Wirtschaft für Menschen, wie sie wirklich sind. Gene Callahan
Читать онлайн книгу.trifft sie, um die Welt zu untersuchen?“ Wenn man ein neues Fachgebiet in Angriff nimmt, besteht der erste Schritt darin, einen Eindruck davon zu gewinnen, worum es geht. Bevor man sich ein Biologiebuch kauft, wird man sich vergewissern, dass man etwas über Lebewesen lesen wird. Am Anfang einer Chemievorlesung stellt man fest, dass man erwarten kann, etwas über die Art und Weise zu erfahren, wie sich Elemente zu verschiedenen Verbindungen kombinieren lassen.
Viele Leute haben das Gefühl, dass sie im Großen und Ganzen mit Ökonomie vertraut sind. Fragt man sie jedoch, dann stellt sich heraus, dass sie Probleme damit haben, das Fachgebiet zu definieren. „Es ist Geldforschung“, werden Ihnen einige mitteilen. „Es geht um Betriebe, Gewinn und Verlust und so weiter“, wird jemand anderer versichern. „Nein, es geht darum, wie die Gesellschaft sich entscheidet, Wohlstand zu verteilen“, argumentiert eine andere Person. „Falsch! Es ist die Suche nach mathematischen Mustern, die Preisveränderungen beschreiben", beharrt ein vierter. Professor Israel Kirzner weist in The Economic Point of View darauf hin, dass es selbst unter Berufsökonomen eine ganze Reihe von Formulierungen über die wirtschaftliche Betrachtungsweise gibt, deren Vielfalt erstaunlich ist.
Der hauptsächliche Grund für diese Verwirrung liegt darin, dass Ökonomie eine der jüngsten Wissenschaften ist, die der Menschheit bekannt sind. Natürlich hat es eine Vermehrung von neuen Zweigen existierender Wissenschaften in den Jahrhunderten gegeben, seit man Ökonomie als eigenständiges Fachgebiet erkannt hat. Aber Molekularbiologie zum Beispiel ist ein Teil der Biologie, keine brandneue Wissenschaft.
Ökonomie dagegen ist anders. Die Existenz einer eigenen Wirtschaftswissenschaft lässt sich zurückverfolgen bis zur Entdeckung der Tatsache, dass es vorhersagbare Gesetzmäßigkeiten in der Wechselwirkung zwischen Menschen in der Gesellschaft gibt und dass diese Gesetzmäßigkeiten entstehen, ohne dass sie irgendjemand plant.
Die vage Vorstellung solcher Gesetzmäßigkeiten, abseits von den mechanischen Gesetzmäßigkeiten des Universums und den bewussten Plänen irgendeines Individuums war das erste Auftauchen der Idee der spontanen Ordnung im wissenschaftlichen Bewusstsein des Westens. Bevor sich die Ökonomie als Wissenschaft etablierte, wurde einfach angenommen, dass, wenn man eine Ordnung entdeckte, sie von jemand geordnet worden sein musste – von Gott im Falle der physikalischen Gesetze und von bestimmten Menschen im Falle von Objekten und Institutionen, die von Menschen gemacht worden waren.
Frühe politische Philosophen schlugen verschiedenste Pläne zur Organisation der menschlichen Gesellschaft vor. Funktionierte der Plan nicht, dann nahm der Schöpfer des Planes im Allgemeinen an, dass die Herrscher oder die Bürger nicht tugendhaft genug gewesen waren, um seinen Plan auszuführen. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass sein Plan universellen Regeln des menschlichen Handelns widersprach und nicht gelingen konnte, egal wie tugendhaft die Teilnehmer waren.
Die Zunahme an menschlicher Freiheit, die in Europa während des Mittelalters begann und in der Industriellen Revolution gipfelte, deckte eine klaffende Lücke im existierenden Bauplan des Wissens auf. Die Gesellschaft in Westeuropa wurde immer weniger nach den Befehlen eines Herrschers gestaltet. Nach und nach fielen Produktionsbeschränkungen. Die Gilden konnten den Zugang zu Handwerk und Gewerbe nicht mehr so strikt kontrollieren. Trotzdem gab es anscheinend immer gerade die richtige Anzahl an Zimmermännern, Schmieden, Maurern und so weiter. Kein königliches Privileg war mehr notwendig, um irgendeine Produktion zu beginnen. Und obwohl jeder eine Brauerei eröffnen konnte, wurde die Welt trotzdem nicht mit Bier überflutet. Und auch sonst wurde anscheinend immer gerade die richtige Menge hergestellt. Ohne dass irgendjemand einen „Masterplan“ für die Einfuhren in eine Stadt aufstellte, war die Mischung an Gütern, die an den Stadttoren auftauchte, im Großen und Ganzen richtig. Im 19. Jahrhundert stellte der französische Ökonom Frédéric Bastiat zum Wunder dieser Erscheinung fest: „Paris wird ernährt!“ Ökonomie hat diese Gesetzmäßigkeiten nicht geschaffen, noch hat sie die Aufgabe, deren Existenz zu beweisen – wir sehen sie jeden Tag vor unseren Augen. Ökonomie muss stattdessen erklären, wie diese Gesetzmäßigkeiten zustande kommen.
Viele Gelehrte haben zur herandämmernden Erkenntnis beigetragen, dass Ökonomie ein neuer Weg ist, die Gesellschaft zu betrachten. Die Ursprünge der Wirtschaftswissenschaften reichen weiter zurück, als man oft annimmt, sicher bis zumindest ins 15. Jahrhundert. Die Arbeiten der Spätscholastiker an der Universität von Salamanca in Spanien bewegten Joseph Schumpeter später dazu, sie zu den ersten Wirtschaftswissenschaftern zu ernennen.
Adam Smith war wohl nicht der erste Ökonom, wie er manchmal genannt wird. Aber mehr als jeder andere Sozialphilosoph machte er die Idee populär, dass Menschen, wenn sie nur die Freiheit besitzen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen, eine soziale Ordnung hervorbringen, die niemand bewusst geplant hat. Der berühmte Ausspruch von Smith in The Wealth of Nations lautet sinngemäß, dass freie Menschen so handeln, als würden sie von einer unsichtbaren Hand geleitet, um ein Ziel voranzutreiben, das kein Teil ihrer Absicht war.
Der Österreichische Ökonom Ludwig von Mises sagte in seinem Hauptwerk Nationalökonomie dass die folgende Entdeckung Leute verblüffte:
„Es gibt also, musste man sich sagen, auch für die Betrachtung menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft einen anderen Gesichtspunkt als den von gut und böse, von gerecht und ungerecht. Auch im Gesellschaftlichen waltet eine Gesetzmäßigkeit, der sich das Handeln anzupassen hat, wenn es erfolgreich sein will.“
Mises beschreibt die anfänglichen Schwierigkeiten, die Natur der Ökonomie festzulegen, so:
„An der neuen Wissenschaft schien alles problematisch zu sein. Sie war ein Fremdkörper im System der alten Wissenschaften, und man wusste nicht, wie man sie klassifizieren und rubrizieren sollte. Doch man war anderseits davon überzeugt, dass es zur Einreihung der Nationalökonomie in den Katalog der Wissenschaften keiner Umgestaltung oder Erweiterung des Katalogschemas bedürfe. Man hielt das Katalogsystem für vollständig; wenn die Nationalökonomie nicht hineinzupassen schien, so musste es an der unzulänglichen Behandlung ihrer Probleme durch die Nationalökonomen liegen.“
Bei vielen wich die Verblüffung bald der Enttäuschung. Sie hatten Ideen zur Gesellschaftsreform, und nun stellten sie fest, dass die heranwachsende Wirtschaftswissenschaft ihnen im Weg stand. Die Ökonomie teilte den Reformern mit, dass manche Pläne zur sozialen Organisation fehlschlagen würden, unabhängig davon, wie gut sie ausgeführt würden, weil diese Pläne grundlegende Gesetze der menschlichen Interaktion verletzten.
Manche der Reformer, wie etwa Karl Marx, versuchten, das ganze Fachgebiet als ungültig hinzustellen, weil die errungenen Erkenntnisse der frühen Ökonomen ihre Reformideen entgleisen ließen. Ökonomen, so beklagte sich Marx, beschrieben einfach die Gesellschaft, wie sie sie unter der Vorherrschaft der Kapitalisten vorfanden. Es gebe keine wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die auf alle Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten anwendbar seien. Ganz besonders würden die Gesetze, die die Klassische Schule um Smith, Ricardo und Malthus formuliert hatten, nicht auf die Menschen zutreffen, die im zukünftigen sozialistischen Utopia leben würden. In Wirklichkeit, sagten die Marxisten, waren diese Denker nichts weiter als Verteidiger der Ausbeutung der Massen durch einige wenige Reiche. Die klassischen Wirtschaftswissenschafter waren, um es im Jargon der chinesischen Marxisten auszudrücken, „Lakaienhunde der imperialistischen Kriegstreiberschweine“.
Das Ausmaß, in dem Marx und gleich gesinnte Denker Erfolg damit hatten, die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften zu unterminieren, spiegelte die Zerbrechlichkeit dieser Fundamente wider. Die klassischen Ökonomen hatten viele wirtschaftliche Erkenntnisse gewonnen, aber sie wurden von gewissen Widersprüchen in ihren eigenen Theorien geplagt wie etwa von ihrer Unfähigkeit, eine schlüssige und widerspruchsfreie Werttheorie aufzustellen (wir werden später im Detail auf diese Schwierigkeiten zu sprechen kommen).
Es war Mises, aufbauend auf den Arbeiten früherer Österreichischer Ökonomen wie Carl Menger, der letztendlich Wirtschaftswissenschaften wieder errichtete, und zwar „auf dem stabilen Fundament einer allgemeinen Theorie menschlichen Handelns“.
Für manche Zwecke mag es wichtig sein, zwischen der allgemeinen Theorie menschlichen Handelns, die Mises Praxeologie nannte, und Wirtschaftswissenschaften