Kind des Lichtes. Kerstin Wandtke
Читать онлайн книгу.helle Mädchen begann ihn zu faszinieren. Vielleicht hatte mit ihr seine unruhige, quälende Suche nun endlich ein Ende gefunden. Die ganze restliche Nacht, während sie unruhig schlief, beobachtete er sie. Es bedrängten ihn viele offene Fragen, wo zum Beispiel ihre Wurzeln lagen und was sie mitten im Winter allein und halbnackt durch die Berge trieb und er beschloss, dies herausfinden zu wollen. Gegen Morgen dachte er, sie vorerst mitzunehmen, wenn sie es denn wollte. Nur so würde er, wie er sich erhoffte, Antworten auf seine Fragen erhalten. Sie machte auf ihn einen hilflosen, einen zurückgelassenen Eindruck, doch sie schien freundlich und entgegenkommend zu sein und, bei den alten Göttern, sie war wunderschön.
Am anderen Morgen betrachtete er sie, nochmals überlegend, und fragte sie schließlich ob sie ihn begleiten wolle. Raven wunderte sich ein wenig über seine erfreute Reaktion als sie, nach langer Überlegung ihrerseits, ihn anblickte und schließlich nur kurz nickte. Nachdem sie den Rest des Fleisches gegessen hatten, reichte er ihr seine Wechselkleidung und verließ dann die kleine Höhle, damit sie sich anziehen konnte.
Er stand draußen auf dem kleinen Plateau vor der Höhle, und sog die frische, kalte Luft tief in seine Lungen. Der Morgen war wieder klar, der Sturm des Abends vorbei und die ersten Sonnenstrahlen glänzten hell auf dem neuen Schnee, der das ganze Tal unter ihm bedeckte. Er fühlte sich stark und lebendig und freute sich seid langem wieder auf den weiten Flug nach Süden. Kurze Zeit nach ihm trat sie aus der Höhle und als Raven sich umwandte, musste er laut Auflachen, ihres Anblicks wegen. Sie erschrak, wich zurück und sah ihn sehr misstrauisch an.
„Nein, nein, du musst keine Angst haben,“ er hob beschwichtigend seine Hände und unterdrückte einen erneuten Anfall, „aber, wenn du dich sehen könntest.......,“ wieder musste er Lachen und sie sah mit Unverständnis im Blick zu ihm auf. Sie war so klein und verschwand dabei völlig in seiner Kleidung. Die Hose, die Weste, der Fellüberwurf, alles schlotterte an ihr, war ihr viel zu groß.
„Warte,“ meinte er, immer noch lachend, „ich werde dir helfen.“
Er betrat erneut die Höhle und kramte in seinen Taschen nach Lederbändern und seinem Messer, um ihr, wieder draußen, seine Kleidung zu kürzen und ihr mit den Bändern etwas mehr halt zu geben. Die Reste des Fellüberwurfs band er um ihre kleinen, weißen Füße und als er sich wieder erhob, er war mit dem Ergebnis seiner Arbeit sehr zufrieden, lächelte sie ihn zum ersten Mal freundlich an.
„So, fertig,“ Raven sah erstaunt zu ihr herab, sie schien zu Leuchten, wenn sie so lächelte, „bist du bereit, kann es losgehen?“ Sie sah zu ihm auf, nickte und begann dann schnell und geschickt ihr langes Haar zu einem dicken Zopf zu drehen, der ihr anschließend, mit den Resten der Bänder zusammengehalten, bis zur schmalen Hüfte fiel. Anschließend packten beide ihre Habseeligkeiten zusammen, löschten das Feuer und traten zum letzten Mal auf das Plateau. Er würde mit ihr fliegen müssen, wie Leute seines Volkes mit ihren Kindern flogen, und er überlegte kurz, ob sie dies wohl zulassen würde.
„Warte,“ Raven löste seinen dicken, schweren Gürtel von seiner Taille, „du wirst dich in der Luft sonst nicht lange halten können. Dafür ist es zu kalt, und ich muss meine Hände freibehalten. Möchtest du nach oben sehen oder die Landschaft betrachten?“
Er sah sie hoffend und abwartend an. Sie überlegte nur kurz und trat dann so auf ihn zu, das sie sich gegenüberstanden.
„Gut,“ meinte er, ging freudig in die Knie und band sie mit dem Gürtel fest an sich. Ihre Nähe, ihr Geruch, sie machte ihn nervös und er versuchte, sich auf den bevorstehenden Flug zu konzentrieren. Als er sich wiederaufrichtete, hing sie, wie seine Taschen auch, fest an ihm verschnürt und er ging zum Rand des Plateaus.
„Halte dich fest und habe Vertrauen,“ flüsterte er ihr zu, jetzt ihre Angst fühlend, breitete danach seine großen, ledernen Schwingen aus und stürzte sich dann mit ihr in die Tiefe. Er fing sich mühelos ab, sie wog fast nichts, und rauschte mit ihr erst segelnd über die Wipfel der schneebedeckten Bäume, um danach mit mächtigen Flügelschlägen langsam an Höhe zu gewinnen. Sie klammerte sich ängstlich zitternd an ihn, und er fürchtete dadurch schon um seine Fassung.
„Sieh mich an, kleine Fee.“ Langsam hob sie den Kopf und öffnete die Augen.
„Es wird dir nichts passieren, das verspreche ich dir, aber bitte, klammere dich nicht so fest.“ Daraufhin entspannte sie sich ein wenig und auch Raven ging es nun etwas besser, obwohl ihr Zauber ihn immer weiter gefangen nahm. Um sich etwas von ihr abzulenken, hielt er den Blick stur nach unten, um nach Leuten, Häusern oder Vieh Ausschau zu halten, denn irgendwo her musste sie schließlich kommen. Doch nichts dergleichen bekam er zu sehen, und gegen Mittag gab es er auf.
Die schneebedeckte Landschaft unter ihnen war Atemberaubend, doch nichts deutete auf Menschen oder anderes Leben hin, außer einigen mageren Rehen, von denen er eines im Flug packte und schnell in der Luft tötete. Sie flogen den ganzen Tag hindurch, und er begann am Nachmittag wieder nach einem Lagerplatz für die Nacht zu suchen und fand später eine kleine Lichtung im Wald. Keine Höhle, aber besser als nichts. Raven landete sehr vorsichtig da sie jetzt schon seid geraumer Zeit fest schlief. Er legte sie sanft zu Boden und bereitete so schnell er konnte das Lager, um sie dann in die wärmenden Felle zu betten. Sie schlief unter seinem wachen Blick bis zum Abend und als sie dann erwachte, brannte ein Feuer und darüber hing das magere Reh. Er saß am Feuer und schnitzte, als sie sich schlaftrunken die Augen rieb. Erfreut blickte er sie an.
„Du hast lange geschlafen, kleine Fee, bist du hungrig?“ Sie gähnte, streckte sich ausgiebig und nickte ihm danach immer noch etwas müde zu.
„Das ist gut, denn dieser prächtige Braten wäre für einen allein sowieso viel zuviel,“ meinte er grinsend und sie lächelte verschlafen zurück. Er erhob sich, ging zum Feuer und gab ihr danach ein großes Stück vom Reh. Sie aßen schweigend, und er fühlte sich seid sehr langer Zeit wieder wohl. Normalerweise banden sich die Männer seines Volkes nicht an eine Frau. Aber ja, sie hatten Frauen, und wo immer sich die Gelegenheit bot, teilten sie mit ihnen die Wonnen, was bei Menschenweibern oft deren Tot zur Folge hatte. Sein Volk war in vielerlei Beziehung mächtig und einige waren dieser Macht eben nicht Gewachsen, was bedauerlich war, sich aber nicht ändern ließ. Doch sie übte eine besondere Faszination auf ihn aus, und er war neugierig, ob es nur ihm so ging oder auch andere Männer seines Volkes betreffen konnte.
Sie war so klein, so jung und wunderschön. Er unterdrückte nur mit Mühe den Drang sie zu berühren und schwor sich, so lange zu warten, bis sie auf ihn zukommen würde. Doch es würde hart werden, das wusste er. Nach dem gemeinsamen Mahl reinigte sie ihre Hände mit Schnee und begann danach ihren, jetzt unordentlichen Zopf zu lösen und einige Kletten im langen Haar zu entwirren. Er erhob sich, ging ums Feuer und reichte ihr seine Schnitzerei.
„Hier, kleine Fee, bis du einen neuen hast wird dieser es auch tun.“ Damit reichte er ihr einen kleinen Holzkamm, an dem er schon den ganzen Nachmittag lang gearbeitet hatte. Erstaunt sah sie zu ihm auf, nahm ihm den Kamm dann auch aus der Hand, aber betrachtete ihn danach nur fragend. Schließlich legte sie ihn in ihren Schoß und bearbeitete ihr langes Haar weiter mit den Händen. Raven sah sie völlig verblüfft an und so langsam dämmerte ihm, in was er da hineingeraten war. Sie kannte keinen Kamm? Jede Frau, absolut jede, egal ob stolze Königin oder arme Bäuerin, ob Elfenprinzessin oder Zwergin nannte einen Kamm ihren Besitz. Wenn sie die Funktion eines solchen nicht kannte, hatte sie nie unter Menschen oder anderen Völkern gelebt. Er beugte sich herunter, nahm ihr den Kamm aus dem Schoß, setzte sich hinter sie und begann vorsichtig ihr langes, schönes Haar zu kämmen. Zuerst zappelte sie dabei ein wenig herum, doch als er mit ihr sprach, beruhigte sie sich und saß dann still.
„Du hast schönes Haar, kleine Fee, und um es zu pflegen habe ich dir diesen Kamm gemacht. Du kennst keine Kämme, das heißt, du kennst auch die anderen Dinge der Völker nicht. Keine Häuser, keine Städte, keine Länder. Gut, die dreckigen Orte der Menschen muss man auch nicht kennen. Aber es gibt auch sehr schöne Dinge, unsere Schlösser zum Beispiel sind so schön wie du. Oder Schmuck, oder schöne Kleider, oh es gibt so viel, was ich dir zeigen könnte. Aber ich habe die Vermutung, dass du ein Wolfskind bist, du mich darum nicht richtig verstehen kannst..........“
Wütend