MINUS. Jon Pan
Читать онлайн книгу.ein Grinsen auf.
»Was wollen Sie?« Violette spürte, wie sie in eine Hilflosigkeit hinein glitt.
»Ich habe ein Problem«, erklärte Hardmeier. »Es geht um den Lieferwagen der Firma. Wie Sie ja wissen, darf ich den – laut Anweisungen von Werenfels – privat nicht benutzen. Ich musste Möbel transportieren. Als ich den Wagen vorhin zurück bringen wollte, war das Tor zum Hinterhof abgeschlossen. Das ist sonst ja nie der Fall.«
»Und warum kommen Sie zu mir?«, fragte Violette, und es war ihr äußerst unangenehm, dass dieser Mann vor ihrer Wohnungstür stand und dazu noch so laut sprach.
»Sie haben sicher einen Schlüssel zu dem Tor«, sagte Hardmeier. »Ich meine, im Büro muss irgendwo einer sein.«
»Bringen Sie den Wagen einfach morgen zurück, wenn Sie zur Arbeit kommen«, schlug sie vor.
»Geht doch nicht«, antwortete er. »Das wird Mangold mitbekommen und es dem Chef erzählen. Ich vermute sogar, dass der Buchhalter das Tor abgeschlossen hat, vielleicht weil er dachte, ich könnte den Lieferwagen mitnehmen.«
»Wie sind Sie überhaupt hier ins Haus gekommen?« Sie musste diese Frage stellen. Und sie musste etwas unternehmen, denn Hardmeier sprach zu laut und weckte damit noch das halbe Haus auf! Auf keinen Fall wollte sie ihn in ihre Wohnung lassen. Aber als er näher kam, wich sie zurück. Sie hatte keine Wahl. Schon stand er halb in der Diele. Violette zitterte leicht am ganzen Körper. Und dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Nun war er also doch in ihrer Wohnung!
»Ich habe nie einen Schlüssel für das Tor gesehen«, sprach sie leise. »Ebenso habe ich keinen Schlüssel für die Firma. Ich kann ihnen nicht weiter helfen.«
Er hob ein wenig die Hände hoch, wohl als Schlichtung oder Entschuldigung gedacht.
»Gehen Sie jetzt«, bat sie ihn. »Sie sehen ja, dass ich nicht richtig angezogen bin und schlafen gehen will.«
»So früh schon ins Bett!«
»Bitte, gehen Sie,« wiederholte Violette. »Ich kann ihnen nicht weiterhelfen und es ist auch nicht meine Sache, wenn Sie unerlaubterweise den Firmenwagen benutzen!« Es kam ihr eigenartig vor, warum sich ausgerechnet Hardmeier so benahm. Er war doch ein Typ, der sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Was hatte er schon zu erwarten, sollte Werenfels das mit dem Lieferwagen erfahren! Wollte er etwas von ihr? War die Sache mit dem Lieferwagen nur ein Vorwand, um hier vorbei kommen zu können? Aber warum sollte ausgerechnet ein Typ wie Hardmeier etwas von ihr wollen! Sie fühlte sich unwohl, in die Enge gedrängt – und das in ihrer eigenen Wohnung! Bewegungslos stand sie in der schwach beleuchteten Diele, spürte die Wand im Rücken.
Etwas Gewalttätiges haftete Hardmeier an, auch wenn er hier freundlich wirkte. Er durchschritt die kurze Distanz bis zur Wohnzimmertür, beugte seinen Oberkörper vor, schaute ins Zimmer und meinte: »Gemütlich haben Sie's hier.« Dann wandte er sich wieder Violette zu und fragte: »Macht es ihnen denn nichts aus, immer allein zu sein?«
»Ich bin nicht allein«, antwortete sie. »Ganz im Gegenteil, denn ich erwarte noch Besuch.«
Hardmeier stieß einen kurzen Lacher aus, mit dem er gleichzeitig eine aufrechtere Körperhaltung einnahm. »Wirklich?«, fragte er, und sein Gesicht verriet, dass er das nicht glaubte. »Ich dachte, Sie wollten soeben schlafen gehen. Haben Sie mir doch gerade gesagt! Und dann erwarten Sie noch Besuch!« Er machte eine kurze Pause, zwinkerte mit dem einen Auge. »Ach so!«, fuhr er fort. »Ich verstehe! Das hätte ich ihnen nicht zugetraut!«
»Hören Sie, Herr Hardmeier«, sagte sie möglichst sachlich. »Was wollen Sie von mir?«
Er stand noch immer bei der Tür zum Wohnzimmer. »Darf ich?«, fragte er und betrat auch gleich den Raum.
Violette sah, wie Hardmeier sich dort umschaute. »Sie haben doch eine Freundin?«, sagte sie.
»Verlobte«, verbesserte Hardmeier. »Sie ist meine Verlobte.«
»Und was suchen Sie hier?«, fragte Violette, wobei ihre Stimme strenger klang.
»Ein kleiner Besuch bei einer Arbeitskollegin ist doch nichts Unmoralisches!«, antwortete Hardmeier, der nun beim Fenster stand, den Vorhang etwas zur Seite schob und auf die Straße hinunter schaute.
Violettes befand sich nun unter der Wohnzimmertür. Mit der Hand prüfte sie unauffällig nach, ob der Bademantel vorne auch ganz geschlossen war.
Hardmeier holte eine Packung Zigaretten und Feuerzeug aus der Manchesterjacke und fragte: »Darf man hier rauchen?«
Was sollte sie ihm antworten. Was sollte sie überhaupt tun? Da er die Zigarette schon angezündet hatte, ging sie in die Küche und kam mit einer Untertasse zurück, die sie auf den Esszimmertisch stellte. Hardmeier schaute Violette direkt an, die brennende Zigarette hing im Mundwinkel. »Danke«, murmelte er.
»Ich möchte nicht, dass jemand aus der Firma von ihrem Besuch hier erfährt«, verlangte sie.
»Wovor haben Sie Angst?«, fragte er und nahm einen kräftigen Zug von der Zigarette. »Vor Werenfels oder gar vor seiner Alten, die in den letzten Tagen so großartig in der Firma herum spuckt? Oder würde es Sie stören, wenn Mangold davon erfährt?«
»Ich will das einfach nicht, Herr Hardmeier! Und ich bitte Sie, das zu respektieren!«
»Das werde ich tun, darauf können Sie sich verlassen«, garantierte er ihr, griff sich an den Mund und betonte: »Ich kann schweigen wie ein Grab!«
Begriff er denn nicht: Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben!
»Wir könnten doch mal zusammen ausgehen«, schlug er wieder vor. »Sie sehen immer so schlecht gelaunt aus, was ich schade finde. Sie müssen ab und zu unter die Leute gehen, sich ein bisschen amüsieren, dann fühlen sie sich besser.«
»Was erlauben Sie sich eigentlich!«, empörte sie sich. »Mir geht es gut.«
»So.« Er schaute sie kritisch an. »Dann erzählen Sie mir mal, was Sie abends so treiben. Es muss – «
„Ich treibe nichts«, unterbrach sie ihn.
»Sie spielen ihre Rolle schlecht«, sagte er plötzlich erstaunlich ernsthaft, wobei er für Sekunden diese oberflächliche Art verlor und einen Zug an sich hatte, der gar nicht zur sonstigen Person Hardmeier passte. Vermutlich begriff er das selbst nicht, aber Violette nahm es voll und ganz in sich auf.
»Ich fühle mich wohl«, beharrte sie, »sehr wohl sogar. Jeder lebt sein Leben so, wie es ihm gefällt. Und da trennen sich die Ansichten eben.«
Hardmeier schritt zum Esstisch und drückte die gerauchte Zigarette in der Untertasse aus. »Es ist doch Scheiße in der Firma, nicht?«, sagte er dann.
Das kantige Gesicht des Fahrers strahlte keine besondere Intelligenz aus. Violette blickte in zwei Augen, die in naiven Erwartung fast fiebrig glänzten. Sie mochte diesen Ausdruck nicht, er war ihr zu unbedeutend, er spiegelte eine Hilflosigkeit, die sie in anderer Form an sich selbst nur zu gut kannte.
»Es ist doch so«, hakte Hardmeier nach.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte sie zurück.
»Man muss zusammenzuhalten«, antwortete er.
Auch wenn dahinter eine eindeutige Absicht versteckt sein sollte, so wirkte sie durch eben sein Gesicht niemals raffiniert.
»Darüber will ich nicht reden«, sagte sie. »Ich bin nun wirklich müde und muss mich schlafen legen. Also, gehen Sie jetzt.«
Er schritt neben ihr vorbei. Sie folgte ihm, nicht sehr dicht, die Untertasse mit dem Zigarettenstummel in der Hand. Bei der Wohnungstür drehte sich Hardmeier um. Violette blieb auf Distanz, steif, unbeholfen.
»Dann also«, verabschiedete sich der Fahrer, wobei er die Hand leicht hob. »Ich hoffe nur, dass Sie mich nun nicht noch mehr nicht mögen!«
Der Satz klang deplatziert. Hardmeier setzte ein Grinsen auf, öffnete lässig die Tür und trat hinaus.
Keineswegs