Kowalskis Mörder. Ole R. Börgdahl

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Kowalskis Mörder - Ole R. Börgdahl


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in die Bordeauxstraße. Zwei der früheren Mieter hatten geklagt, wurden dann aber mit einer geringen Entschädigung abgefunden. Die meisten der Leute hatten aber schnell aufgegeben und die Öffentlichkeit hatte den Fall im ohnehin großen Bauboom des Berliner Aufbruchs schnell vergessen. In dieser Zeit gab es zudem weit größere Bauskandale.

      Der Rentner im weißen Bademantel schüttelte langsam den Kopf. »Ich nicht, ich war kein Mieter der Bordeauxstraße, aber sehr wohl meine alte Frau Mama.«

      Harald Prossmann nickte und hätte sich dabei fast im Wasser verschluckt. »Ich verstehe, es ist immer schwer, wenn alte Menschen eine Wohnung verlassen müssen, in der sie Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte gelebt haben.« Prossmann verstellte erneut seine Stimme und sprach jetzt mit einem betroffenen Unterton. »Ich hoffe nur, Ihrer Mutter geht es jetzt wieder gut, ich hoffe, sie ist darüber hinweggekommen, auch wenn es schwer war?«

      Der Rentner rieb sich mit der rechten Hand das Kinn. »Sie ist vor zwei Jahren verstorben.«

      »Oh, das tut mir leid.« Prossmann geriet mit Mund und Nase unter Wasser, aber er fing sich gleich wieder.

      »Nein, nein, schon in Ordnung, sie war neunundachtzig, aber es war natürlich blöd, dass sie mit knapp achtzig aus ihrer Wohnung musste. Dreiundvierzig Jahre, sieben Monate und zwölf Tage, das ist schon mehr als ein halbes Leben.«

      »Ich verstehe«, sagte Harald Prossmann nickend und musste erneut aufpassen, nichts von dem Chlorwasser zu schlucken. »Wir haben ja damals darauf gedrängt, dass die Mieter adäquaten Ersatz erhalten. Ich hoffe, das traf auch im Falle Ihrer Mutter zu?«

      »Adäquat«, wiederholte der Rentner. »Ein tolles Fremdwort. Meine Mutter hatte es nicht so mit Fremdwörtern. Sie wollte einfach nur in ihrer alten Wohnung bleiben und dort irgendwann mal sterben. Sie hat auch keine neue Wohnung mehr bekommen. Es gab nichts Passendes und sie wollte nicht wieder von vorne anfangen, dreiundvierzig Jahre, da will man nicht mehr. Sie hatte zum Schluss ein fünfundzwanzig Quadratmeter Zimmer in einer Seniorenwohnanlage, natürlich war das eine Sozialwohnung. So richtig glücklich ist sie da allerdings nicht mehr geworden.« Der Mann stutzte. »Sind Sie denn heute noch der Meinung, dass das alles richtig war, mein lieber Herr Prossmann?«

      Harald Prossmann überlegte und schüttelte dann langsam den Kopf. »Ich habe mich schon hinterher noch mal erkundigt, was aus den Leuten geworden ist. Einige haben es ganz gut getroffen, wegen der Abfindung und weil es ihnen nichts ausgemacht hat, umzuziehen. Ich habe in der Tat aber auch von anderen Fällen gehört. Man hätte den Leuten mehr Zeit geben müssen. Die Bordeauxstraße ist zu früh gefallen, man hätte bei den freien Flächen beginnen können, die erst viel später bebaut wurden.«

      »Also geben Sie zu, dass es ein Fehler war?«

      »Fehler?«, wiederholte Prossmann. »Man macht sicherlich immer auch Fehler, wenn man Entscheidungen treffen muss. Hinterher ist man oft klüger, das bleibt nicht aus. Nach meiner damaligen Sicht auf die Angelegenheit war es kein Fehler, das Bauvorhaben zu fördern. Es hat viel Gutes bewirkt, gerade für die Bezirke des ehemaligen Ostberlins, aber heute würde ich die eine oder andere Entscheidung nicht so treffen.«

      »Sie geben es also doch zu?«

      »Ja und nein. Im Falle Ihrer Mutter würde ich aus heutiger Sicht vielleicht anders entscheiden. Da hätte man sich intensiver kümmern müssen. Was mich allerdings noch mehr betroffen macht, ist die Tatsache, dass Sie mich nach all den Jahren wiedererkannt haben und ich Ihnen in so negativer Erinnerung geblieben bin.«

      »Das war nicht schwer, sich an Sie zu erinnern«, sagte der Rentner. »Sie sind ja in letzter Zeit öfters mal in den Medien, wie man so schön sagt. Und verstehen Sie es nicht falsch, ich habe keinen Groll gegen Sie. Meine Mutter hätte ihre große Wohnung in der Bordeauxstraße ohnehin irgendwann aufgeben müssen. Es war nur blöd, dass es dann so schnell ging.«

      »Dann kann ich jetzt also wieder meine Bahnen ziehen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen?«, fragte Harald Prossmann.

      »Sicher, sicher! Tut mir leid, wenn ich Sie aufgehalten habe. Wenigstens haben Sie sich auf ein Gespräch eingelassen, das spricht schon mal für Sie.« Der Mann erhob sich vom Startblock.

      Harald Prossmann nickte. »Keine Ursache.« Er begann mit den Armen zu rudern, um sich wieder aufzuwärmen. »Schönen Sonntag noch.«

      »Ihnen auch, Herr Prossmann.«

      Harald Prossmann tauchte unter, bis auf den Grund des Beckens und stieß sich dann vom Boden ab. Zurück an der Oberfläche begann er zu kraulen. Kai schloss sich ihm an und blieb dabei wieder zwei Körperlängen zurück. Marek hatte erst jetzt Gelegenheit, sich auf der Zuschauertribüne umzusehen. Er hörte das Klappern von Geschirr. In der Mitte der Tribüne waren die Stuhlreihen verschoben und durch einen langen, schmalen Tisch ersetzt worden. Eine Frau legte Servietten, Teller und Besteck auf, eine andere stellte diverse Marmeladen, Butter und Käse- und Wurstplatten daneben. Tüten mit Brötchen und ein aufgeschnittener Laib Brot wurden ebenfalls serviert.

      Marek sah den Bemühungen der Frühstücksrentner mit knurrendem Magen zu. Er glaubte sogar aus der Ferne Brot und Brötchen riechen zu können. Er wollte hier nicht weiter stören und seinen Posten unten im Eingangsbereich wieder einnehmen. Er tat einen letzten Blick nach unten in die Schwimmhalle. Harald Prossmann schwamm weiter voraus, allerdings hatte Kai bis auf eine Körperlänge aufgeholt. Zwei Bahnen versetzt kam ihnen nur einer der Wettschwimmer entgegen. Marek sah sich sofort in der Halle um. Das Rennen war offenbar beendet. Der SLK-Fahrer hatte das Wasser verlassen, war aber nirgends zu sehen. Marek beugte sich vor, versuchte unter die Zuschauertribüne zu blicken. Hier war nur der Rentner im weißen Bademantel zu sehen, der gerade die Halle verließ.

      Der bärtige Bademeister war ebenfalls wieder auf den Beinen. Er trug einen weißen Eimer, den er unter einen in die Wand eingelassenen Hahn stellte. Er ließ Wasser in den Eimer laufen, den er dann randvoll zu einer Roste in der Schwimmbeckenbegrenzung trug. Anschließend holte er sich noch einen Feudel und begann mit dem Wasser aus dem Eimer irgendeine Verschmutzung zu beseitigen.

      *

      Den roten Opel Astra Kombi hatte Kerstin erst vor acht Monaten als Jahreswagen gekauft. Thomas umrundete das Auto, das unauffällig zwischen einem VW-Käfer und einem Renault R5 parkte. Zunächst bemerkte er, dass das Handschuhfach offenstand, dann stellte er fest, dass der Wagen überhaupt nicht verschlossen war.

      Thomas wandte sich an einen der uniformierten Beamten. »Wart ihr da schon dran?«

      »Wie bitte?«

      »Der Wagen ist nicht verschlossen.« Thomas deutete auf die Fahrertür und öffnete sie.

      Der Beamte schüttelte den Kopf. »Das war schon so, als wir ankamen. Hat der Kollege sich notiert. Wir haben aber innen noch nicht nachgesehen.«

      Thomas nickte, schob die Fahrertür weiter auf und beugte sich in den Wagen. Er stützte sich auf den Fahrersitz. Das Handschuhfach war leer. An einer Seite klemmte lediglich eine Parkscheibe mit dem Logo der Charité Berlin. In der Ablage der Mittelkonsole lagen ein paar Münzen im Wert von höchstens zwei, drei Euro. Thomas griff unter Fahrer- und Beifahrersitz und förderte ein einzelnes Bonbonpapier hervor. Er stieg wieder aus und nahm sich über die hintere linke Tür die Rückbank vor. Dort lag eine ordentlich zusammengelegte Wolldecke, die ebenfalls das Logo der Charité trug. Mit der Hand fuhr Thomas unter die Decke und anschließend in den Fußraum und unter die Vordersitze. Ein Eiskratzer und ein Scheibenschwamm waren seine Fundstücke.

      Er überlegte, wollte die Rückbank umklappen, stieg dann aber wieder aus dem Wagen und ging zur Heckklappe des Kombis. Durch die Scheibe konnte er nichts sehen, weil das Kofferraumrollo zugezogen war. Er öffnete die Heckklappe und starrte ein, zwei Sekunden auf die schwarze Damenhandtasche, die rechts in das Gepäcknetz geklemmt war. Er zögerte, löste die Tasche aus dem Netz und öffnete sie, um festzustellen, dass sie komplett leer war. Keine der üblichen Utensilien und auch kein Portemonnaie, keine Papiere, nichts. Der Uniformierte hatte sich hinter Thomas gestellt.

      »Und, was gefunden?«

      Thomas schüttelte den Kopf und zeigte die leere Handtasche. »Der Wagen


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