Leiche an Bord. Ole R. Börgdahl
Читать онлайн книгу.Gisela und Klaus mir die Hand.
Bruckner räusperte sich. »Na, dann haben wir das ja geklärt.« Er wandte sich wieder an mich. »Der Kurs hat ja eigentlich fünf Teilnehmer. Außer Manuel haben wir einen weiteren Abgang. Ein Kommissar aus Berlin hat den halben Kurs bereits vor einem Monat absolviert und sich entschieden, den Teil, den er schon kennt, auszulassen.«
»Kurt spricht von Mr. Wichtig«, kommentierte Ute und sah mich lächelnd an.
Gisela nickte. »Wir haben hier eine Regel: keine Handys. Aber der Typ war immer auf Sendung, hat irgendwie genervt.«
»Ich mache es gleich aus«, sagte ich lachend. »Bin jetzt sowieso privat hier.«
»Nein, nein nicht nötig«, sagte Bruckner. »Das gilt nur für die Kursteilnehmer.«
»Schon geschehen«, sagte ich und steckte mein Smartphone wieder in die Jackentasche. Ich sah mich um. »Und jetzt möchte ich die Show sehen, bin ganz gespannt.«
»Stimmt!«, sagte Bruckner und sah auf seine Armbanduhr. »Wir müssen tatsächlich ein wenig auf die Zeit achten, sonst ist unser Tatort wieder auf See.«
Bruckner deutete zum Fähranleger. Alle drehten sich zu dem Schiff um, das dort direkt vor den Autorampen angedockt lag. Die MS Dargast erschien mir nicht sehr groß.
»Wir sind angemeldet und müssen uns wirklich beeilen.« Bruckner und Klaus schritten voran.
Ute ging neben mir. »Bist du wirklich ein Ami? Ich meine, dein Akzent verrät dich nicht gerade?«
Ich nickte. »New York, aber wir haben zu Hause viel Deutsch gesprochen. Meine Großeltern. Darum habe ich wohl auch gleich noch eine Deutsche geheiratet. Jetzt leben wir in Hamburg.«
»Ach!«, sagte Ute. »Ich komme aus Bremen.«
»New York!« Gisela ging jetzt auch neben mir. »Dann stimmt das mit dem Cop.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte ich. »NYPD, aber das ist wirklich nichts Besonderes. Ich bin schon ein paar Jahre in anderen Geschäften unterwegs. Darum lebe ich auch in Hamburg.«
»Was sind das für Geschäfte?«, fragte Ute.
»Immobilien, ich bin Makler. Häuser, Wohnungen, Grundstücke, Vermietungen, das ganze Repertoire.«
»Immobilien! Wie passt das denn zum NYPD?«
»Gar nicht! Meinem Schwiegervater gehört das Geschäft. Ich habe eingeheiratet. Sagt man das hier so?«
Ute nickte. »Klingt lustig, eingeheiratet, ein gezähmter Bulle.«
»Hey, ich suche wirklich eine neue Wohnung«, rief Gisela. »Da könnte ich ein paar Tipps gebrauchen.« Sie lachte. »Das sind ja manchmal Schweinehunde, diese Makler.« Sie räusperte sich. »Anwesende natürlich ausgenommen.«
Ute ließ sich nicht vom Thema abbringen. »Und dann konntest du deine Polizeimarke einfach so an den Nagel hängen?«
Ich schüttelte den Kopf. »So einfach war das tatsächlich nicht. Wären wir in New York geblieben, dann hätte ich es nicht gekonnt. Das mit Hamburg war schon entscheidend. Ich habe nur einen Fehler gemacht.«
»Und welchen?« Ute sah mich von der Seite an.
»Als wir damals nach Hamburg gezogen sind, konnte ich es nicht lassen und habe ein Internetformular des BKA ausgefüllt und meine Profilerkenntnisse großzügig angepriesen. Ja und da hat mich der Herr Kriminaloberkommissar ausgegraben.«
»Und da hat er dich bequatscht?«, sagt Ute spöttisch. »Und du hast natürlich einen riesen Vorsprung mit diesem ganzen Profilerkram, wenn du aus den Staaten kommst.«
»Ja, das hat Bruckner auch gehofft«, sagte ich lachend. Ich dachte an Quantico, hatte jetzt aber nicht das Bedürfnis, den beiden Damen auch noch davon zu erzählen. Bruckner würde es bestimmt irgendwann für mich übernehmen. Ich spürte, dass Ute mich gerne noch weiter befragt hätte, wir mussten aber etwas schneller gehen, um Bruckner und den Kollegen Klaus wieder einzuholen. Bruckner stand jetzt neben einem Mann in Schiffsuniform, der etwas in sein Walkie-Talkie sprach. Klaus winkte uns heran.
»Wir müssen wirklich Gas geben«, erklärte er. »Die machen diesmal vor der Abfahrt noch eine Übung mit den Passagieren und dann müssen wir wieder von Bord sein.«
Bruckner gab Zeichen und wir wurden mittschiffs über eine Fußgängerrampe hinauf aufs Deck geleitet. Dann ließ man uns ohne Führer gehen, weil Bruckner den Weg natürlich kannte. Ein schmaler Korridor erstreckte sich über die gesamte Schiffslänge Richtung Bug. Wir gingen jetzt hintereinander, Bruckner voraus. Ich machte den Schluss. Alle paar Meter wurde die geschlossene Schiffswand durch eine Öffnung unterbrochen und gab den Blick auf das Hafenbecken frei. An einigen Stellen roch es nach frischer Farbe. Wir erreichten das erste Schott. Eine Schiene verlief ebenerdig quer über den Korridor. Bruckner hatte die Tür bereits entriegelt und zur Seite geschoben. Er deutete mir an, dass ich den Zugang wieder verschließen solle. Das Schott ließ sich leicht bewegen und rastete mit einem sanften Klicken in die Arretierung des Türhebels ein. Wir befanden uns jetzt im Inneren der Fähre, am Rande des großen Autodecks. Es gab vier Spuren, die darauf warteten, wieder mit PKWs und LKWs gefüllt zu werden. Wir gingen weiter, kamen an zwei Aufgängen vorbei, über die die Passagiere zu den oberen Decks gelangen konnten. Fast am Ende des Parkdecks blieb Bruckner vor einer unscheinbaren Tür stehen, die in die Bordwand eingelassen war und die Aufschrift Zutritt verboten trug.
»Wir müssen noch einen Moment warten«, erklärte Bruckner, schlug seine rote Mappe auf und holte einen dünnen Stoß Papiere heraus. »Bevor ihr mit eigenen Augen seht, was sich hinter der Tür befindet, sollt ihr euch ein theoretisches Bild von der Situation machen, so als wenn ihr bereits von den Kollegen über die Gegebenheit informiert worden wäret.«
Ute meldete sich. »Aber es ist doch besser, wenn man unvoreingenommen an einen Tatort kommt.«
»Das stimmt zwar«, bestätigte Bruckner nickend, »aber wir haben hier natürlich ein Problem. Der Tatort ist längst abgeräumt. Wir werden die Situation so durchspielen müssen, als wenn der Fall neu aufgerollt wurde.«
Bruckner sah mich kurz an. Ich verzog jedoch keine Mine. Ich wusste, dass er auf unseren ersten gemeinsamen Fall anspielte. Bei einem Cold Case gab es natürlich keinen realen Tatort mehr, man musste sich auf die Sorgfalt der Kollegen verlassen, die den Fall ursprünglich bearbeitet hatten, aber letztendlich gescheitert waren. Ich war gespannt, was es diesmal sein würde. Bruckner hatte die Zettel verteilt und ließ jedem seiner Schüler etwas Zeit, die darauf abgedruckten Fotografien und den Text zu studieren. Ich schaute Gisela über die Schulter, bekam dann aber von Bruckner meine eigene Unterlage. Auf dem ersten Foto war eine schmale Metalltreppe zu sehen, die über mehrere Podeste hinunter ins Schiffsinnere führte. Zwischen Treppe und Schiffswand befand sich ein Schacht. Die zweite Fotografie war eine Aufnahme dieses Schachtes, der mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet war. Das Ende des Schachtes am unteren Teil der Treppe war zu den Seiten vollständig abgekapselt und musste noch ein Deck tiefer reichen, als das Ende der Metalltreppe. Der Boden des Schachtes war mit einem Pfeil und dem Wort Leichenfund gekennzeichnet.
Wir blickten alle auf, als sich Schritte näherten. Ein Besatzungsmitglied der Fähre war erschienen. Bruckner begrüßte den Mann kurz. Er schloss die Tür auf und ging ein paar Meter zur Seite. Der Matrose sollte offenbar solange warten, bis Bruckners Exkursion beendet war, um danach den Einstieg wieder zu verschließen.
Ich widmete mich noch einmal den Unterlagen. Meine Augen wanderten zwischen den beiden Fotografien hin und her, dann begann ich den Text zu lesen, wurde aber durch Giselas Frage unterbrochen.
»Sollen wir unsere Einschätzung der Situation auf der Rückseite des Blattes notieren?« Sie hatte bereits einen Kugelschreiber gezückt.
Bruckner schüttelte den Kopf. »Diesmal machen wir es anders. Wenn alle fertig sind, werden wir hineingehen und uns die Lokalität ansehen.«
Gisela klickte zweimal mit ihrem Kugelschreiber, nickte dann und nahm sich wieder den Zettel vor. Ich tat dasselbe und las den Text zu Ende. Es waren nur wenige Absätze.