Maria Stuart. Stefan Zweig

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Maria Stuart - Stefan Zweig


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haben die Einwohner von Edinburgh vernommen, daß ihre Königin in Holyrood eingetroffen ist, so ziehen sie alle noch nachts hinaus, ihr Willkommen zu bieten. Daß dieser Gruß für den verfeinerten, verwöhnten Geschmack der französischen Adelsleute etwas rauh und bäuerisch ausfällt, ist nicht zu verwundern; Edinburghs Bürger haben keine ›musiciens de la cour‹, um die Schülerin Ronsards mit zärtlichen Madrigalen und kunstvoll gesetzten Kanzonen zu erfreuen. Sie können die Königin des Landes nur nach althergebrachter Art feiern, indem sie Holzklötze, das einzige, was diese unwirtliche Gegend reichlich gibt, auf den Plätzen zusammenschichten, um sie als »bonfires« hell durch die Nacht lodern zu lassen. Dann versammeln sie sich vor ihren Fenstern und veranstalten mit Dudelsäcken, Pfeifen und ungefügen Instrumenten etwas, was ihnen als Musik, den kultivierten Gästen aber als höllischer Lärm erscheint: dazu singen sie – denn profane Texte sind ihnen von ihren calvinistischen Priestern untersagt – mit rauhen Männerstimmen Psalmen und fromme Lieder; mehr haben sie mit bestem Willen nicht zu bieten. Aber Maria Stuart freut sich über den guten Empfang oder zeigt zumindest Freundlichkeit und Freude. Und wenigstens in jener ersten Ankunftsstunde herrscht seit Jahrzehnten wieder Einklang zwischen einer Fürstin und ihrem Volke.

      Daß eine unermeßlich schwierige Aufgabe diese politisch völlig unerfahrene Herrscherin erwartet, darüber geben sich weder die Königin selbst noch ihre Ratgeber einer Täuschung hin. Prophetisch hatte Maitland of Lethington, der klügste Kopf des schottischen Hochadels, von Maria Stuarts Ankunft geschrieben, sie würde unaufhaltsam außerordentliche Tragödien verursachen (»it could not fail to raise wonderful tragedies«). Selbst ein energischer, entschlossener Mann, die Faust mit Eisen bewehrt, könnte auf die Dauer hier nicht Ruhe erzwingen, und wie erst eine neunzehnjährige, dem eigenen Lande entfremdete und im Herrschen so ungeübte Frau! Ein armes Land, ein korrupter Adel, dem jeder Anlaß zu Aufstand und Krieg willkommen ist, eine Unzahl Clans, die in ewigem Streit und Zwist miteinander leben und nur ständig auf einen Anlaß warten, um Haß in Bürgerkrieg zu verwandeln, eine katholische und eine protestantische Geistlichkeit, die grimmig um die Oberherrschaft ringen, eine wachsame und gefährliche Nachbarin, die mit geschickter Hand jeden Anlaß zur Unruhe schürt, und dazu die Feindseligkeit der Weltmächte, welche unbarmherzig Schottland mitreißen wollen in ihr blutiges Spiel: das ist die Lage, die Maria Stuart vorfindet.

      Im Augenblick, da sie ihr Land betritt, steht dieser Kampf auf des Messers Schneide. Statt gefüllter Kassen übernimmt sie von ihrer Mutter eine verhängnisvolle Erbschaft, eine wahrhaft »damnosa hereditas«: den religiösen Zwist, der hier erbitterter als irgendwo die Seelen verstört. Während der Jahre, die sie selbst ahnungslos und beglückt in Frankreich verbrachte, war es der Reformation gelungen, siegreich in Schottland vorzudringen. Durch Hof und Haus, durch Dörfer und Städte, durch Sippen und Familien geht nun dieser furchtbare Riß: ein Teil des Adels protestantisch, der andere katholisch, die Städte dem neuen Glauben zugewandt, das flache Land dem alten, Clan gegen Clan, Geschlecht gegen Geschlecht, und beide Parteien ständig in ihrem Haß geschürt von fanatischen Priestern und politisch gestützt von fremden Mächten. Gefährlich für Maria Stuart aber wird vor allem, daß eben der mächtigste und einflußreichste Teil des Adels im gegnerischen, im Lager des Calvinismus steht; die Gelegenheit, sich der reichen Kirchengüter zu bemächtigen, hat zauberisch auf diese machtgierige und rebellische Rotte gewirkt. Endlich haben sie einen herrlichen pseudoethischen Vorwand, als Schirmer der wahren Kirche, als die »Lords of the Congregation«, sich gegen ihre Herrscherin aufzulehnen, und für diesen Widerstand finden sie an England jederzeit einen bereiten Helfer. Mehr als zweihunderttausend Pfund hat die sonst sparsame Elisabeth schon geopfert, um Schottland durch Aufstände und Kriegszüge den katholischen Stuarts zu entreißen, auch jetzt nach feierlich abgeschlossenem Frieden, steht ein Großteil der Untertanen Maria Stuarts heimlich in ihrem Sold. Mit einem Schlage könnte nun Maria Stuart das Gleichgewicht herstellen, nämlich wenn sie selbst zur protestantischen Religion übertreten würde, wozu ein Teil ihrer Berater sie auf das heftigste drängt. Aber Maria Stuart ist eine Guise. Sie stammt aus der Familie der glühenden Vorkämpfer des Katholizismus und ist selbst, wenn auch nicht zelotisch fromm, so doch treu und leidenschaftlich dem Glauben ihrer Väter und Ahnen ergeben. Nie wird sie von ihrer Überzeugung weichen und selbst in äußerster Gefahr, gemäß ihrer kühnen Natur, lieber ewigen Kampf wählen als eine einmalige feige Handlung gegen ihr Gewissen. Damit aber ist ein unheilbarer Riß zwischen ihr und dem Adel geschaffen; immer wirkt es sich gefährlich aus, wenn ein Herrscher einer anderen Religion angehört als seine Untertanen. Denn zwischen so scharfem Hin und Wider kann die Waage nicht ewig schwanken, einmal muß die Entscheidung fallen; eigentlich bleibt Maria Stuart nur die Wahl, der Reformation Herr zu werden oder ihr zu erliegen. Die unaufhaltsame Auseinandersetzung zwischen Luther, Calvin und Rom wird durch einen merkwürdigen Zufall gerade in ihrem Schicksal dramatisch ausgetragen; der persönliche Kampf zwischen Elisabeth und Maria Stuart, zwischen England und Schottland entscheidet – und darum wird er so bedeutsam – auch zwischen England und Spanien, zwischen Reformation und Gegenreformation.

      Erschwert wird diese an sich schon schicksalsträchtige Situation durch den Umstand, daß der religiöse Zwiespalt hier bis in ihre Familie, in ihr Schloß, in ihr Beratungszimmer hineinreicht. Der einflußreichste Mann Schottlands, ihr eigener Stiefbruder James Stuart, Earl of Moray, dem sie die Führung der Staatsgeschäfte anvertrauen muß, ist entschlossener Protestant und Schirmherr jener »kirk«, die sie, die gläubige Katholikin, als Ketzerei verdammen muß. Als erster hat er schon vor vier Jahren seine Unterschrift unter den Eid der Schutzherren, der »Lords of Congregation«, gesetzt, die sich verpflichteten, »die Lehre Satans abzuschwören und ihren Aberglauben und ihren Bilderdienst und sich von nun ab als ihr offener Gegner zu erklären«. Diese Satansreligion (»Congregation of Satan«), welche sie abschwören, ist nun keine andere als die katholische, also die Religion Maria Stuarts. Damit klafft zwischen der Königin und dem Regenten von allem Anbeginn ein Zwiespalt in der letzten, der wesentlichsten Lebensauffassung, und ein solcher Zustand verspricht keinen Frieden. Denn im innersten Herzen hat die Königin nur einen Gedanken: die Reformation in Schottland zu unterdrücken, und ihr Regent und Bruder nur einen Willen: sie in Schottland zur einzig herrschenden Religion zu erheben. Ein derart schroffer Gegensatz der Überzeugungen muß unaufhaltsam bei erster Gelegenheit zu offenem Konflikt führen.

      Dieser James Stuart ist bestimmt, eine der entscheidendsten Gestalten im Drama Maria Stuarts zu verkörpern, eine große Rolle hat ihm das Schicksal zugedacht, und er weiß sie als Meister darzustellen. Sohn desselben Vaters, aber aus dessen langjährigem Liebesverhältnis mit Margaret Erskine, der Tochter einer der edelsten Familien Schottlands, scheint er durch das königliche Blut und nicht minder durch seine eherne Energie von der Natur zum würdigsten Erben der Krone berufen. Allein die politische Schwäche seiner Position hatte James V. seinerzeit gezwungen, auf eine legale Ehe mit der sehr geliebten Lady Erskine zu verzichten und zur Festigung seiner Macht und seiner Finanzen sich mit einer französischen Prinzessin, der Mutter Maria Stuarts, zu vermählen. So lastet auf diesem ehrgeizigen Königssohn der Makel der unehelichen Geburt, der ihm für alle Zeit den Weg zum Throne sperrt. Wenn ihm auch auf die Bitte James' V. der Papst öffentlich nebst fünf anderen Liebeskindern seines Vaters das königliche Blut zuerkennt. Moray bleibt dessenungeachtet Bastard und von jedem Anspruch auf die väterliche Krone ausgeschlossen.

      Unzählige Male hat die Geschichte und ihr größter Nachbildner, Shakespeare, die seelische Tragödie des Bastards gestaltet, dieses Sohnes und Doch-nicht-Sohnes, dem ein staatliches, ein geistliches, ein irdisches Gesetz unbarmherzig das Recht nimmt, das Natur ihm in Blut und Antlitz geprägt. Verurteilt durch das Vorurteil – das härteste, das unbeugsamste aller Urteile –, sind diese Unehelichen, diese nicht im Königsbett Gezeugten, hintangesetzt den meist schwächlicheren, weil nicht aus Liebe, sondern aus politischer Berechnung gezeugten Erben, ewig Zurückgestoßene und Ausgestoßene und zu Bettel verdammt, wo sie befehlen und besitzen sollten. Wird aber einem Menschen der Stempel der Minderwertigkeit sichtbarlich aufgedrückt, so muß dieses dauernde Minderwertigkeitsgefühl ihn entweder entscheidend schwächen oder entscheidend stärken; ein solcher Druck kann einen Charakter brechen, oder er kann ihn wundervoll härten. Feige und laue Charaktere werden durch solche Demütigkeit noch kleiner, als sie waren; als Bettler und Schmeichler lassen sie von den anerkannt Legitimen sich beschenken und beamten. In starken Naturen aber steigert Zurücksetzung alle dunklen und gebundenen


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