Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3. Mario Covi

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Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3 - Mario Covi


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unzähligen Eisentreppen, die im Maschinenraum die verschiedenen Stationen und Decks verbinden. Er war so in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er nicht merkte, wie sein Overall im Schritt zerriss und, da er in der Hitze keine Unterwäsche trug, sein vielleicht etwas zu entspannter Hodensack durch das weitmaschige Gitter der Podest-Gräting flutschte. (Eine Gräting ist ein begehbarer Gitterrost aus Metall oder Holz). Als er schließlich gewahr wurde, wo sich sein Skrotum befand, versuchte der Mann das vorwitzige Körperteil aus dem Gitterloch herauszuziehen. Doch so leicht das Maschinistengehänge in die heimtückische Falle gerutscht war, so unmöglich erwies sich jeder Befreiungsversuch. So blöde die Situation auch war, da half nur die Flucht nach vorne.

      Der Zweite rief seinen Assi – im Lärm der auf vollen Touren tobenden Schiffsmotoren ein Geduldspiel – und bat ihn mit besagter Drehbewegung der Hand, auf einer Leiter von unten an das Gitter des Podests zu steigen und... Nun ja, es klappte nicht, nein, da half kein Drehen, kein Schieben, kein Drücken und kein Pressen. Das Ei saß fest!

      Mittlerweile hatten sich weitere Helfer eingefunden, die sich sichtlich an der peinlichen Lage des Zweiten Ings weideten und mit derben Ratschlägen zur Hand waren. Jeder drehte mal probehalber am inzwischen schmerzgeschwollenen Hodensack, mal rechts rum, mal im technischen Sinne des Linksgewindes. Man versuchte es mit Seife und mit Öl. Man diskutierte. Man sprach feixend von Abschneiden, aber auch vom Steckenlassen, da der Gequälte von hier oben eigentlich alles recht gut im Blick habe. Vielleicht sollte man sogar Eintritt verlangen und der Decks-Crew auch etwas zum Lachen bieten.

      Allen hartgesottenen Scherzen zum Trotz, es musste etwas geschehen! Werkzeug wurde herangeschafft, weitere Leitern aufgestellt und mit dem Schneidbrenner zunächst ein großes Stück aus dem Podest gebrannt. Eine knifflige Operation, während der das empfindliche und ach so erniedrigend eingeklemmte Stück Männlichkeit dauernd mit Wasser gekühlt wurde. Für eine männerfeindliche Damenriege aus dem Chauvifresser-Lager wäre dieses Schauspiel das Ziel aller Träume gewesen. Zumal dann, als der Zweite würdelos und breitbeinig tänzelnd das schwere Gitterstück festhielt, damit es nicht an seinem Sie-wissen-schon zu hängen kam. Er hätte das Gewicht nur loszulassen brauchen und wäre den ganzen Ärger mit den Lüsten und dem Hormonstau samt Gräting losgeworden. Schmerzhaft und barbarisch zwar, aber endgültig. Emaskulation – Entmännlichung, der wahre Weg zur Emanzipation des von seinem Hautbeutel Gebeutelten.

      Indes, wie singt der spitzbübische Jürgen von der Lippe: „...manche hängen halt an kleinen Dingen!“ – Und das wörtlich! Folglich wurde der Akt der Befreiung bis zum erlösenden Ende durchgestanden. Eine gelungene Mischung aus markigem Kameradschaftsabend und der schweißtreibenden Schwerarbeit des Kolbenziehens. Sägen, Biegen und Brechen. Und dann: Aah!!! Der dämliche Maschinistensack baumelte wieder frei! Und machte fortan einer an Bord nur andeutungsweise eine Drehbewegung mit der Hand, dann wieherte der ganze Dampfer wie ein Haufen Irrer, und Außenstehende hatten es schwer, Verständnis zu heucheln.

      Dem Eindruck, wir seien beim Feiern meines zwanzig Jahre alten Funkzeugnisses zu stumpfsinnigen Pintfetischisten verkommen, muss ich allerdings heftig entgegentreten. Ganz so schwanzbezogen ist die Männerwelt der Seeleute nun doch nicht, glauben Sie mir bitte! Nein, das Thema war irgendwann erschöpft, weil ein anderes und wieder ein anderes zu immer neuem Atemholen verführten.

      4. EIN VERHÄNGNIS

      Die Lieblingsbeschäftigung von Trampfahrern, wenn eine Reisecharter zu Ende gegangen war, bestand im Rätseln, Hoffen und Träumen. Die Hoffnung auf den Traumtrip, ach ja, man gab sie niemals auf!

      Wir waren von Mersin kommend am Kap Anamur vorbei gen Westen gedampft. Ein Anschlusstörn vom Schwarzen Meer nach Bordeaux war im Gespräch. Dann würfelte man am ‚Traumtrip‘ Ravenna-Tripolis. Es herrschten schlechte Zeiten für die Reeder, zweifelsohne. Beim damaligen Frachtenverfall und Tonnage-Überangebot glaubten das sogar die Seeleute. Selbst die kürzesten Reisecharterverträge wurden angenommen, um wenigstens die Unkosten der Schiffe aufzufangen. Es hatte sich dann entschieden, dass wir Konstruktionsteile für Supermarkthallen nach Libyen bringen sollten, eine sperrige und schwere Ladung aus unzähligen Eisenträgern, Stahltraversen und Betonplatten.

      Mitte Juni 1982 lag dann die "Marlene-S" an der Pier von Tripolis. Sämtlicher Alkohol war verschlossen worden, wir hatten nicht eine einzige Buddel Bier behalten dürfen. Jede Illustrierte, die nur im Entferntesten nacktes Weiberfleisch zeigte, war im Zollstore eingeschlossen worden. Da war so mancher Packen deftiger Pornohefte aufgetaucht. Ebenso waren sämtliche Devisen auf Heller und Pfennig anzugeben. Wer schlau war, hatte nicht alles gemeldet, denn in solchen Ländern gab es zwangsläufig einen schwarzen Markt für Devisen. Natürlich waren auch die Sender der Funkstation versiegelt worden. Ich hätte ja auf den Gedanken kommen können, den Israelis Länge und Breite von Tripolis durchzufunken!

      Dann gab es endlich Landgangserlaubnis. Ich schaute mir Tripolis an, das ich vor vierzehn Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Im Hafen, wo Südkoreaner als Gastarbeiter ihren disziplinierten Dienst verrichteten, wirkte alles dem deutschen Gütesiegel ‚Sauber-und-Ordentlich‘ entsprechend. Für Freunde handfester Abstraktion ein klarer Beweis für die Unfähigkeit dieser Muftis und Kameltreiber. Entlang der Straße zum Hafentor standen auf Sockeln grüne Leuchttafeln. Darauf mahnten Sprüche aus Gaddafis grünem Buch der Revolution, dass „Repräsentation“ eine Verfälschung der Demokratie sei, dass man Partner und nicht Lohnarbeiter sei, dass die „El Fatah for ever“ leben möge. Einige der islamisch-grünen Kernsätze hätten auch unseren alternativ-grünen Hausbesetzern gefallen: „Land ist niemandes Eigentum“ und „Das Haus ist für seine Bewohner da – the house is for it’s occupant“, was sich sogar als Transparentparole mit „Das Haus gehört seinem Besetzer“ hätte übersetzen lassen können...

      Die Altstadt war eine wehmütige Enttäuschung. Sicherlich, der Bogen des Marc Aurel, den fußballspielende Lausbuben als Tor benutzten, würde vielleicht noch Jahrtausende überdauern. Doch sonst kroch das Elend aus dem geschichtsträchtigen Gemäuer. Im Souk, den ich als brodelnden orientalischen Basar in Erinnerung hatte, waren fast sämtliche Geschäfte aufgegeben worden und verbarrikadiert. Der Basar war tot, bis auf die Gassen mit den hämmernden Kupferschmieden und den kabinenkleinen Läden der Silberhändler. Die bauchigen, innen verzinnten Kupferkessel waren Standardstücke eines jeden Haushalts, und Silberschmuck gehörte zur arabischen Welt wie die Oase zur Wüste. Hier existierte noch etwas von der Atmosphäre, derentwegen es einen in die Medina zog. Beduinenfrauen in weißen Überwürfen verscherbelten hier ihre massiven Armreifen, schweren Ohrgehänge und Amulette. Es war Not, die sie dazu zwang, denn Muammar al-Gaddafis verhängnisvolle Politik hatte den kleinen Leuten keinen Segen gebracht. Das Angebot auf den Lebensmittelmärkten war so dürftig, dass man an eine Hungersnot glauben mochte.

      Ich traf einen Amerikaner, der draußen in der Wüste auf den Ölfeldern arbeitete.

      „Für wen ich eigentlich tätig bin, weiß ich nicht“, sagte er. „Aber solange ich mein Geld bekomme...“ Und er bestätigte die Misere des Landes: „Wovon die Menschen hier leben, ist mir schleierhaft. Es gibt nichts zu essen, kein Obst, kein Gemüse, Grundnahrungsmittel in kleinsten Rationen. Die Leute hungern!“

      Im Schaufenster eines Silberschmiedes, dem ich ein paar urige Beduinenamulette abgekauft hatte, entdeckte der Amerikaner ein altes amerikanisches Silber-5-Cent-Stück. Der junge Händler, der in London studiert hatte, schenkte es dem Fremden und spottete: „Wenn das Gaddafi wüsste!“ – Alle lachten, wohl wissend, wie verzerrt die Situation im Lande war, wo alles Amerikanische leichthin auch als Erzfeind-Jüdisches verfemt wurde. Der Genuss von Coca-Cola kam schon fast einem Landesverrat gleich.

      Offiziell sollte der Dinar etwa acht Mark wert sein. Auf dem Schwarzmarkt – zugegebenermaßen ein risikoreiches Abenteuer – bekam man weitaus günstigere Kurse, die bis zur Basis von einem Dollar gleich einem Dinar rutschen konnten. Doch mehr als Silber für Sammler bot sich dem Käufer nicht, was mir allerdings die Enttäuschung über den toten Basar erträglicher machte.

      Abends süffelten wir in gewohnter Runde heimlich heimliche Bestände. Wie Kinder, die geklaute Äpfel naschen, ließen wir uns kichernd die Drinks schmecken, die uns eine bevormundende Diktatur verweigern wollte. Gaddafi, du scheißt doch keinen


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