Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. Franz Werfel

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Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig - Franz Werfel


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leicht die Sporen aneinander und begrüßte meine Mutter und mich, die schon mit der Suppe warteten, mit einem förmlichen »Servus«, wie er es von Kameradschaftsabenden her gewohnt war, wenn er unter rangsjüngere Kameraden trat.

      Beim Essen wurde wenig gesprochen, denn einen schweigsameren Menschen als meine Mutter habe ich nie gesehen, die nur ein Gegenstand völlig in Schwung zu bringen vermochte: Der Judenhaß. Mein Vater machte zwischen zwei Bissen dann und wann eine Bemerkung über einen Offizier. Den Untergebenen und Gleichgestellten pflegte er schlechtweg mit seinem Zunamen zu nennen, den Vorgesetzten bezeichnete er mit der Charge, wobei er niemals vergaß, das Wort »Herr« voranzusetzen.

      Er war ein ausgezeichneter Offizier. Das Dienstreglement war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

      Wenn er das Wort an mich richtete, so war es immer eine Prüfungsfrage. Einmal zog er sogar, während ich in meinem verflachsten Rindfleisch stocherte, eine zusammengefaltete Generalstabskarte aus der Tasche und verlangte von mir, ich solle die Karrenwege im Raume von Jezierna, das ein unbedeutendes galizisches Nest ist, genau beschreiben. Das war selbst meiner Mutter zu viel. »Laß das Kind essen, Karl!« sagte sie. Und ich habe ihr dieses gute Wort – »Kind« – nie vergessen.

      Diese Mahlzeit war der Höhepunkt meines Sonntags. Um fünf Uhr mußte ich schon wieder in dem weißgetünchten Zimmer mit den zehn Eisenbettgestellen sitzen und über einer arithmetischen Aufgabe brüten, verzehrt von Montagsangst und Sodbrennen.

      Nur in den Ferien war es etwas anders. Zwar unterließ es mein Vater nicht, die Schule zu ersetzen und alltäglich mir einen Rapport zu verordnen, wo er das Pensum, das er mir tags vorher aufgebürdet hatte, abhörte, – aber ich durfte doch eine Stunde länger im Bett liegenbleiben, das nicht ganz so hart war als das der Kadettenanstalt; auch blieb mir Zeit, ein wenig zu flanieren, mit dem Hund zu spielen oder eine Indianergeschichte zu lesen.

      Vollends erträglich wurde der Zustand, wenn die Zeit der Manöver heranrückte und der Vater mit seinem Regiment ins Sommerquartier ging. Von dem ersten Augenblick seiner Abwesenheit an war meine Mutter wie verwandelt. Sie ging mit mir viel spazieren, erzählte von ihrem Vater, der Rechnungsrat im Finanzministerium gewesen war und ein berühmter Schachspieler – selbst ihre Schuhe, die meinen Schönheitssinn immer beleidigt hatten, bekamen eine weniger strenge und angenehm weibliche Form; ich mußte mir nicht mehr selbst die abgerissenen Knöpfe annähen, sie wusch mir auch den Kopf und zog mir mit Sorgfalt den Scheitel.

      Eines Tages kehrten wir sogar in eine Konditorei ein, und zum erstenmal im Leben durfte ich Schokolade mit Schlagobers genießen.

      Einmal in dieser Ferienzeit erwachte ich in der Nacht. Da sah ich meine Mutter mit einer Kerze vor meinem Bett stehen. Sie hatte das Haar geöffnet, und ich konnte erkennen, daß es sehr schön war.

      Über ihr Gesicht liefen viele Tränen. Sie setzte sich zu mir und küßte mich in einem wilden plötzlichen Überschwang. Da fing auch ich an, unaufhaltsam zu weinen. Am Morgen erwachte ich und hatte das erstemal in meiner Jugendzeit wirklichen Appetit.

      In den ersten Tagen des September kam der Vater von den Manövern zurück. Doch diesmal hatte ich ein ungeahntes Glück. Er schien nicht derselbe zu sein. Sein Gesicht war freundlicher und wohl gerötet, seine Gestalt weniger infanteriepedantisch, fast die eines Reiters. Er trug keine gelben Waschhandschuhe, als er eintrat, sondern weiße dünne Glacés, klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Nun, Bub, wie waren die Ferien?« Ich traute meinen Ohren nicht und wurde maßlos rot.

      Die Veränderung im Benehmen meines Vaters hatte einen guten Grund. Die Manöver waren für ihn außerordentlich günstig abgelaufen. Bei der Kritik hatte ihn der Thronfolger dreimal höchst schmeichelhaft erwähnt, er war fast außertourlich mit Überspringung von sieben älteren Hauptleuten zum Major avanciert, und was die seltenste Auszeichnung ist, ihm war der Adel mit dem Prädikat »Edler von Sporentritt« verliehen worden. Es war vorauszusehen, daß er, trotzdem er das Studium der Kriegsschule einst hatte unterbrechen müssen, zum Generalstab versetzt werden würde. Die letzten acht Tage dieser Ferien waren die glücklichsten meiner ganzen Kindheit. Der Vater war jovial und eifrig bestrebt, die Gewohnheiten eines Frontsoldaten mit denen eines militärischen Diplomaten zu vertauschen.

      Hausrapporte, Prüfungen, Gespräche über Kasernenfragen verschwanden ganz. In unser Hinterzimmer zog eine Hausschneiderin ein; für meine Mutter sollte ein Straßenkostüm nach der Mode angefertigt werden. Ihr Gesicht glühte in mädchenhafter Erregung, wenn sie mit der alten Jungfer über ein Schnittmuster gebeugt stand oder selbst an der Nähmaschine saß. Es konnte auch geschehen, daß mein Vater, der jetzt eine weniger vorschriftsmäßige feinere Uniform trug, in das Kabinett trat, um einer Anprobe beizuwohnen. Wenn er seine Meinung über eine Falte oder Rüsche aussprach, vergaß er nicht, seinen Worten einen näselnden, leichtfertigen Ton zu geben.

      Eines Abends hatten wir sogar Gäste. Der Regimentskommandant und der Brigadier mit ihren Damen. Es gab vor dem Braten eine Vorspeise, französischen Salat in Muscheln. Ich, der bei Tisch dabei sein durfte, erstarb in Ehrfurcht vor dieser geheimnisvollen edlen Speise.

      Meine Mutter bewegte sich in ihrem guten Seidenen, das heute ganz ungewohnt vornehm wirkte. Ihr schönes Haar trat gut zutage. Sie trug eine dünne Goldkette, an der ein Türkiskreuz hing, um den Hals, an den Handgelenken klirrende Silberarmbänder.

      Es wurde Wein und Bier getrunken. Der Brigadier gab wohlwollend jüdische Anekdoten zum besten, der Oberst Kasernenhofblüten. Beide nannten meinen Vater: »Lieber von Sporentritt!« Sie waren bürgerlichen Namens und nicht wenig stolz, daß ein so hochqualifizierter Offizier in ihrem Dienstbereiche stand. Als sie aufbrachen, zwickte mich der General freundlich in die Wange. Ich stand starr wie eine Ordonanz an der Türe. Meine Eltern waren mit diesem wohlgelungenen Souper sehr zufrieden. Was ich bisher noch nie gesehen hatte, ich sah meinen Vater mit unterm Kopf verschränkten Armen sich in einem Schaukelstuhl wiegen. Das war für mich eine überaus aristokratische Geste.

      Vor dem Schlafengehen küßte der Vater meiner Mutter die Hand. Ich glaube, das war der glücklichste Augenblick ihres Lebens.

      So nahte für mich der letzte Sonntag dieser wunderbaren Ferien heran, und der Zufall wollte es, daß dieser Tag gerade mit meinem dreizehnten Geburtstag zusammenfiel. So durfte auch ich einmal im Leben ein Sonntagskind sein.

      Am Morgen dieses Tages trat ich zu meinem Vater ins Zimmer, der gerade beim Frühstück saß. Er ließ mich niedersetzen und teilnehmen. Trotz seiner Freundlichkeit in den letzten Tagen hätte ich in meiner Verschrockenheit doch nicht gewagt, dieser Aufforderung zu folgen.

      »Es ist ja heute dein Geburtstag«, sagte er, »setz dich nur!« Ich trank zaghaft aus der Tasse, die er mir hingestellt hatte. Er schwieg lange still, und ich fühlte, daß er über mich nachdachte.

      »Du bist heute dreizehn Jahre« – begann er plötzlich – »und die Jugend geht rasch vorbei! Gerade an meinem dreizehnten Geburtstag, erinnere ich mich, hatte mir mein Vater, der Oberstleutnant, ein besonderes Vergnügen zum Geschenke zugedacht. Ich will dir das gleiche Geschenk machen, und du magst ebenso an deinem Sohne handeln. Du wirst es einmal verstehn, daß die Tradition den Wert einer Familie bedeutet. Halte dich heute nach Tisch bereit und jetzt geh!«

      Nach dem Essen, das besser war als sonst, gebot mir der Vater noch einmal, mich anständig zurechtzumachen. Er selbst aber stand auf und ging in sein Zimmer. Nach einer halben Stunde kam er zurück. Aber was war geschehen? Er hat Zivilkleidung angelegt – und so wenig ich damals davon verstehen konnte, so sehr fühlte ich doch die Verwandlung ins Armselige, die mit diesem sonst so steifen und klirrenden Menschen vor sich gegangen war. Das war nicht mehr die erdrückende Erscheinung von vorhin, so sahen die vornehmen Herren auf der Straße nicht aus, dieser Vater glich jetzt den mageren Gestalten hinter den Postschaltern.

      Unter den allzu kurzen Ärmeln traten viel zu weit die angeknöpften Manschetten vor, der Kragen schien eng und von einer veraltet unerfreulichen Fasson zu sein. Die genähte Krawatte ließ den gelben Kragenknopf sehn. Die Hosen, überaus gebügelt, spiegelten hinten, was dadurch besonders sichtbar wurde, daß der Rock ebenso kurz wie alles andere war.

      Tadellos allein wirkten Frisur, Stock, Hut und Handschuhe, die der Vater, als wäre er das sehr gewohnt,


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