Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
Читать онлайн книгу.17. August 1891
Seit gestern sind wir bei den Eltern. In zwei Tagen geht es mit dem Zug nach Edinburgh. Alle schwärmen von Schottland. In Liverpool leben jede Menge Schotten, so scheint es. Wir haben vier Reiseführer für Edinburgh und zwei für Glasgow angeboten bekommen. Ich lese mich schon ein.
Gayton, 22. August 1891
Den Reiseführer für Edinburgh habe ich bislang nicht gebraucht. Wir waren nur kurz in der Stadt. Wir haben uns auch ein anderes Hotel gesucht. Edinburgh ist sicherlich eine wunderschöne Stadt, aber wir haben das Land für uns entdeckt. Wir sind von Dorf zu Dorf gewandert. Victor hatte sich extra eine Karte besorgt. Es gibt auch Wanderungen, die man nur mit einem Führer unternehmen soll, weil die Wege durch gefährliche Moore verlaufen. Wir waren auf sicherem Terrain unterwegs, durch die baumlose Landschaft, an grünen und feuchten Wiesen vorbei. Es war aber anstrengend, herrlich anstrengend. Heute machen wir noch eine Pause und bleiben in unserem Gasthaus. Für morgen hat Victor aber schon eine neue Wanderung geplant. Am Montag fahren wir dann mit dem Zug nach Glasgow.
London, 25. August 1891
Ich fürchte, ich werde erst in Paris wieder richtig ausruhen können. Die letzte Woche war sehr anstrengend, die Highlands und dann Glasgow und wir waren immer in Bewegung. Die Zugfahrt von Glasgow nach London hat zwar die ganze Nacht gedauert, aber ich habe kein Auge zugetan. Ich bin etwas übermüdet und jetzt wollen wir natürlich auch London noch erkunden.
Paris, 30. August 1891
Victor geht seit gestern schon wieder zum Dienst. Ich habe noch frei. Zu Hause ist es jetzt richtig gemütlich. Den Salon nutzen wir nicht so oft, weil wir ja noch das Wohnzimmer im Obergeschoß haben. Madame Bernier hat eine Bemerkung gemacht. Sie hatte wohl mehr zu tun, als Vater und Mutter noch in Paris gelebt haben. Ich habe es schon geahnt, sie hat lange nichts gesagt, aber ich habe es ihr angesehen. Ich glaube sie will kündigen, ich bin mir fast sicher. Victor versteht sich ohnehin nicht so gut mit ihr. Jeanette lassen wir aber bestimmt nicht gehen und ich glaube auch nicht, dass die Gefahr besteht.
Paris, 3. September 1891
Als wir vor zwei Wochen in Gayton waren, hat Mutter mir eine Zeitschrift mitgegeben, das Strand Magazine. Es ist natürlich auf Englisch, sodass ich meine Übungen, die ich mit Mrs. Blys Reisebericht begonnen habe, fortsetzen kann. Im Strand Magazine werden die Artikel durch Illustrationen ausgeschmückt. Eine schöne Sache, denn dadurch wirkt alles sehr anschaulich. Ich habe vom Strand Magazine die Juliausgabe, die mit etwa hundertzwanzig Seiten recht umfangreich ist. Beim ersten Durchblättern bin ich gleich auf eine Geschichte gestoßen, die ich an zwei Nachmittagen gelesen habe. Sie handelt von einem Detektiv und seinem Freund, einem Arzt. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Kriminalgeschichten, nur ist es hier etwas anders. Es ist wirklich spannend zu verfolgen, mit welchen Gedankenspielen und anhand welcher Auffälligkeiten der Detektiv das Geheimnis in der Geschichte gelöst hat, wie er am Aussehen der Kleidung oder kaum sichtbarer Spuren genau herausfinden konnte, was geschehen ist. Ich mag die Geschichte aber nicht nur deswegen, sondern auch, weil sie von einer intelligenten Frau handelt und es gerade wegen dieser Frau ein überraschendes Ende genommen hat.
Paris, 15. September 1891
Victor hat mir einen Wunsch erfüllt, wir sind ins Theater gegangen und ich habe endlich die große Bernhardt gesehen. Es war ein herrlicher Abend, wir sind zu Fuß gegangen. Es waren schon einige Kilometer, aber wir haben es gar nicht gemerkt, so schön war es, an der frischen Luft zu sein. Wir waren rechtzeitig am Theater und haben vor dem Glockenschlag noch etwas vom Buffet abbekommen und zur inneren Erwärmung Champagner getrunken, aber nur ganz wenig. Sarah Bernhardt war großartig. Wann immer mich jemand fragen wird, so hat mich ihre ausdrucksvolle Stimme besonders beeindruckt, noch mehr als ihr grandioses Spiel. Es war kein bisschen Routine zu merken, obwohl die Cléopâtre schon vor über einem Jahr Premiere hatte. Die Geschichte von Antonius und Kleopatra wurde Madame Bernhardt auf den Leib geschrieben. All dies ist nicht meine eigene Meinung, vielmehr habe ich von den Gesprächen der etwas sachkundigeren Theaterbesucher gelernt, obwohl ich es sicherlich jetzt bestätigen kann. Sarah Bernhardt war jedenfalls einzigartig, und wenn Victor auch nicht viel für das Theater übrighat, habe ich ihm das Versprechen abgenommen, dass dies nicht unser letzter Besuch war. Es war schon sehr spät, schon nach Mitternacht, als wir das Theater endlich verlassen haben. Die Droschken haben schon gewartet, als wenn sie das Programm gekannt hätten und wir sind schließlich ohne Umwege zurück nach Hause gefahren.
Paris, 27. September 1891
In meinem letzten Brief habe ich Mutter gebeten, mir das Strand Magazine weiterhin zu schicken. Mit ihrer Antwort habe ich heute die Ausgabe für den August und den September erhalten. In beiden Heften wurden die Detektivgeschichten fortgesetzt, was mich unendlich freut und mir in den nächsten Tagen viel Vergnügen bereiten soll. Ich habe bereits herausgefunden, dass der Autor der Geschichten, ein Mr. Doyle, auch in Paris kein Unbekannter mehr ist. Es gibt zwei Romane, in denen die Leser bereits vor zwei Jahren Bekanntschaft mit Mr. Sherlock Holmes und seinem Freund und Biographen Dr. Watson gemacht haben. Sie sind hier in Paris natürlich auf Französisch zu erhalten, aber ich interessiere mich mehr für den englischen Text. Ich habe Mutter gegenüber schon entsprechende Wünsche geäußert und ich hoffe, sie wird in Liverpool fündig. Ob ich mir die französischen Ausgaben dann auch noch besorge, wäre zu überlegen.
Paris, 30. September 1891
Colonel Dubois wurde heute verabschiedet. Es ist schon länger davon die Rede, dass es keinen Nachfolger geben wird. Das Ressort soll mit einem anderen zusammengelegt werden. Wer dann Victors Vorgesetzter wird, ist noch nicht bekannt.
Paris, 14. Oktober 1891
Madame Bernier ist tatsächlich fort. Ich habe es Mutter geschrieben, aber sie hat es schon gewusst. Madame Bernier hatte sich sogar bei ihr beschwert. Es ist schade, aber nicht zu ändern. Jeanette lebt jetzt richtig auf. Sie ist viel verantwortungsbewusster geworden, seitdem Madame Bernier ihr nicht mehr vorsteht. Victor ist damit einverstanden, dass wir ihr Gehalt ein wenig aufbessern. Sie kauft jetzt ein und führt die Haushaltskasse. Victor meint, dass sie ganz gut rechnen könne und keine Fehler macht.
Paris, 26. Oktober 1891
Heute kam Victor mit einer guten und einer schlechten Nachricht nach Hause. Zuerst die gute Nachricht, mein Lieutenant hat die Aussicht, zum Capitaine befördert zu werden. Capitaine Victor Jasoline. Ich finde es klingt fantastisch. Aber halt, es könnte fantastisch klingen, denn da ist ja noch die schlechte Nachricht. In Paris gibt es für Victor vorerst keinen Posten als Capitaine. Anders wäre es, wenn er sich nach Nantes versetzen ließe. Es wäre nur für ein Jahr, dann könnte er wieder nach Paris zurückkehren und könnte im Stab eines Brigadegenerals unterkommen. Wir haben schon überlegt, ein Jahr ist doch recht lang. Wir müssen aus Paris fort, jetzt, wo wir das Haus umgebaut haben. Ich bin Victors Frau und wo er hingeht, gehe auch ich hin, das ist für mich selbstverständlich. Ich bin allerdings auch ein bisschen neugierig auf eine neue Stadt. Ein Umzug muss natürlich vorbereitet sein, auch wenn es nur für ein Jahr ist. Wir müssen in Nantes eine neue Wohnung finden. Ich kann nicht mehr bei Monsieur Rolland arbeiten und ich weiß auch nicht, ob er mich wieder nimmt, wenn wir nach diesem einen Jahr zurück in Paris sind. Jeanette haben wir auch noch nicht gefragt, ob sie uns begleiten will. Es wäre schade, wenn wir sie nun auch noch verlieren würden, jetzt wo sie ihre neuen Aufgaben so gut erledigt.
Paris, 1. November 1891
Mein schönstes Geburtstagsgeschenk ist Victors Beförderung. Ich will nicht zu übermütig sein, noch ist es ja nicht durch, aber es wurde ihm am Freitag noch einmal bestätigt und dass die Zeit in Nantes wohl nicht länger als sechs Monate dauern würde. Mir ist dies allerdings egal, ob sechs Monate oder ein Jahr, ich glaube es wird eine schöne Zeit. Der heutige Tag verspricht