Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

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Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl


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Ich habe die Jérôme gemocht, trotz des kleinen Unfalls und der Unannehmlichkeiten, die wir im Januar durch sie hatten.

      Atuona, 29. August 1899

      Ich wäre gerne geritten, aber wir haben dann doch eine kleine Kutsche genommen. Mit dem Pferd hätten wir auf den engen Pfaden reiten können und wären so viel schneller zur Nordseite von Hiva Oa gelangt. Mit der Kutsche mussten wir dagegen einen Umweg fahren. Es hat dann auch drei Stunden gedauert, bis wir zu einem Dorf namens Hanapaoa gelangt sind. Der Norden ist stürmisch und die Küste felsig und schroff. Wie schön ist da doch die Bucht von Atuona. Von Hanapaoa aus sind wir ein Stück die Steilküste hinaufgewandert und konnten von dort weit über das Meer blicken. Ein scharfer Wind hat es mich aber nicht lange aushalten lassen.

      Atuona, 11. September 1899

      Es ist gut ein Jahr her, dass wir Aliette Templier gesehen haben, jetzt erreicht uns ein Brief von ihr aus Pittsburgh. Es scheint so, als müssen mir die Hände zittern, wann immer ich einen Brief von ihr öffne. Es gibt wieder eine betrübliche Nachricht. Captain Robert Templier ist in den letzten Tagen des spanisch-amerikanischen Krieges gefallen. Aliettes Worte klingen ganz ruhig, als wenn sie sich mit den vielen Schicksalsschlägen abgefunden hat. Sie lebt bei der Familie ihres Mannes, so wie es geplant war, aber es war auch geplant, dass ihr Mann schon längst hätte, bei ihr sein müssen. Dies alles erfüllt sich nicht für sie. Ich werde ihr sofort zurückschreiben.

      Atuona, 22. September 1899

      Wir haben die Kinder und uns fotografieren lassen. Ein Fotograf arbeitet in diesen Tagen auf Hiva Oa, und auch wenn er anderes vorhat, so konnte ich ihn doch überreden, die Portraits zu machen. Wir haben uns unter freiem Himmel aufnehmen lassen, weil es ja auch kein Atelier gibt. Es sind drei Fotografien geworden, zweimal nur die Kinder und einmal wir alle zusammen. Wir haben die Bilder schon bekommen und dazu die Glasplatten, mit denen wir ganz vorsichtig sein müssen. Das mit den Glasplatten hat mich dann aber schon gewundert, es gibt doch mittlerweile viel modernere Fotoapparate.

      Atuona, 8. Oktober 1899

      Victor hat unseren Mädchen den ersten Schwimmunterricht erteilt, aber nicht in der Bucht, sondern wieder in einem Weiher. In der Bucht haben die anlandenden Wellen gestört. Thérèse und auch Julie wurden immer wieder untergetaucht, sobald sie sich flach aufs Wasser gelegt haben. Wenn sie dabei nicht gerade Salzwasser geschluckt haben, fanden sie es auch ganz lustig. Victor wollte mit ihnen dann aber auch noch nicht ins tiefere Wasser gehen und so blieb nur der Weiher. Ich habe gesehen, dass die beiden sich wenigstens schon über Wasser halten können. Es fehlt aber noch an Ausdauer.

      Atuona, 26. Oktober 1899

      Es ist jetzt amtlich. Wir kehren noch vor Weihnachten nach Tahiti zurück. Eigentlich ist es schade, ich werde diesen Ort, diese Insel vermissen, obwohl ich mich auch wieder ein wenig auf Tahiti freue, vor allem auf unser großes Haus. Victors Dienstwohnung ist nämlich das Einzige, was mir hier nicht so richtig gefallen hat, sie ist einfach zu klein, um für einen längeren Aufenthalt darin zu leben. Victor arbeitet gerade seinen Nachfolger ein. Fanaa ist die Einzige, die sich nicht nur freut, sondern regelrecht erleichtert ist und die Abreise kaum noch erwarten kann. Heute hat die Kreuz des Südens Hiva Oa noch ohne uns verlassen. Ich hoffe allerdings, wir fahren mit der Floréal zurück nach Tahiti.

      Atuona, 1. November 1899

      Ich habe heute früh in den Spiegel geschaut. Ich schaue natürlich jeden Tag in den Spiegel, aber seit heute sieht mich eine dreißigjährige Frau an. Es ist doch nicht anders als gestern oder als noch vor einem Monat oder gar einem Jahr und dennoch ist es ein merkwürdiges Gefühl. Was ist, wenn ich einmal so alt bin wie Victor, wenn ich die vierzig überschritten habe. Ich will nicht daran denken und wenn doch, dann bestimmt nur mit freundlichen Gedanken. Dass ich heute und hier glücklich bin, ist für mich das Wichtigste und ich werde auch in zehn Jahren noch glücklich sein.

      Atuona, 20. November 1899

      Schwester Jolanta schreibt aus Toulouse, ich war ganz überrascht. Es hat sie dorthin verschlagen, nicht als Lehrerin, sondern als Kinderfrau bei einem Arzt. Sie ist erst seit September in dieser Anstellung, aber es scheint ihr schon sehr gut zu gefallen. Das Wetter in Toulouse soll besser sein als in Paris, aber nicht so gut wie auf Tahiti. Jetzt sehe ich gerade, dass ich wieder Schwester geschrieben habe, aber egal, für mich ist und bleibt sie eben immer Schwester Jolanta.

      Papeete, 1. Dezember 1899

      Wir sind kaum wieder auf Tahiti, da erreicht uns die Nachricht von der Freilassung Alfred Dreyfus. Es ist eine kurze Chronologie, die uns vorliegt. Im Juni wurde die Revision gebilligt, im September erfolgte vor dem Kriegsgericht in Rennes zwar die Bestätigung des Urteils von 1894, aber das Strafmaß wurde erheblich vermindert. Alfred Dreyfus muss nicht mehr auf die Teufelsinsel zurück, er bleibt in Frankreich, bei Lucie, bei seiner Familie. Hiermit ist es aber noch nicht getan. Es drohte ihm immer noch Festungshaft, aber er wurde dann auch noch von unserem Staatspräsidenten begnadigt. Victor hat es mir erklärt, Dreyfus erfährt Begnadigung, wenn er gegenüber Frankreich keine weiteren Anstrengungen führt, wenn er nicht in die Berufung geht. Die unsägliche Affäre soll nicht weiter am Leben gehalten werden, damit Frankreich keinen noch größeren Schaden erleidet, der im Ausland über diesen Skandal ohnehin schon besteht. Alfred Dreyfus hat eingewilligt, was ich bejubele. Victor gibt allerdings zu bedenken, dass keine Rehabilitation erfolgt ist, die Ehre ist noch nicht wiederhergestellt und wird auch wohl auf ewig ausbleiben. Die Freiheit hat Alfred Dreyfus jedoch wieder, was für mich das Wichtigste wäre, wenn ich an seiner Stelle all dies durchgemacht hätte. Von irgendwo her liegt mir hier in Papeete auch das Petit Journal vom 20. August vor, in dem der entscheidende Prozess wieder sehr farbig skizziert ist. Ich habe schon die vergangenen Ausgaben des Journals herausgesucht und betrachte gerade die einzelnen Artikel und Bebilderungen, wie sie die Chronologie des Falles darstellen. Wer hätte diesen Ausgang für möglich gehalten.

      Papeete, 8. Dezember 1899

      Ich wollte unsere Fotografien nicht von Hiva Oa aus verschicken, aus Angst, sie könnten gerade auf dem Weg nach Tahiti verloren gehen. Wir haben ja schließlich nur diese einen. Von Papeete aus geht die Post gleich auf ein richtig großes und sicheres Schiff und so habe ich den Eltern erst jetzt geschrieben. In ein paar Wochen werden sie ihre Enkelinnen auf den Fotografien sehen können und Victor und mich natürlich auch.

      Papeete, 15. Dezember 1899

      Ich habe nur darauf gewartet, dass sich Colonel Dubois wieder meldet. Der Brief ist heute tatsächlich eingetroffen. Ich bin etwas verwundert. In Frankreich ist noch lange keine Normalität eingetreten, jüdische Offiziere haben es immer noch schwer, noch immer gibt es die beiden Lager. Der Schaden, der angerichtet wurde, ist doch erheblicher, als vermutet.

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