Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens. Jakob Wassermann

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Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens - Jakob Wassermann


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       Kaspar Hauser

       Jakob Wassermann

      Inhaltsverzeichnis

       IMPRESSUM

       Teil 1

       Der fremde Jüngling

       Bericht Caspar Hausers, von Daumer aufgezeichnet

       Eine hohe amtliche Person wird Zeuge eines Schattenspiels

       Der Spiegel spricht

       Caspar träumt

       Religion, Homöopathie, Besuch von allen Seiten

       Daumer stellt die Metaphysik auf die Probe

       Eine vermummte Person tritt auf

       Das Amselherz

       Botschaft aus der Ferne

       Der englische Graf

       Die geheimnisvolle Mission und was ihrer Ausführung im Wege steht

       Zweiter Teil

       Gespräch zwischen einem, der maskiert bleibt, und einem, der sich enthüllt

       Nacht wird sein

       Ein Kapitel in Briefen

       Anbetung der Sonne

       Man erfährt einiges über Herrn Quandt sowie über eine vorläufig noch ungenannte Dame

       Joseph und seine Brüder

       Schloß Falkenhaus

       Quandt begibt sich auf ein heikles Gebiet

       Eine Stimme ruft

       Es wird eine Reise beschlossen

       Die Reise wird angetreten

       Schildknecht

       Ein unterbrochenes Spiel

       Quandt unternimmt den letzten Sturm auf das Geheimnis

       Aenigma sui temporis

      IMPRESSUM

      Fragen oder Wünsche?

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      Public Domain

      (c) mehrbuch

      Teil 1

      Der fremde Jüngling

      In den ersten Sommertagen des Jahres 1828 liefen in Nürnberg sonderbare Gerüchte über einen Menschen, der im Vestnerturm auf der Burg in Gewahrsam gehalten wurde und der sowohl der Behörde wie den ihn beobachtenden Privatpersonen täglich mehr zu staunen gab.

      Es war ein Jüngling von ungefähr siebzehn Jahren. Niemand wußte, woher er kam. Er selbst vermochte keine Auskunft darüber zu erteilen, denn er war der Sprache nicht mächtiger als ein zweijähriges Kind; nur wenige Worte konnte er deutlich aussprechen, und diese wiederholte er immer wieder mit lallender Zunge, bald klagend, bald freudig, als wenn kein Sinn dahintersteckte und sie nur unverstandene Zeichen seiner Angst oder seiner Lust wären. Auch sein Gang glich dem eines Kindes, das gerade die ersten Schritte erlernt hat: nicht mit der Ferse berührte er zuerst den Boden, sondern trat schwerfällig und vorsichtig mit dem ganzen Fuße auf.

      Die Nürnberger sind ein neugieriges Volk. Jeden Tag wanderten Hunderte den Burgberg hinauf und erklommen die zweiundneunzig Stufen des finstern alten Turmes, um den Fremdling zu sehen. In die halbverdunkelte Kammer zu treten, wo der Gefangene weilte, war untersagt, und so erblickten ihre dichtgedrängten Scharen von der Schwelle aus das wunderliche Menschenwesen, das in der entferntesten Ecke des Raumes kauerte und meist mit einem kleinen weißen Holzpferdchen spielte, das es zufällig bei den Kindern des Wärters gesehen und das man ihm, gerührt von dem unbeholfenen Stammeln seines Verlangens, geschenkt hatte. Seine Augen schienen das Licht nicht erfassen zu können; er hatte offenbar Furcht vor der Bewegung seines eignen Körpers, und wenn er seine Hände zum Tasten erhob, war es, als ob ihm die Luft dabei einen rätselhaften Widerstand entgegensetzte.

      Welch ein armseliges Ding, sagten die Leute; viele waren der Ansicht, daß man eine neue Spezies entdeckt habe, eine Art Höhlenmensch etwa, und unter den berichteten Seltsamkeiten war nicht die geringste die, daß der Knabe jede andre Nahrung als Wasser und Brot mit Abscheu zurückwies.

      Nach und nach wurden die einzelnen Umstände, unter denen der Fremdling aufgetaucht war, allgemein bekannt. Am Pfingstmontag gegen die fünfte Nachmittagsstunde war er plötzlich auf dem Unschlittplatz, unweit vom neuen Tor, gestanden, hatte eine Weile verstört um sich geschaut und war dann dem zufällig des Weges kommenden Schuster Weikmann geradezu in die Arme getaumelt. Seine bebenden Finger wiesen einen Brief mit der Adresse des Rittmeisters Wessenig vor, und da nun einige andre Personen hinzukamen, schleppte man ihn mit ziemlicher Mühe bis zum Haus des Rittmeisters. Dort fiel er erschöpft auf die Stufen, und durch die zerrissenen Stiefel sickerte Blut.

      Der Rittmeister kam erst um die Dämmerungsstunde heim, und seine Frau erzählte ihm, daß ein verhungerter und halbvertierter Bursche auf der Streu im Stall schlafe; zugleich übergab sie ihm den Brief, den der Rittmeister, nachdem er das Siegel erbrochen, mit größter Verwunderung einige Male durchlas; es war ein Schriftstück, ebenso humoristisch in einigen Punkten wie in andern von grausamer Deutlichkeit. Der Rittmeister begab sich in den Stall und ließ den Fremdling aufwecken, was mit vieler Anstrengung zustande gebracht wurde. Die militärisch gemessenen Fragen des Offiziers wurden von dem Knaben nicht oder nur mit sinnlosen Lauten beantwortet,


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