Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

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Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl


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Bouzey, der das Stauwasser zurückhält, ist auf einer großen Länge gebrochen. Die Staumauer soll über eine Höhe von mehr als zehn Metern einfach umgeklappt sein. Die Wassermassen haben das Land überspült. Der Ort Sanchey wurde wohl gänzlich zerstört. Victor und ich waren vor etwa zwei Jahren in Sanchey. Wir haben in einem Gasthaus logiert und waren auch am Stausee. Die Umgebung war so schön. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jetzt alles vom Wasser überschwemmt ist. Das Schlimmste sind aber die Opfer. Der Figaro berichtet von mehr als fünfzig Toten. Es befremdet mich und macht mir Angst, dass Victor und ich uns genau auf dem Flecken Land aufgehalten haben, der jetzt für so viele Menschen zur Todesfalle geworden ist. Warum ist der Damm erst jetzt gebrochen und nicht schon vor zwei Jahren. Ich will lieber nicht darüber nachdenken, weil ich sonst auch sofort auf die Gefahren komme, die mir auf meiner anstehenden Reise begegnen können.

      Marseille, 3. Mai 1895

      Gestern habe ich Thérèse und Julie von einem Arzt hier in Marseille untersuchen lassen. Meine Mädchen sind nicht krank, zum Glück, aber ich will sichergehen, dass wir die Reise wirklich antreten können. Es ist alles in Ordnung. Der Arzt hat uns ein paar Medikamente verschrieben, gegen die Seekrankheit und auch etwas gegen Fieber. Er hat mir auch prophezeit, dass die Kinder auf dem Schiff viel ruhiger schlafen werden. Der Seegang soll dies bewirken. Ich werde mich überraschen lassen, obwohl Thérèse und Julie bislang immer recht brav geschlafen haben, egal wo ich mit ihnen war.

      Marseille, 5. Mai 1895

      Gestern habe ich mir eine Schiffsuhr mit einem Vierundzwanzig-Stunden-Ziffernblatt gekauft. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Auf unserer Reise um die halbe Welt werden sich nämlich Tag und Nacht verschieben. Wir haben es hier in Marseille gerade zwanzig Minuten vor Vier am Nachmittag. Ich werde meine neue Uhr von nun an sorgfältig aufziehen, aber die Tageszeit immer auf der Marseiller-Uhrzeit belassen und so weiß ich dann auch immer, wie spät es gerade in Frankreich und natürlich auch in Paris ist.

      Marseille, 8. Mai 1895

      Es ist morgens ganz früh. Ich habe die Mädchen gerade versorgt. Mutter und Vater sind auch schon aufgestanden. Vater ist seit zwei Tagen in Marseille. Es herrscht eine müde Stille. Ich werde die Reise in Begleitung antreten. Natürlich werden mich auf dem Schiff noch weitere Passagiere begleiten, doch Vater hat jemanden gefunden, der mir mit den Kindern hilft. Ich habe ein Kindermädchen, sie heißt Jolanta Prenair. Ich besitze sogar eine Art Lebenslauf von ihr. Sie ist zweiundzwanzig, kaum jünger als ich, aber sie ist ledig, weil sie irgendeinem Orden angehört, natürlich katholisch. Sie ist noch nicht sehr lange Nonne, aber ich glaube sie ist auch keine Novizin mehr. Sie reist zusammen mit zehn ihrer Mitschwestern nach Tahiti. Ihre Aufgaben beginnen erst dort, so hat sie sich engagieren lassen, mir auf der Reise mit den Kindern zu helfen. Sie wird in meiner Kabine schlafen, und nur während der täglichen Andachten in ihre Gemeinschaft zurückkehren. Vater hat ihre Überfahrt bezahlt und auch noch eine Spende an ihren Orden gegeben. Schwester Jolanta, wie ich sie nennen werde, ist nett und treu und ich kann ihr wohl ohne Bedenken meine Thérèse und meine Julie anvertrauen.

      Auf der New South Wales, 9. Mai 1895

      Der erste Tag an Bord ist vorüber, eigentlich ist es bereits der Zweite, denn wir haben schon gestern Mittag eingeschifft. Der Abschied war am schwersten. Mutter und Vater haben uns noch an Bord gebracht. Vater hat Julie getragen und ich hatte Thérèse im Arm. Ein Steward ging mit unseren Koffern voraus, ihm folgte Mutter und dann Vater und schließlich ich. Es sah beinahe so aus, als wollten wir alle in die Kabine einziehen, der Platz würde wohl ausreichen, aber leider ist es ja anders. Mutter wollte mir noch helfen die Koffer auszupacken, aber es war keine Zeit mehr. Der Steward mahnte uns und Vater scherzte noch, dass er und Mutter auch bis nach Port Said mitreisen könnten. Ich hätte es mir beinahe gewünscht, aber der Abschied musste sein. Mutter und Vater verließen die Kabine, nachdem es Minuten gedauert hat, bis Mutter mir ihre letzten Ratschläge gegeben hat, begleitet von zahlreichen Küssen für mich und die Mädchen. Ich habe noch kurz auf Schwester Jolanta gewartet. Wir haben dann jede eines der Mädchen genommen und sind an Deck geeilt. Vater hatte irgendwo eine gelbe Fahne aufgetan und wedelte damit, sodass ich die Eltern schnell unter der Menge am Pier erkennen konnte. Es dauerte noch zehn oder zwanzig Minuten, bis das Schiff schließlich aus dem Hafen geschleppt wurde. Vater schwenkte die ganze Zeit unermüdlich seine Fahne, ein Bild, das ich wohl nie vergessen werde. Jetzt sitze ich gerade in meiner Kabine und all dies ist schon Erinnerung. Beim Stampfen der Maschinen muss ich an Mrs. Bly denken. Bei der Einschiffung in Brindisi hat sie ihre Kabine nicht gleich zugewiesen bekommen und auch die Stewards haben sich nicht um sie gekümmert und sie hätte beinahe sogar das Schiff verpasst, als sie zum Telegrafieren noch einmal von Bord ging. Dies alles blieb mir zum Glück erspart, aber dafür konnte Mrs. Bly sich dann später auf ihrer Reise erholen, sie konnte an Bord schlafen, solange sie wollte, konnte machen, was sie wollte, brauchte sich um niemanden weiter zu kümmern, hatte nur Verantwortung für sich selbst. Aber dies will ich so alles gar nicht. Ich bin glücklich so, wie es ist, glücklich mit meiner Rolle als Mutter, glücklich mit meinen beiden Mädchen und ich werde noch glücklicher sein, wenn ich nach den kommenden Reisestrapazen endlich wieder mit Victor vereint bin.

      Auf der New South Wales, 10. Mai 1895

      Die Ankündigung des Arztes aus Marseille bewahrheitet sich, denn die Kinder schlafen hier auf dem Schiff friedlich und fest. Schwester Jolanta und ich sind aber mit den Mädchen auch häufig an Deck, sodass es sicherlich auch an der frischen Luft liegen kann, die die Kinder müde macht. Wenn wir spazieren gehen, bleiben andere Passagiere oft stehen und sind ganz entzückt von meinen beiden Kleinen. Julie hat heute sogar einen ihrer Bewunderer angelächelt, das wurde selbst mir bislang noch nicht zu teil.

      Port Said, 11. Mai 1895

      Ich wandle auf Victors Spuren. Unser Schiff ist in den Hafen von Port Said eingelaufen und steht vor dem Suezkanal. Der Aufenthalt beträgt achtzehn Stunden. Bevor ich mit Schwester Jolanta und den Kindern an Land gegangen bin, habe ich an der Reling gestanden und das Treiben im Hafen beobachtet. Unser Schiff wurde neu beladen, mit Vorräten, Wasser und vor allem mit Kohle. In Port Said unterhalten die Reedereien eine Art Markthalle, in der die Schiffspassagiere sich alles Notwendige für die Weiterreise besorgen können. Es sind nicht nur die Passagiere der New South Wales, sondern auch Passagiere anderer Schiffe, die in Port Said vor Reede liegen. Das Gedränge ist groß, sodass ich mich mit Thérèse und Julie auf eine Bank außerhalb der Markthalle zurückgezogen habe. Ich vertreibe mir die Zeit mit diesen Eintragungen, während Schwester Jolanta für eine Stunde mit ihrer Gemeinschaft die Stände durchstreift. Der Platz vor der Markthalle ist eingezäunt, wer nicht hierhergehört, kommt auch nicht hinein. Auf dem Weg vom Schiff zu der Markthalle habe ich die zahllosen Bettler gesehen, genauso wie es Mrs. Bly beschrieben hat. Die Bettler hatten aber keine Gelegenheit an die Reisenden heranzukommen, alles ist für unsere Sicherheit gut organisiert, sodass wir kaum mit den Arabern in Kontakt kommen, in deren Stadt wir gerade zu Gast sind. Die Damen aus Schwester Jolantas Gemeinschaft sind alle voller Tatendrang und werden diese Isolation sicherlich bedauern. Mir scheint es, sie würden ihr missionarisches Werk am liebsten schon hier in dieser Hochburg der Heiden beginnen. Es stellt sich aber die Frage, ob es von Erfolg beschieden ist, denn es gibt in Port Said oder in der ganzen arabischen Welt sicherlich eine stärkere Kraft, die den althergebrachten Glauben der Nordafrikaner verteidigt, zumal die Kreuzzüge seit Jahrhunderten in der Vergangenheit schlummern. Ich bin froh, dass mich Schwester Jolanta nicht auch zu einem stärkeren Glauben erziehen will. Sie hat nicht die Mentalität dazu, wie ich sie einschätze, zumal sie in mir die Tugend selbst sieht, eine Mutter mit zwei Kindern, die eiligst dem ihr angetrauten Ehemann quer über die halbe Welt nachreist. Ich muss jetzt mit den Kindern in den Schatten gehen. Es dauert noch eine halbe Stunde, bis mich Schwester Jolanta ablöst. Ich werde dann auch einen Einkaufsbummel unternehmen können.

      Port Said, 12. Mai 1895

      Wir sind wieder glücklich an Bord. Die New South Wales liegt aber noch immer vor Anker. Der Kanal ist noch nicht für uns geöffnet, es wird noch


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