Wizzel Kien. Ханс Фаллада

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Wizzel Kien - Ханс Фаллада


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keiner sterben. Läuteten aber einmal die Totenglocken, so war’s nicht bei uns, sondern auf Sankt Marien oder auf dem Großen Peter, wofür andere Totengräber waren. Darüber wurde mein Vater fast trübsinnig, so sehr reuten ihn seine guten Taler, und hätte der Herr Pfarr ihm das Geld wiedergegeben, gleich wären wir etwas Besseres geworden. (Mein Vater wußte auch schon, was.) So wollte er aber wenigstens so lange dabeibleiben, bis er seine drei Taler wieder im Sack hätte. Die Nachbaren haben mir oft erzählt, wie er damals halb unsinnig in der Kammer hin und her gelaufen ist und gestöhnt und gejammert hat: »Nur sechs Gräber, Wizzel!« (So nannte er mich.) »Will denn kein Gottgesegneter, Guter in dieser bösen Stadt mir zuliebe sterben?! Einmal muß er ja doch, und jetzt täte er ein gutes Werk an uns, Wizzel!« Ich aber soll ihn eifrig an den Schuhriemen gezerrt haben, die ich ihm über seinem Grübeln aufgeknotet, so daß der große Mann stets von neuem ins Stolpern geriet, was er doch in seinem Ingrimm fast gar nicht merkte. Und je mehr der Große sich grämte, um so toller habe der Kleine gelacht.

      Schließlich hatten wir doch unsere erste Leiche – es war aber ein arm Mägdlein, das der Schande halber mit einem Kinde im Leib vom Stadtturm gesprungen war und sich das Genick zerschlagen hatte. Das mußte der Vater in aller Stille bei Nacht an der Friedhofsmauer einscharren, und von Grabelohn war keine Rede, weil’s doch eine Mörderin war. Da es aber Winter geworden und der Boden steinhart gefroren war, mußte der Vater noch fast ein Klafter gutes Scheitholz verbrennen, um die Erde zu erwärmen – also legte er noch einen guten Groschen drauf. Das drückte ihm fast das Herz ab.

      Aber er ermunterte sich wieder, denn er vernahm die Kunde, der reiche Ratsherr Sernau liege auf den Tod krank. Freilich war es noch nicht ausgemacht, ob er auch unsere Leich sein würde, denn die Grenze zwischen Sankt Marien und Sankt Lukas – was unser Heiliger war – lief mitten durch sein großes Haus am Markt. Da hub ein fleißiges Gerenne an, und wie die Totengräber liefen und lauschten, so schlurrten auch die Herren Pfarrer. Denn Sankt Marien wie Sankt Lukas hätten ums Leben gerne – oder sage ich besser: ›ums Sterben gerne?‹ – die prächtige Leich gehabt. Es half der alten Bärbe, der Wirtschafterin vom Herrn Sernau, auch nichts, daß sie, statt auf die heuchlerischen Erkundigungen nach dem Befinden des Hohen Herrn Rat zu antworten, die Türe zuschlug und auf die Aasvögel des Todes schimpfte – sie hängten sich vor jeden Hauseingang und fragten jeden Bäckerjungen und aderlassenden Bader aus, bis sie’s für gewiß erfuhren, der Kranke liege im gelbbrokatenen Zimmer. Da freute sich mein lieber Vater, denn nun war’s gewiß, daß dieses Mal Sankt Lukas über die heilige Maria den Sieg davontragen würde, denn dieses Zimmer gehörte in unsere Pfarrei.

      Eines Nachts aber wurde mein Vater eilig von dem Mesnerjungen geweckt, er möge doch nur machen und hinunterkommen auf die Gasse, der Herr Pfarr warte dorten seiner mit der Letzten Ölung. Mein Vater fuhr hastig in die Buxen und in der Eile ärschlings die dunkle, steile Treppe hinab, dem Herrn Pfarrer recht zu Füßen. Der berichtete aufgeregt, er habe vernommen, der Herr Rat Sernau tue die letzten Züge. Man habe aber nicht zu ihm geschickt, sondern zu dem von Sankt Marien. Das sei er nicht gesonnen, sich bieten zu lassen, der Herr Amtsbruder sitze schon so im Satten, während dem armen Lukas immer nur die Hungerleider und Spinnweiblein zufielen. So möge mein Vater denn still hinterdrein gehen, aber fein aufmerken, wann etwa ein gewichtiges Wort zu sprechen sei. Damit klingelte der Mesnerjung, und sie schritten eilig durch die Nacht zum Markt.

      Da strahlte und glänzte das prächtige Haus im Schein von hundert Kerzen, und es herrschte ein solcher Trubel und solches Hinundhergelaufe von trauernden Erben, auftragsgierigen Geschäftsleuten, siegelbewaffneten Notaren, weinbegehrenden Stadtwachen, daß der kleine Lukaszug fast unbemerkt seinen Einmarsch hielt. Bis vor die Tür des gelbbrokatenen Zimmers kamen sie, da aber trat ihnen die alte Bärbe recht hoch und streng entgegen und fragte, was sie wohl wollten, es habe keiner um sie geschickt. Der Herr Pfarrer aber zwang sie listig in die Knie, indem er ihr seinen Segen gab, und ehe sie nur wieder hochkam – denn sie war schon alt und mit gebrechlichen Knochen –, war der Pfarrer mit seinem Jungen ins andere Zimmer geschlüpft.

      Mein Vater wäre auch gerne nachgelaufen, aber er war verwirrt. Denn er war noch nie in solchem Palaste, wie dieser war, gewesen, zudem ängstete ihn der ungewohnte Holzboden, der mit Bienenwachs geglättet war. Ihn kriegte die alte Bärbe zu fassen, schüttelte ihn derb und fragte ihn recht böse, was das denn für ein Schweinekerl sei, der in Hemd und Hose an ein Sterbebett komme, und die Hose sei zudem noch zerrissen! Mein Vater faßte verlegen hinter sich, und da merkte er freilich, daß der Rutsch auf der dunklen Treppe nicht nur seinem Backenfleisch weh getan hatte. Ungewiß trat er von einem Fuß auf den anderen, denn wohl schämte er sich seiner Blöße, er wagte aber auch nicht, dem Herrn Pfarrer ungehorsam zu sein. Schließlich bat er die Bärbe recht beweglich, ihn doch in ein nahes Kämmerchen zu tun, wo er den Leuten aus den Augen wäre, seinem Herrn aber auf den Ruf bereitstünde.

      Das tat die alte Bärbe und schob ihn in ein Käfterchen, wo schon einer stand, dann lief sie eilig, um nach dem Knecht den Herren wegzustecken. Als sich nun die beiden in dem Käfterchen besahen, erkannten sie einander recht gut, denn ein Totengräber schaute dem anderen ins Angesicht: der von Sankt Marien dem von Sankt Lukas. »Oho! Oho!« sprach der von Marien mit rauher Stimme. »Geht jetzt der heilige Lukas auf Diebstahl aus? Komm her, du Kienwurz, daß ich dich im Feuer meiner Schläge zu gar nichts verbrenne!«

      »Das gelbbrokatene Zimmer gehört dem heiligen Lukas«, antwortete mein Vater recht trotzig. »Wenn dich aber dein Fell juckt, Gevatter, will ich’s dir gerne kratzen.« Denn der andere war sehr dick. »Eben! Eben! Vom gelbbrokatenen Zimmer wollen wir gar nichts wissen, denn wir sind redliche Leute«, sprach der von Sankt Marien. »Der Herr Rat hat sich aber in das grüne Zimmer zum Sterben betten lassen.«

      »Das lügst du!« schrie mein Vater im Zorn. »Willst mir wohl keine einzige Leich gönnen?!«

      »Hab ich dir nicht dein schwanger Mädchen gegönnt?« höhnte der andere. »Nun gönne mir auch fein meinen Rat!«

      Ei, das war meinem Vater zuviel! Der gute Groschen, den das Scheiterholz ihn gekostet, fiel ihm wieder ein. »Willst du mich für mein teuer Geld auch noch verspotten?« schrie er und gab dem anderen einen derben Schlag an die Backe. »Ist es denn auch dein Geld?« fragte der andere und schlug zurück. »Die Leute sagen, du hast einen frommen Klausner umgebracht!«

      »Jetzt bringe ich dich um!« schrie mein Vater im wildesten Grimm und drang auf den Dicken ein. Aber auch der war nicht zage, manch kräftiger Schlag ward gegeben und genommen, und das enge Käfterchen sorgte dafür, daß keiner danebenging. Wild schrieen sie sich an und polterten gegen die Holzwände, schließlich, als schon Leute hinzuliefen, stieß mein Vater den anderen durch das Fenster hinaus, und der hätte eine bösen Fall getan, wäre er nicht mit dem Hosengürtel an einem Lindenast hängengeblieben. Da schwebte er in tiefster Schwärze zwischen Himmel und Erde und wagte doch nicht, sich zu rühren oder zu rufen, aus Angst, der Ast möge brechen. Meinen Vater aber führte die Stadtwache ab ins Verließ, erst dann erlösten sie den seltenen Lindenvogel.

      Wieviel Kummer sich mein Vater aber auch im Turm machte, daß ihm nun doch die Leich entgehe und daß ein neuer Totengräber von Sankt Lukas an seiner Statt prächtig einstreiche, wo er Wochen elend gewartet – er machte sich den Kummer umsonst, denn keine Leiche entging ihm. Was der von Sankt Marien gesprochen, war lautere Wahrheit gewesen: Der Herr Rat Sernau hatte sich in der letzten klaren Minute in das Sterbezimmer seiner Frau selig tragen lassen, daß er mit ihr vereint auf dem Friedhof von Sankt Marien liege. So hatten der heilige Lukas und mein Vater dieses Mal das Nachsehen.

      5

      Wie der Kienmichel den Pfarrer einseifen wollte, aber vom Doppelten Hansen eingeseift ward

      Als sie meinen Vater am anderen Tage, nach einer derben Tracht Prügel, aus dem Turm wieder losließen, war ihm das Geschäft leid, Totengräber beim heiligen Lukas zu sein. Er ging zum Herrn Pfarrer, um wenigstens einen Teil seines Geldes zurückzuerbitten, sie ließen ihn aber gar nicht ins Haus. So wendete er einen anderen guten Groschen an das Geschäft, kaufte ein Wännchen Schmierseife und salbte über Nacht die Steinstufen vor der Pfarre recht artig, damit der Herr Pfarr, wenn er zur Frühmesse ginge, einen derben Fall tue und sich möglichst ein Bein breche. Es fiel aber nicht der Pfarr, sondern der Mesnerjunge, so den Pfarrer zu wecken


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