Reisen Band 1. Gerstäcker Friedrich

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Reisen Band 1 - Gerstäcker Friedrich


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war schon stark dunkel, als wir an den Rand eines andern kleinen Flusses mit schlammigen Ufern kamen, den wir kreuzen mußten. Die Flüsse dieser Steppen sind nicht gerade tief, ihre schlammigen Ufer dem Reisenden aber nur zu oft hinderlich, und manchmal wohl auch gar gefährlich; doch sollen sie in nässerer Jahreszeit nicht selten stürmende Fluchen, ihr Bett hinabwälzen und den Durchgang oft unmöglich machen. /80/

      Am 22. Morgens hüllte ein so dichter, entsetzlicher Nebel die Ebene ein, daß mein alter Correo in diesem unter keiner Bedingung aufbrechen wollte. Gerade hier schien eine Art Wechsel der gefürchteten „Indios" zu sein, die sich in dieser Gegend früher sehr häufig gezeigt hatten, und außerdem waren wir der Gefahr ausgesetzt, die rechte Richtung zu verfehlen und die nächste Station gar nicht anzutreffen. In solchem Wetter hätten wir auf fünfzig Schritt Entfernung nichts von ihr gesehen oder gespürt, und dann lag sogar die Möglichkeit vor, daß wir, trieb sich wirklich ein Indianertrupp in der Nähe herum, diesem eben so leicht in die Fänge laufen konnten. Bei solchem Nebel sollen diese Söhne der Steppe nämlich gar gern die Ebenen durchstreifen und überall ihre Wächter hinsenden, wenn sie sich in der Nähe besiedelter Striche wissen. Trafen sie aber auf uns, so blieb uns in der freien Ebene, ohne jeden Vorsprung, nur sehr wenig Hoffnung zum Entrinnen.

      Endlich lichteten sich die Schleier; zuerst brach die Sonne hindurch, und oben in dünnen duftigen Massen theilte sich die Decke, die bis dahin zäh und hartnäckig auf uns gelagert. Ueber den mattblauen Himmel hin suchten die einzelnen abgerissenen Flocken ihre Bahn. - Tiefer und tiefer arbeitete sich das helle, freundliche Sonnenlicht hinein und grub und drängte und schob endlich die weißgelben Schwaden wie riesige Coulissen zurück von der Bühne, aus der uns jetzt schon wieder grüne, lachende Wiesenflecke und weidende Heerden, nur noch wie von einem luftigen Flor überhaucht, entgegentraten. Jetzt schwand auch dieser: der letzte Windstoß, der mit der siegenden Sonne daherstrich, nahm ihn hinweg auf seinen kräftigen Armen, und weiter und weiter zurück wich der düstere Geist, der diese thaublitzenden, schimmernden Ebenen so lange verdeckt und verhüllt gehalten. Kaum gewannen wir aber erst einen richtigen und vollständigen Ueberblick über die Ebene, als ihn mein alter Correo auch nach besten Kräften benutzte und den Horizont mehrere Minuten lang mit seinen dunkeln Adleraugen überflog. Wir sahen nun, denn ich ließ mein Taschenteleskop ebenfalls seine Dienste thun, daß, so weit das Auge nach Süden reichte, die wenigen Heerden, die noch /81/ sichtbar waren, still und unbelästigt und ungeschreckt weideten. Die schon lange gesattelten und bepackten Thiere wurden vorgeführt - „vamos!" lautet der Ruf , und von den Sporen kaum berührt, flogen die Klepper weit aus über die Steppe.

      Nur erst wenige Leguas von dem Platz entfernt, veränderte sich das ganze Aussehen des Bodens merklich. Selbst die bis dahin einzeln zerstreuten Heerden hörten hier auf, dem Auge einen Ruhepunkt zu bieten. Kein Klee gab dem Vieh mehr die saftige Nahrung; ziemlich hohes, schon gelbendes Büschelgras vertrat jetzt dessen Stelle, und stehe da - als wir rasch eine kleine Anhöhe hinansprengten, schreckte ein Hirsch aus seinem Lager auf und floh, den hohen weißen Wedel zeigend, rasch einem sicherern oder doch wenigstens ungestörteren Platze zu. Nicht ein einziges Stück größeres Wild - Enten und Wassergeflügel natürlich genug - hatte ich gestern bemerkt, und heute, wohin das Auge sah, fand es theils äsende, theils fliehende Hirsche, die sich das hier etwas höhere Land zu ihrem Sammelplatz ausersehen zu haben schienen. Es war dem Auge eines Jägers ein wohlthuender, freudiger Anblick, der noch durch einen neuen Genuß verstärkt werden sollte. Wir mochten kaum eine Stunde geritten sein, als ich vor uns eine Schaar sich wunderlich bewegender Gestalten entdeckte. „Was ist das?" war mein fast unwillkürlicher Ausruf, und der Postillon zeigte lachend hinüber und sagte: „Avestruz."

      Strauße, die ersten wilden, die ich sah - denn zahm hatte ich sie schon hier und da in den einzelnen Ansiedlungen gefunden - Strauße, die sich dort, in den weiten Pampas, jagten und mit den unbehülflichen Flügeln schlugen, die langen Beine rechts und links hinauswarfen, und endlich, als sie unser Nahen hörten, pfeilschnell über die Ebene dahinstoben - ein Pferd hätte ihnen mit der Schnelle kaum folgen können. Mich drängte es fast, meinem Thiere die Hacken einzusetzen und hinter der wilden, wunderlichen, in der Flucht mit einander spielenden und sich bald rechts bald links hinüberhetzenden Schaar herzusprengen. Aber sie flohen nach Süden hinunter, und mein Begleiter warf noch fortwährend viel zu mißtrauische /82/ Blicke nach jener Himmelsrichtung, um mir je zu gestatten, ihr entgegenzujagen. Ueberdies hatten wir an dem Morgen auch viel Zeit versäumt, und es galt jetzt vor allen Dingen, erst die wieder einzubringen.

      Das Wild ist hier in den Steppen entsetzlich scheu, und der europäische Jäger soll es sich nicht etwa leicht denken, trotz der sehr großen Anzahl, viel zu schießen. Der Gaucho hat kein Feuergewehr, überhaupt keine Schußwaffe, nur den Lasso und die Bolas, und mit diesen ist er genöthigt, will er einmal Wildpret essen, sein Wild zu fangen. Mit diesen Waffen verfolgen deshalb die Gauchos Hirsche und Strauße, und hetzen das Wild so lange, bis sie es überholen. Natürlich muß dieses, auf solche Art fortwährend abgetrieben, ungemein scheu werden, und wo es nur ein Pferd galoppiren hört, flieht es schon, die unvermeidlichen Verfolger fürchtend, in ängstlicher Hast über die Ebene, und ruht nicht eher, bis die Gestalten der vermutheten Feinde in nebliger Ferne verschwimmen.

      Nöthig ist es hier übrigens, daß ich Bolas und Lasso dem Leser zuerst etwas näher beschreibe, denn wenn wir auch in Deutschland wissen, daß der Lasso eine Schlinge ist und Bolas Kugeln bedeuten, die geworfen werden, machen wir uns doch im Ganzen einen falschen Begriff davon. Der Lasso besteht aus einem langen Seil, von ungegerbter Rindshaut fest geflochten. Das eine Ende desselben trägt einen kleinen eisernen oder Messing-, ja in manchen Ländern ebenfalls von Leder geflochtenen Ring, und durch diesen gezogen, bildet das Seil oder der Lasso eine Schlinge, die, wenn zum Gebrauch fertig, von dem Gaucho so gefaßt wird, daß sie acht bis zehn Fuß Leine in sich faßt. In diese Schlinge selber greift er beim Wurf hinein, während er vielleicht noch dreißig Fuß loses Tau in der linken Hand locker aufgerollt hält, schwingt den Lasso drei- bis viermal um den Kopf, um ihm beim Wurf den rechten Nachdruck zu geben, und schleudert ihn dann mit solcher Sicherheit, daß er ihn nicht allein um den Hals jedes nur in Wurfesnähe gebrachten Thieres, sondern sogar beim vollen Lauf um jedes Bein des Wildes legen kann, das er haben will. Ist der Gaucho zu Pferd, so hat er das andere /83/ Ende des Lasso an seinem breiten, ebenfalls aus Rohhaut gefertigten Sattelgurt befestigt, und das Thier, das er reitet, ist so vortrefflich auf diese Art Fang eingerichtet, oder weiß vielmehr so gut, was ihm selber droht, wenn es nicht feststeht, daß es sich gleich nach dem Wurf entgegenstemmt, dem ersten Ruck des getroffenen Thieres zu begegnen.

      Die Bolas sind in der Natur des Wurfs dem Lasso ähnlich, denn sie werden ebenfalls wie dieser um den Kopf des Werfenden geschwungen und wie dieser geschleudert. Sie sind aber für den Gegenstand, nach dem sie geworfen werden, gefährlicher, da sie nicht selten selbst die Knochen eines starken Pferdes brechen. Der Pampas-Indianer gebraucht sie deshalb auch zur Kriegswaffe. Sie bestehen aus drei, in Rindshaut fest eingenähten, etwa zwei bis dritthalb Zoll im Durchmesser haltenden Steinen - nicht selten auch, wo es sich die Gauchos verschaffen können, aus kleineren Stücken Blei, die jedes an einem etwa fünf Fuß langen Streifen ungegerbter Haut befestigt sind und zu einem Mittelpunkt zusammenlaufen. Der Werfende erfaßt die eine Kugel, schwingt sich die anderen beiden wie beim Lassowurf um den Kopf, und schleudert sie dann mit einer eben solchen Biegung der Hand, als es beim Lasso nöthig ist, nach vorn. Im Wurf streben aber die schweren Gewichte auseinander, und während sie sich, ein etwa acht Fuß im Durchmesser haltendes Dreieck bildend, rasch umkreisen, schlagen, sobald der eine Stein oder das Seil, an dem er befestigt ist, einen Gegenstand trifft und dadurch Widerstand findet, die andern beiden mit Gewalt umher, umschlingen und verwickeln, was sie fassen, und treffen mit tätlicher Gewalt, was also in den Bereich ihrer Schwingung gebracht wird. Pferde, mit solchen Bolas geworfen, habe ich zusammenbrechen sehen, als ob sie vom Blitz erschlagen gewesen wären.

      Ein hübsches Beispiel vom Lassowerfen hatte ich am 23. Morgens. Diese Stationen sind, wie schon gesagt, nur Meistens kleine, roh aufgerichtete Hütten, in denen die Gauchos leben, und nach eingegangenem Contract mit dem Staat dem postreitenden Correo so viel Pferde stellen, wie er gerade braucht. Sehen sie ihn von Weitem über Tag ankommen - /84/denn die Zeit, wo er etwa passiren muß, wissen sie ungefähr - so sprengen ein paar von ihnen mit den stets am Haus bereit gehaltenen Pferden hinaus, die nächste Heerde einzutreiben, und wenn sie eine Umzäunung haben,


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