Bautz!. Widmar Puhl

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Bautz! - Widmar Puhl


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sein kann, aber in solchen Augenblicken passt kein Rauchen. Und wenn wir schon beim Rauchen sind: Ich finde es zwar mittelalterlich, wenn man Raucher diskriminiert und ihnen das Leben überall schwer macht; aber haben wir das nicht teilweise auch Zeiten zu verdanken, wo wir Raucher rücksichtslos und egoistisch anderen praktisch überall die Luft verpestet haben? Das Klima vergiften – das wäre ein Thema für sich.

      Ich bin ein Schreibtischarbeiter; doch das sind ja ziemlich viele Zeitgenossen. Immer wenn ich besonders viel zu arbeiten habe, muss ich zuerst raus an die frische Luft. Ich muss meinen Kopf auslüften. Vielleicht hilft das Gehen auch beim Verfertigen der Gedanken vor dem Sprechen oder Schreiben. Jedenfalls tut mir die frische Luft ausgesprochen gut; sie hilft, Gedanken zu finden, zu ordnen und sich setzen zu lassen, weil das Gehirn mehr Sauerstoff bekommt.

      Merkwürdig genug: Ohne dieses unsichtbare, aber allgegenwärtige Gasgemisch aus etwa 78 Prozent Stickstoff, 21 Prozent Sauerstoff und ein paar Resten anderer Gase plus etwas Wasserdampf geht ja gar nichts. Wirklich lebenswichtig sind ja „nur“ die 21 Prozent Sauerstoff. Doch wann denken wir schon einmal darüber nach? Nichts ist selbstverständlicher als das Atmen. Aber wenn es aufhört, ist man tot. Und wenn es aus irgend einem Grund schwer wird, merken wir erst, wie wichtig es ist.

      Vor ein paar Jahren hatte ich mir einen Virus eingefangen und bekam eine Lungenentzündung. Ganz plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, konnte ich nicht mehr richtig einatmen. Bei jedem tiefen Atemzug fühlte ich einen scharfen Stich in der Brust. Da bekam ich es ganz schön mit der Angst.

      Ist es nicht ein phantastisches Gefühl, zu spüren, wie sich dieLungen füllen? Ich habe beschlossen, mich öfter daran zu freuen. Deswegen ist mir auch sehr daran gelegen, dass unsere Luft nicht zu einer Müllkippe für unbekömmliche Gase wird, an denen erst die Wälder sterben und dann wir selbst.

       Schlaf

      Wie unentbehrlich Schlaf ist, wird einem erst klar, wenn er fehlt. Der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn hat eindrucksvoll die Folter durch Schlafentzug beschrieben. Erst gute Nächte erlauben gute Tage.

      Schlaf, dieser dem Wachen entgegengesetzte, im Allgemeinen normale Zustand, in dem bei geschwundenem Bewusstsein die Funktionen des Körpers auf ein geringes Maß eingeschränkt sind: Niemand weiß wirklich genau, was das ist. Von Thomas Morus wird berichtet, er sei mit zwei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht ausgekommen. Ich bewundere das, doch meine Versuche, es ihm nachzumachen, sind jämmerlich gescheitert.

      Wenn ich nicht genug Schlaf bekomme, werde ich reizbar und vergesslich, vertrödle Zeit, bin unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen und neige zu Kopfschmerzen: ein abscheulicher Zustand, in dem alles und jeder stört, in dem man anfängt, die ganze Welt zu hassen, weil alles nur von einem Wunsch beherrscht wird: Ruhe.

      Wenn ich gut geschlafen habe, bin ich frisch und ausgeruht. Ein Gefühl der Dankbarkeit stellt sich ein, weil ich es auch anders kenne. Nun kann es mit dem Tag aufnehmen, was auch immer er bringt. Wenn ich schlecht geschlafen habe, bin ich schon vor Beginn der ersten Runde geschwächt und in der Defensive. Stress, Überforderung ssind die Folge, immer mehr Aufgaben bleiben unbewältigt, das Liegengebliebene stapelt sich schnell zu unübersehbaren Bergen. Dann besteht die Gefahr, dass sich das einstellt, was die Ärzte etwas ratlos „psychosomatische Schlafstörung“ nennen, weil die Patienten dann aus lauter Angst vor der gefürchteten Schlaflosigkeit nicht schlafen können.

      Einmal habe ich im Urlaub eine merkwürdige Geschichte erlebt. Wir waren ans Meer gefahren, und keine zwanzig Meter vor unserem Fenster schlug eine laute Brandung an die Steilküste. Erst brachen sich die Wellen mit dumpfen Schlägen; dann, wenn das Wasser zurückfloss, kollerten Zig-Tausende von Steinen von der Kieselküste geräuschvoll im Sog des Wassers mit. Sie wissen, was ich meine: So etwas ist wirklich laut.

      Der Ort war wunderschön und einsam. Bis auf die Natur vor der Tür unterbrach nichts die erholsame Stille. Am ersten Tag bestaunten wir das Schauspiel ausgiebig, und leise Zweifel kamen, ob man dabei auch gut schlafen könne. In der ersten Nacht wachte ich ein paar Mal auf, hörte die Brandung, dachte „alles in Ordnung, das Meer ist noch da“ oder so ähnlich und schlief wieder ein. In der zweiten Nacht störte schon nichts mehr, überhaupt nichts. Die Brandung gehörte dazu. Sie war ein „Geräusch der Stille“, etwas völlig anderes als Geschrei oder laute Musik, Baumaschinen oder Verkehrslärm.

      Warum erzähle ich das? – Einige Zeit vor uns war ein Kollege am gleichen Platz gewesen und hatte erzählt, er habe nur mit Wachs in den Ohren schlafen können. Ich vermute, uns war es nur besser ergangen, weil wir dieses regelmäßige Rauschen und Poltern als Begleitmusik erholsamer Tage angenommen hatten. Ja, auch diese nicht gerade sanfte Brandung hatte schließlich einschläfernd gewirkt. Vielleicht hat das Schlafen-können mehr mit dem Schlafen-dürfen zu tun als ich bisher dachte. Vielleicht stören meinen Schlaf Geräusche, die ich auch hellwach nicht mag, nicht aber Geräusche, die ich grundsätzlich mag.

      Wir hatten uns sehr auf diesen Urlaub gefreut, vom Meer geträumt und davon, wie es rauscht. Wahrscheinlich haben wir dann so gut geschlafen, weil der Unterschied zwischen Traum und Wachen plötzlich nicht mehr existierte. Es tut der Seele gut, ab und zu einen Traum zu verwirklichen. Und es muss wohl so sein, dass die Seele darüber entscheidet, ob ich gut schlafe oder nicht. Etwas von diesem Erlebnis hat bis heute vorgehalten, obwohl seitdem viele Jahre vergangen sind. Es war die Erfahrung: Je vollständiger ich versuche, jede Störung von meinem geheiligten Schlaf fernzuhalten, desto schwieriger wird die Sache. Mein Schlaf ist ein bisschen weniger störanfällig geworden – und damit besser.

       Ernten

      An einem Tag im Herbst habe ich bei einem Spaziergang Haselnuss-Sträucher entdeckt, die frei am Weg standen und voll hingen mit großen, braunen Nüssen. Ich konnte nicht widerstehen, da waren wohl Erinnerungen an meine Kinderzeit im Spiel: Erst pflückte ich mir eine, knackte sie (ich weiß, das ist ungesund) mit den Zähnen und zerkaute langsam und genießerisch das würzige, noch saftige Fruchtfleisch. Dann holte ich mir die nächste, und auf einmal war ich wie im Fieber. Ich kroch in die Büsche, bog Zweige zu mir herunter, grapschte und füllte mir systematisch die Hosentaschen.

      Auf dem Heimweg begegneten mir andere Spaziergänger; ich versuchte unauffällig und verschämt, meine ausgebeulten Hosentaschen mit den Händen zu tarnen. Aber stolz war ich und glücklich wie ein Schulbub. „Schau, was ich geerntet habe“, sagte ich zu Hause und leerte meine Schätze in eine ziemlich große Schüssel, in der sie schon wieder bescheidener aussahen. Meine Frau hat gelacht, aber nicht spöttisch.

      Ich glaube, was mir da passiert ist, war nicht bloß eine Kindheitserinnerung. Es war dieses Ur-Vergnügen am Ernten, das zu den einfachen, aber großen Freuden der Menschen gehört, seit sie in Höhlen schliefen und ein Leben als Jäger und Sammler führten. Wenn man so will, hat sich da der Neandertaler in mir wieder gemeldet. Heute produzieren immer weniger Bauern immer mehr Lebensmittel und die meisten Menschen leben in großen Städten; wohin also heute mit diesem Ur-Vergnügen?

      Ich möchte es mir wenigstens im Kleinen erhalten und kultivieren. In dem Wort „ernten“ steckt das englische Wort „to earn“, durch Arbeit verdienen. Das tun wir ja alle nach Möglichkeit für unseren Lebensunterhalt. Aber am Fließband, an der Ladenkasse, am Bankschalter, am Steuer oder am Schreibtisch denkt ja kein Mensch mehr an wogende Kornfelder, Ackerbau und Obstgärten. Unsere alltägliche Ernte ist sehr abstrakt und un-sinnlich geworden.

      Dass diese sinnliche Freude nicht verloren geht, ist mir aber wichtig. Vielleicht hat mancher Grundstücks- oder Gartenbesitzer genau aus diesem Grund so viel Arbeit in seinen Besitz gesteckt und so viel Freude an der Plackerei, obwohl das nicht jedem bewusst ist. Das muss auch nicht sein. Erntefreude ist tief im Menschen verankert und nicht auszurotten. Für die meisten Zeitgenossen ist es nicht immer leicht, ein Schlupfloch, ein Ventil für diesen Trieb zu finden. Man hat selten das Glück, ernten zu können, wo man nicht gesät hat. Um die meisten Verlockungen dieser Art stehen Zäune, die man respektieren muss.

      Wer im Spätsommer oder Herbst mit dem Auto oder Fahrrad in die Gegend um den Bodensee


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