicher nicht. Wir müssen uns eben drein finden, Mr. Hobbs. Mein Großpapa hat Mr. Havisham den ganzen Weg von England herübergeschickt, um uns das alles zu sagen.«

      Mr. Hobbs starrte ganz bestürzt in das unschuldige, ernsthafte, kleine Gesicht vor ihm.

      »Wer ist dein Großvater?« fragte er endlich.

      Cedrik griff in seine Tasche und zog mit großer Sorgfalt einen kleinen Papierstreifen hervor, auf welchem in großen, unbeholfenen Buchstaben etwas geschrieben stand.

      »Ich habe mir's nicht recht merken können, deshalb hab' ich's aufgeschrieben,« sagte er und las langsam: »John Arthur Molyneux Errol Graf Dorincourt! So heißt er und er wohnt in einem Schloß – in ein paar Schlössern, glaub' ich. Und mein Papa, der gestorben ist, war sein jüngster Sohn; und ich wäre kein Graf geworden und kein Lord, wenn mein Papa nicht gestorben wäre, und mein Papa wäre auch kein Graf geworden, wenn seine beiden Brüder nicht gestorben wären. Aber die sind alle tot, und ist gar keiner da außer mir – kein Junge – deshalb muß ich der Graf werden, und mein Großpapa hat jemand geschickt, der mich nach England abholen soll.«

      Mr. Hobbs schien es immer heißer zu werden, er wischte seine Stirn und seinen kahlen Schädel und schnaubte und pustete ganz fürchterlich. Daß hier ein sehr merkwürdiges Ereignis vorlag, fing an, ihm aufzudämmern, wenn er dann aber wieder den kleinen Jungen auf der Biskuitkiste ansah mit den ängstlichen, unschuldigen Kinderaugen, an dem so ganz und gar nichts verändert zu sein schien, sondern der ganz der nämliche hübsche, fröhliche kleine Kerl war in seinem schwarzen Röckchen mit der roten Krawatte, wie er am Tage vorher auch da gesessen, so überwältigte ihn diese Geschichte von Adel und Titeln immer wieder aufs neue, und weil Cedrik sie mit solcher Einfachheit und Unbefangenheit wiedergab, offenbar ohne sich selbst einen Begriff von ihrer Tragweite zu machen, steigerte sich seine Verblüffung immer mehr.

      »Und, und wie hast du gesagt, daß du jetzt heißest?« fragte Mr. Hobbs.

      »Cedrik Errol, Lord Fauntleroy,« erwiderte der arme kleine Edelmann. »So nennt mich Mr. Havisham; als ich ins Zimmer trat, hat er gesagt: ›So, so, das ist also der kleine Lord Fauntleroy.‹«

      »Da will ich mich doch gleich räuchern lassen!«

      Dies war eine bei Mr. Hobbs in Fallen großer Gemütsbewegung sehr beliebte Redewendung, und in diesem aufregenden Moment fiel ihm eben gar nichts andres ein. Cedrik war auch weit entfernt, darin etwas Ungeeignetes zu sehen; seine Verehrung und Bewunderung für Mr. Hobbs waren so fest gegründet, daß er die Richtigkeit seiner Bemerkungen blindlings anerkannte, auch hatte er noch zu wenig von Gesellschaft gesehen, um zu wissen, daß Mr. Hobbs nicht gerade korrekt war. Daß er ganz anders war als seine Mama, fühlte er freilich, aber Mama war eben eine Dame, und daß Damen und Herren verschieden geartete Wesen, war ihm selbstverständlich.

      Er sah Mr. Hobbs sehr ernsthaft an.

      »England ist weit weg, nicht wahr?« fragte er.

      »Ueberm Atlantischen Ozean drüben, einfach,« erläuterte Mr. Hobbs.

      »Das ist das Schlimmste an der Sache,« sagte Cedrik traurig. »Vielleicht sehe ich Sie da lange nicht mehr – mag gar nicht dran denken, Mr. Hobbs.«

      »Auch die besten Freunde müssen scheiden,« erwiderte Mr. Hobbs feierlich.

      »Wir sind nun schon viele, viele Jahre Freunde, nicht wahr?«

      »Seit du auf der Welt bist. Sechs Wochen, schätz' ich, warst du alt, da machtest du deinen ersten Ausflug auf die Straße.«

      »Ach,« bemerkte Cedrik mit einem tiefen Seufzer, »damals dachte ich noch nicht, daß ich einmal ein Graf werden sollte.«

      »Du meinst also, es sei keine Möglichkeit, aus der Patsche zu kommen?«

      »Keine, fürcht' ich; Mama sagt, daß es Papas Wunsch sein würde, daß ich gehe. Aber wenn ich auch ein Graf sein muß, so bleibt mir doch eins – ich kann versuchen, ein recht guter zu werden; ein Tyrann werde ich gewiß nicht. Und wenn wieder ein Krieg mit Amerika kommt, so werde ich dem ein Ende machen, wenn ich kann.«

      Es folgte nun eine eingehende, ernsthafte Besprechung mit Mr. Hobbs über den politischen Gesichtspunkt der Sache. Nachdem der würdige Mann den ersten Schreck überwunden hatte, zeigte er sich weit milder, als zu erwarten gewesen, that sein Möglichstes, die Sache von der guten Seite zu nehmen, und stellte eine Menge Fragen. Da Cedrik nur einen kleinen Teil derselben beantworten konnte, suchte er dies selbst zu vollbringen, und als er einmal im Zuge war, verkündigte er über Erbrecht, Grafentitel und Familiengesetze Dinge, die Mr. Havisham in großes Erstaunen gesetzt haben würden.

      Mr.


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