Ein trauriges Schloss. Catherine St.John
Читать онлайн книгу.Madam, weil unsere Anfrage bei der Personalvermittlung so schnell erfolgreich war. Ich hätte mit einer längeren Wartezeit gerechnet.“
„Tatsächlich? Warum? Ich meine, das Anwesen ist doch sehr eindrucksvoll und offenbar in gutem Zustand, auch nicht direkt an der schottischen Grenze. Warum sollten Dienstboten nicht gerne hier arbeiten wollen?“
Jessop hatte nicht ganz erfolgreich ein Lächeln unterdrückt. „An der schottischen Grenze?“
Eleanor lächelte offener. „Nun, nach London ist es kaum eine Tagesreise… Dienstboten achten doch auf so etwas.“
„Das stimmt, Mrs. Warren. Und Sie haben auch Recht, es ist hier ein durchaus angenehmes Arbeiten, ein Schlossgespenst haben wir auch nicht, nur…“
„Nur?“
„Nun ja…“ Jessop wand sich etwas. „Es ist nur – der Earl, er ist – wie soll ich es sagen – er ist etwas eigentümlich.“
„Eigentümlich“, wiederholte Eleanor ratlos. „Wie äußert sich das? Hat diese Tatsache schon Dienstboten vertrieben?“
„N-nein, nicht direkt.“
Eleanor sah über Jessops Schulter auf die Seitentür zum Küchenbereich und entdeckte Lizzie und noch ein häubchengeschmücktes Mädchen, die beide beobachteten, was Jessop und die neue Haushälterin da taten.
„Ich schlage vor, Sie zeigen mir erst einmal, was ich hier kennen sollte, und immer dann, wenn wir einen ruhigen Moment haben, erzählen Sie mir, warum der Earl die Dienstbotenlage so erschwert.“
„Eine gute Idee, Mrs. Warren.“ Jessop wirkte erleichtert, und Eleanor überlegte, warum das wohl so war, während sie leicht abgelenkt die Küche inspizierte, sich die Köchin und ihre Untergebenen bis hin zur letzten Spülmagd vorstellen ließ und gleich den Speiseplan durchlas, den die Köchin, Mrs. Kingsley, ihr präsentierte. „Drei Gänge? Auf Anhieb würde ich sagen, das ist ein bisschen spärlich, nicht wahr? Oder ist das hier so üblich?“
„Der Earl ist kein starker Esser“, erklärte Mrs. Kingsley. „Er wird nicht einmal diese Speisen wirklich zu würdigen wissen. Wahrscheinlich kommt fast alles zu uns in die Küche zurück.“
Dann freilich schienen Eleanor drei Gänge wirklich genug zu sein. Sie inspizierte mit Mrs. Kingsley die Küche, die Silberkammer (Jessops Ressort), die Vorratskammer und die Spülküche, fand alles ordentlich und sauber vor und äußerte zurückhaltendes Lob, das erfreut entgegen genommen wurde.
Jessop führte sie durch die Räume im Erdgeschoss und im ersten Stock, zuerst drei verschiedene Salons, alle sehr ordentlich, aber kalt und offenbar selten genutzt. Es folgten eine große, etwas ungemütliche Bibliothek und ein Arbeitszimmer, offenbar das Refugium des Sekretärs, der wenigstens vor Ort war und leicht überrascht aufsah, als Jessop und Eleanor eintraten.
„Das ist Mr. Grant, der Sekretär Seiner Lordschaft. Mrs. Warren, die neue Haushälterin.“
Eleanor reichte dem Sekretär, einem recht sympathisch aussehenden jungen Mann mit überraschend rotem Haar, freundlich die Hand und sprach ihre Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit aus. Mr. Grant stimmte sofort zu und bat sie, sich stets vertrauensvoll in Haushaltsangelegenheiten an ihn zu wenden.
Bis jetzt schien das Personal nett und freundlich zu sein, fand Eleanor und nahm als nächstes das Zimmer der Haushälterin in Augenschein. Der Raum erfüllte seinen Zweck – Schreibtisch, Regale, eine Reihe von Mappen mit Unterlagen, Rechnungsbücher, ein unbequem aussehender Stuhl – sonst nichts. Nun gut, ein Arbeitsraum eben.
Generell schienen ihr die Räume hier etwas freudlos auszusehen – genau genommen so ähnlich wie auf Lanford Hall, das ja immer ein Trauerhaus geblieben war.
Vielleicht traf das auf Kesham Court auch zu… vielleicht hatte es einmal eine Countess gegeben? Nun, mit untröstlichen Witwern kannte sie sich schließlich aus! Aber wen konnte sie danach fragen?
Ein Frühstückszimmer, ein kleines Speisezimmer, ein großes Speisezimmer. Das Übliche.
„Der Bankettsaal und der Ballsaal befinden sich im Stock über uns, Mrs. Warren. Und dort sind auch die Schlafräume untergebracht. Im Ostflügel die des Hausherrn und der Dame des Hauses und einige Gästezimmer, im Westflügel finden Sie die übrigen Gästezimmer und ganz am Ende – wie Sie ja bereits erfahren haben – die Räume des gehobenen Personals. Die übrigen Dienstboten sind natürlich im Stockwerk darüber untergebracht. Im Turm befinden sich noch weitere Gastzimmer – schon seit längerem nicht mehr im Gebrauch – und ein Aussichtsraum mit Sternwarte.“
„Oh, interessant. Seine Lordschaft befasst sich mit Astronomie?“
Jessop verbeugte sich. „Der verstorbene Earl, ein Onkel des jetzigen, pflegte dieses Steckenpferd. Er soll ein namhafter Gelehrter auf diesem Gebiet gewesen sein.“
Eleanor nickte. „Sie sagten vorhin – die Räume der Dame des Hauses? Es gibt – oder gab also eine Countess of Kesham?“
„Gewiss. Die Gemahlin des sechsten Earls, des Astronomen. Der gegenwärtige siebte Earl ist nicht verheiratet und er hat auch außer Mr. Randal, seinem Cousin, keine Verwandten mehr.“
„Sein Cousin… hätte der dann nicht der siebte Earl werden müssen?“
„Nein, Mrs. Warren. Der fünfte Earl hatte nämlich drei Söhne. Der älteste wurde der sechste Earl, der zweite war der Vater des jetzigen siebten Earls und seiner Schwester, und der dritte wiederum war der Vater von Mr. Randal. Der sechste Earl hatte einen Sohn, Victor, der aber bei einem Jagdunfall ums Leben kam… und dann wurde der Vater vor Trauer sehr, sehr krank, daraufhin musste man Mr. Anthony – äh – den jetzigen Earl aus Spanien abberufen.“
Eleanor fühlte sich leicht benommen angesichts dieser Fülle an Einzelheiten und Earls. Sie nickte nur, und Jessop, der sich offenbar warmgeredet hatte, seufzte tief auf: „Der arme gnädige Herr!“
„Sie sprechen jetzt von dem trauernden Vater? Ja, sein einziges Kind zu verlieren, den Erben noch obendrein, das muss wirklich bitter sein. Ich kann mir das sehr gut vorstellen.“ Sie hatte kurz an Lanford gedacht – aber wenn sie ehrlich war, hatte sie da nicht unbegrenztes Verständnis aufgebracht. Also seufzte sie auch, aber eher aus Unwillen.
„N-nein, eigentlich habe ich von dem gegenwärtigen Earl gesprochen.“
„Aha? Er wollte lieber eine Militärkarriere verfolgen und musste sie für Kesham abbrechen?“ Was sollte man nach diesen Andeutungen denn anderes vermuten?
„Der arme Herr!“
Ja, soweit waren sie schon einmal gewesen. „Inwiefern?“, fragte Eleanor also mit einem leichten Hauch von Ungeduld nach.
Jessop wand sich etwas. „Nun, er war gerade recht schwer verwundet worden… und krank war er obendrein – ist er immer noch, immer wieder einmal.“
„Fieberschübe?“ Eleanor hatte einmal so etwas gelesen.
„Vermutlich – Dr. Sheppard versucht alle möglichen Kuren und vielleicht schlägt ja eine auch einmal an“, hoffte der Butler.
„Die Medizin macht ja ständig Fortschritte...“
Jessop seufzte. „Das kann noch recht lange dauern, befürchte ich.“
Eleanor lächelte. „Aber – haben wir denn nicht Zeit?“
Das konnte Jessop nicht bestreiten; er seufzte ein letztes Mal tief auf und führte seine neue Kollegin weiter.
Eleanor stellte hinterher fest, dass alles sauber und ordentlich aussah, aber etwas trübsinnig wirkte, kein Schmuck, keine Blumen, kaum Bilder (außer in der Ahnengalerie) und recht ungemütliche Sitzgelegenheiten.
Sie nahm sich vor, das ganze Schloss, so weit möglich, etwas wohnlicher zu gestalten, denn all diese netten Menschen