Mein Morbi und ich. Iris Weitkamp

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Mein Morbi und ich - Iris Weitkamp


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drei, vier Tage könnte es dauern, bis Sie nach der OP schmerzfrei sind, und ein Weilchen werden Sie noch Kompressen für die Wunde brauchen“, schätzte der Chirurg.

      ‚Na, wenn`s weiter nichts ist’, dachte ich. ‚Einen Tag OP, vielleicht den Tag danach noch frei zum Erholen, drei Tage etwas ruhiger gehen lassen, und gut.’

      Du ahnst es schon: die Einschätzung des Arztes war unschlagbar optimistisch und meine eigene Vorstellung jenseits von naiv.

      Nach einem diskreten Anruf der chirurgischen Praxis ‚unter Kollegen’ konnte ich das Vorgespräch mit der Narkosearztpraxis direkt im Anschluss erledigen. „Gleich nebenan, gehen Sie ruhig eben rüber ... nein, einen Termin brauchen Sie nicht, wir regeln das schon ...“

      In beiden Praxen überhäufte man mich mit einer erstaunlichen Menge Formulare: Registrationsvordrucke, Einverständniserklärungen zur Fremdabrechnung, Verhaltensmaßregeln vor, während, nach der OP .... der Lesestoff hätte für den Rest des Tages gereicht. Ich entschied mich dagegen, ließ mich vom Sog der Ereignisse mitreißen. Alles ging ratz-fatz. Gut gelaunt setzte ich meine Unterschrift auf jeden Vordruck, der mir unter die Nase gehalten wurde. Man hätte mir mühelos die berühmte Waschmaschine andrehen können. Der gesamte Arztbesuch in Chirurgie und Anästhesie dauerte insgesamt eine Stunde, höchstens. Das lief ja großartig! Ich würde mir diese unerfreulichen Knübbelchen am Po wegschneiden lassen, und dann: Bye bye, Hämorrhoiden-Minna - hello, sexy Superwoman!

      Anschließend ging ich shoppen. In Vorbereitung eines besonderen Events macht Frau üblicherweise erst einmal einen ausgiebigen Einkaufsbummel. Das war jetzt nicht anders. Mit dem einzigen Unterschied, dass es sich diesmal nicht um neue Schuhe zum schicken Partykleid oder das optimale Strandoutfit handelte. Meine Einkaufsliste war mir teils von meiner Hausärztin, teils von der chirurgischen Klinik verschrieben worden: Wundkompressen, Salbe, Schmerztabletten ...

      Vor der OP musste noch eine extra Blutuntersuchung erfolgen, ich weiß nicht einmal mehr, wofür. Von den unzähligen Blutentnahmen sahen meine Arme wie die einer Fixerin aus. Ich erinnere mich nur noch, dass es – wie so oft – ein terminlicher Balanceakt wurde. Aus irgendwelchen Gründen wurde die Blutabnahme bei der Hausärztin vorgenommen, die Analyse in einem auswärtigen Labor durchgeführt, das Ergebnis von einem anderen der involvierten Ärzte bewertet. Ich sollte danach nochmals mit der chirurgischen Praxis telefonieren und meinen OP-Termin bestätigen.

      Am Donnerstag vor Ostern rief ich aus einer Telefonzelle im Frankfurter Flughafen in der Praxis an, um abzuchecken, ob meine Laborwerte okay sind, und um die OP endgültig festzusetzen.

      Und am Dienstag nach Ostern wurde ich morgens, ohne dass der Chirurg oder ich die ganze Tragweite begriffen, zum ersten Mal wegen der Auswirkungen von Morbus Crohn operiert.

      Das ‚Merkblatt zur ambulanten Operation’ umfasste fünf Seiten und entbehrte nicht einer gewissen Komik. In der Einleitung wurde den Patienten versichert, dass es im OP sauber sei: „Operationssäle, die ... den ... hygienischen Anforderungen Rechnung tragen“. Eine geradezu revolutionäre Idee. Auf der nächsten Seite folgte eine Auflistung aller in der Praxis durchführbaren Operationen. Als würde jemand, der sich wegen eines Leistenbruchs operieren ließ, spontan zugreifen: „Oh, die haben hier auch Zehenkorrekturen im Angebot, davon nehme ich doch gleich zwei - wo ich schon mal da bin.“ Die Patienten wurden aufgefordert, „morgens geduscht“ zu erscheinen. „Bei starker beruflicher Schmutzbelastung von Händen und Füßen ist eine intensive Reinigung geboten“ hieß es noch. Verwirrend, diese Unterscheidung zwischen beruflichem und privatem Dreck. Warum sollte der Landschaftsgärtner seine Fingernägel schrubben, die Hausfrau, die im Garten wühlte, dagegen nicht? Unterstellte man dem niederen Volk eine höhere Grundverschmutzung? Weiterhin wurde mehrfach auf die Diebstahlgefahr in der Praxis hingewiesen: „Wertsachen zu Hause lassen“. Dass die das so einfach zugaben ... Sogar einen Dresscode fand ich: „Bequeme, weite und unempfindliche Kleidung in dunklen Farben“. Vermutlich der Versuch, den Patienten so schonend wie möglich beizubringen, dass sie nach der Operation ihre gute Garderobe vollbluten könnten.

      Am Morgen der OP fühlte ich mich, von einem knurrenden Magen abgesehen, relativ gut. Normalerweise bin ich ziemlich unleidlich, wenn ich Hunger habe. Ich musste ja morgens ‚nüchtern’, wie es so schön heißt, antreten. Aber ich war nicht nervös, verspürte keine Angst und freute mich darauf, später mit makellosem Po aufzuwachen.

      Ich bekam ein weißes OP-Kittelchen verpasst, so eines, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, und wie es Jack Nicholson in ‚Was das Herz begehrt’ trägt (vorne züchtig hochgeschlossen, im Nacken gebunden und hinten komplett offen). Die Narkose wirkte schnell. Ich konnte grad noch denken ‚alles wie im Film hier’ –schon war ich weg.

      Aufgewacht bin ich im Ruheraum, in einem schönen Bett am Fenster. Die Sonne warf Lichtkringel auf meine mollige Steppdecke. Hinter halb zugezogenen Vorhängen dösten weitere Patienten, wieder genau wie im amerikanischen Kino. Ich hatte stundenlang tief und fest geschlafen, so gut wie ewig nicht. Wenn man danach so wohlig ausgeruht und entspannt war, sollte man sich vielleicht öfter mal eine kleine Narkose gönnen ... Übelkeit, Kopfschmerzen und was man sonst für Nebenwirkungen von der Narkose bekommen konnte, stellten sich nicht mal ansatzweise ein. Auch Schmerzen spürte ich nicht. Es ging mir einfach bombig. Eine Schwester bot mir Kaffee und Kekse an, ich las in meinem Buch und dachte an gar nichts.

      Die nächsten zwei Tage verbrachte ich zu Hause und verspürte immer noch keine nennenswerten Probleme. Ich war müde ohne Ende und schlief die meiste Zeit. Vielleicht sah damals schon ein völlig überlasteter Organismus seine Chance, eine Auszeit zu nehmen. Lange im Bett liegen und faulenzen hatte ich zwar manchmal mit schlechtem Gewissen getan, aber nie genießen können. Nun war ich offiziell und allgemein anerkannt krank, es wurde sozusagen von mir erwartet, dass ich mich gesund schlief. Und wie so oft erfüllte ich brav die an mich gerichteten Erwartungen. Ich schlief und schlief und schlief, und ich fand es herrlich.

      Am dritten Tag ging es dann los! Auf der Toilette hätte ich jedesmal laut schreien können. Dass meine Durchfälle wieder einsetzten und mich und die frische Narbe alle ein bis zwei Stunden auf Trab hielten, machte die Sache nicht besser.

      Die Nachsorgeuntersuchungen der Operation fanden sämtlich in der Chirurgischen Praxis statt. Im Merkblatt hieß es noch, die erste Nachuntersuchung würde in der Praxis sein, die weitere Nachsorge durch den Hausarzt erfolgen. Der Privatpatient, die zu melkende Kuh ... Ich fühlte mich immer noch etwas dösig im Kopf von der Narkose und täglich klappriger von den Durchfällen. So trottete ich zunächst jeden Dienstag und Donnerstag brav in meinen Melkstand.

      Leider bestand das große Team kompetenter und stets auf dem neuesten Stand fortgebildeter Ärzte ausschließlich aus Männern. Da half nun alles nichts: In den folgenden Wochen musste ich alle paar Tage mit nacktem Hinterteil vor ständig wechselnden Doktoren liegen. Einige benahmen sich sehr rücksichtsvoll. Andere hatten ihre Patienten längst in den Bereich ‚zu reparierendes Elektrogerät’ eingeordnet, so dass man nicht auf Wahrung seiner Würde hoffen durfte. Notgedrungen lernte ich, die Zähne zusammenzubeißen, wenn ich mich unter ihren Augen aus- oder wieder anzog. Etwas zu sagen, hätte noch mehr Aufmerksamkeit auf die Situation gelenkt und sie nur verschlimmert. Wie sang Tina Turner so treffend in ‚Private Dancer’? „You keep your mind on the money, keeping your eyes on the wall …“. Meine Augen starr auf einen Fliegenschiss an der Wand geheftet, ließ ich vor den Männern die Hosen runter und konzentrierte mich auf mein Ziel: die Reparatur meines Hinterteils.

      Stets hieß es: „Heilt ja super, alles okay“. Auch, dass ich seit über drei Wochen unverändert starke Schmerzen hätte, sei „völlig normal“. In meinem damaligen Zustand kam mir leider noch nicht der Gedanke, wie man denn einen Fortschritt bei der Wundheilung beurteilen wollte, wenn immer jemand anders draufschaut. Mehr als zwei Wochen nach der OP verschrieb man mir wenigstens eine neue Salbe. Im Prinzip aber, so wurde versichert, sehe die Wunde doch „schon wieder ganz gut“ aus. Die verschriebenen Tropfen halfen absolut null gegen die Schmerzen, also bekam ich Tabletten, die besser anschlugen. Abermals wurde mir das Schlaflied vorgesummt, alles


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