Die Cousine aus Frankreich. Catherine St.John

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Die Cousine aus Frankreich - Catherine St.John


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strich den Pfarrer – oder wie immer man das hier nennen mochte – von ihrer Liste und kam auf ihr Phantasiebild einer dicken, gemütlichen und vor allem hilfsbereiten Wirtsfrau zurück. Sie erhob sich also mühsam, um diese Wirtsfrau – die es einfach geben musste! – aufzusuchen.

      III

      Der Gasthof Lamb and Crown war einer von der weniger feinen Sorte, wie Geneviève einigermaßen erleichtert feststellte, als sie schließlich, nach ermüdendem Fußmarsch, davorstand: Das ehemals weiß gekalkte Fachwerkhaus hatte einen neuen Anstrich dringend nötig und die Fensterscheiben waren schon länger nicht mehr geputzt worden. Die Stalltür war geschlossen, im Hof stand nur ein klappriges Gig, von lebhaftem Reiseverkehr war sonst nicht das Geringste zu spüren: Eine Poststation war das nun ganz gewiss nicht!

      Geneviève hörte, wie ihr Magen anzüglich knurrte, gab sich einen Ruck und trat ein. Niemand drehte sich nach ihr um (wie sie vorher befürchtet hatte), denn es war überhaupt keine Menschenseele anwesend: Der dämmerige Flur lag völlig verlassen vor ihr. Sie nestelte rasch zwei Geldstücke aus dem kleinen Lederbeutelchen und hatte dieses gerade wieder in ihren Ausschnitt zurückgestopft und die kostbaren Münzen in ihre Jackentasche gleiten lassen, als hinter ihr eine Stimme mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit fragte: „Und was steht zu Diensten, junger Herr?“

      Sie fuhr herum und sah einen Mann in mittleren Jahren, mit hagerem, säuerlichem Gesicht vor sich, der offensichtlich den Wirt vorstellte und dessen professionell gastfreundliche Miene sich langsam in Gleichgültigkeit verwandelte, nachdem er Geneviève genauer betrachtet hatte. Sie wunderte sich ein wenig darüber – nicht über sein nunmehr mangelndes Interesse, sondern über den anfänglichen Diensteifer: Sie sah doch wohl auch von hinten nicht wie ein junger Herr aus, sondern nur wie ein ungeheuer schmutziger Bauernbursche?

      Der Wirt begab sich schon hinter die Theke und fragte mechanisch: „N´Bier?“

      „Nein“, antwortete Geneviève etwas ratlos, „ich - ich meine – ich möchte – haben Sie eine Frau?“

      Der Wirt schien verdutzt. „Eh-? Nein, ich habe keine Frau. Warum?“

      „Oh!“ Geneviève war ganz verwirrt. Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte in ihre Pläne die dicke, freundliche Wirtsfrau so fest mit einbezogen, dass sie nicht weiter darüber hinaus gedacht hatte. Aber das Lamb and Crown war in diesem Ort der einzige Gasthof, der nächste Ort war kaum in der Ferne zu erkennen und ihr taten schon jetzt die Füße in den ungewohnten Holzschuhen weh. Man musste sich also mit dem behelfen, was vorhanden war. Sie beschloss, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.

      „Nun, dann muss ich mich eben Ihnen anvertrauen. Oder gibt es hier vielleicht eine Dienstmagd oder sonst ein weibliches Wesen?“

      Er nickte. „Ja, die Mary, die was hier die Magd ist, aber die war heute Nacht bei ihrer Familie drüben in Hitchham und ist noch nicht wieder da, muss aber bald kommen. Was wollen Sie denn von ihr? Hören Sie mal, das ist hier ein anständiges Haus. Was Sie suchen, finden Sie wohl eher drüben in Chichester im Bordell, also verschwinden Sie!“

      „Im Bordell? Was ist das?“

      „Was-? Oh, na schön, also nicht. Was wollen sie denn dann von der Mary?“

      „Naja, also es ist so – ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll“, sie holte tief Luft und platzte dann heraus: „ich bin nämlich eigentlich ein Mädchen.“

      Der Wirt betrachtete sie fasziniert und zweifelte offensichtlich an ihrem Verstand, wie Geneviève sofort bemerkte.

      „Haben Sie keine Angst, ich bin bestimmt nicht verrückt. Ich komme aus Frankreich und hatte mich verkleidet, um unerkannt vor der Revolution zu fliehen; ich bin wirklich ein Mädchen.“

      „Ah ja -“, meinte der Wirt unentschlossen. „Aus Frankreich, ja?“ Offensichtlich gestand er diesen seltsamen Ausländern exzentrisches Benehmen zu; nichts in seinem Benehmen dagegen sprach dafür, dass zwischen Frankreich und England Krieg herrschte oder es aus irgendeinem anderen Grund verboten war, als Französin nach England zu reisen.

      Der Wirt bemühte sich, die Situation zu begreifen. „Und was wollen Sie dann von mir? Und was fragen Sie nach der Mary?“

      „Aber das ist doch ganz klar“, versetzte Geneviève nicht ohne eine Spur von Ungeduld, ihn so schwer von Begriff zu finden. „Ich dachte, hier könnte ich vielleicht Frauenkleider bekommen; so kann ich doch auf die Dauer nicht herumlaufen!“

      Die Antwort des Wirts war kurz und bündig: „Nein.“

      Geneviève war in höchstem Maße enttäuscht. „Sie haben gar nichts? Nicht einmal einen alten Fetzen? Es muss wirklich nicht schön sein – nur so, dass ich mich vielleicht als Dienstmagd ausgeben könnte. Mary hat doch sicher irgendein altes Kleid, das sie nicht mehr braucht.“

      „Also, da könnte ja jeder daherkommen und uns Kleider abschwatzen. Ich habe gar nichts – und Mary braucht ihre paar Klamotten schließlich selber. Wollen Sie einer armen Dienstmagd – nicht dass ich sie schlecht bezahlen täte! – auch noch die Kleider abschwatzen?“

      Jetzt verstand Geneviève erst den Grund seiner ablehnenden Haltung; ihr Gesicht hellte sich schlagartig auf und sie unterbrach den schimpfenden Herrn: „Aber Sie haben mich ja ganz und gar missverstanden, Monsieur! Ich will doch natürlich nichts geschenkt haben, ich wollte doch nur fragen, ob Sie mir vielleicht ein altes Kleid verkaufen könnten!“

      Der eine Louis d`or, den sie zur Bekräftigung ihrer Absicht hochhielt, zauberte sofort ein breites Lächeln auf die schmalen Lippen des Wirts; er taute zunehmend auf: „Ei gewiss! Nun, darüber lässt sich schon reden. Was täten Sie denn so brauchen?“

      Geneviève überlegte. „Also, auf jeden Fall ein Kleid – wenn es geht, einigermaßen sauber“, fügte sie mit einem misstrauischen Rundblick hinzu. „Dann vielleicht ein Paar Schuhe – wenn Sie bessere haben als diese Holzdinger hier. Strümpfe und alles andere habe ich schon. Ja, und dann etwas zu essen und zu trinken. Für alles zusammen gebe ich Ihnen dieses Goldstück.“

      „Ja, das täte schon gehen“, meinte der Wirt, den die Aussicht auf ein ganzes Goldstück zu erstaunlicher Lebhaftigkeit animierte.

      „Sie müssten halt nur warten, bis die Mary wiederkommt – ich kann ihr ja nicht einfach ihre Kleider wegverkaufen. Aber sie hat gesagt, um eins ist sie wieder da, und jetzt ist es schon bald zwölfe. Setzen Sie sich halt in die Gaststube, dann bringe ich Ihnen ein Frühstück.“

      Geneviève wandte sich erleichtert der Tür zur Gaststube zu – die ganze Unterhaltung hatte im Flur stattgefunden, der, wie die Theke verriet, auch als Ausschank diente –, als der Wirt noch einen Einwand fand: „Moment mal – Sie kommen aus Frankreich, haben Sie gesagt? Was ist jetzt das dann für ein Goldstück – ein französisches?“

      „Ja, natürlich“, antwortete Geneviève und reichte es ihm überrascht. Er betrachtete sorgenvoll die Münze in seiner Hand. „So – und woher soll ich wissen, was so ein Ding wert ist – ob es überhaupt was wert ist? Ein paar ehrliche Shillinge wären mir schon lieber.“

      „Natürlich ist es was wert!“ Geneviève war empört. „Beißen Sie doch drauf, wenn Sie mir nicht glauben! Es ist echtes Gold, und in Frankreich kann eine Familie einen Monat lang davon leben!“

      Sie hatte nicht die blasseste Ahnung, ob das der Wahrheit entsprach – aber der Wirt auch nicht, da war sie ganz sicher. Schließlich sah sein Gasthof nicht so aus, als stiegen hier jemals vornehme Ausländer ab. Wirklich entspannten sich seine Züge und er brummte: „Naja, schon gut. Regen Sie sich nur nicht auf. Ich mach Ihnen dann mal ein Frühstück.“ Er hielt inne und betrachtete sie zweifelnd. „Wollen Sie sich vorher vielleicht etwas – naja – frisch machen?“

      „Ich habe es wohl nötig?“, fragte Geneviève kleinlaut.

      Er grinste unwillkürlich, was seinem säuerlichen Gesicht einen überraschend angenehmen Zug verlieh. „Ziemlich. Die Treppe hinauf, erste Tür links. Warten Sie, ich bringe Ihnen Wasser und ein Handtuch.“


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